Rede im Bundestag: Abschiebungen in den Kosovo stoppen!

Rede von Ulla Jelpke (DIE LINKE.) zu TOP 29 der 172. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages (vereinbart zu Protokoll) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Neskovic, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Keine Abschiebungen in das Kosovo > Drucksache 16/9143 < Sehr geehrte Damen und Herren, mit dem vorliegenden Antrag verlangt die Fraktion DIE LINKE., keine Abschiebungen in den Kosovo vorzunehmen und keine Widerrufsverfahren gegen anerkannte Flüchtlinge durchzuführen. Der Versuch, nun massenhaft Menschen aus dem Kosovo zur Rückkehr zu zwingen, ist unverantwortlich. Schon mehrfach hat meine Fraktion hier klargestellt, dass die Sezession des Kosovo ein völkerrechtswidriger Akt ist. Es wird Sie nicht überraschen zu hören, dass das auch die Republik Serbien so sieht. Daher bestehen im mehrheitlich von Serben bewohnten Norden des Kosovo Doppelstrukturen bei der Polizei, im Bildungswesen und in anderen Bereichen fort. Zu welchen Spannungen das in den kommenden Jahren noch führen wird, ist jetzt noch gar nicht absehbar. In dieses Pulverfass Menschen abzuschieben, die mittlerweile seit Jahren hier leben, ist unverantwortlich. Ich will aber auch begründen, warum gerade Deutschland von diesen Abschiebungen absehen sollte. Entscheidungen in Deutschland über die Abschiebung von Minderheitenangehörigen in den Kosovo haben Leitbildfunktion auch für andere Staaten. Von den geschätzten 100.000 Menschen aus dem Kosovo, die außerhalb ihres Landes leben, befinden sich ca. 53.000 in Deutschland. Davon sind nach Schätzungen des UNHCR vom Januar 2007 24.000 Roma, 8.200 Ashkali und 1.800 Kosovo-Ägypter. Dazu kommen noch Serben und Kosovo-Albaner, die in ihren Herkunftsorten die Minderheit bilden. Diese Menschen leben fast alle im Status der Duldung, da keine Bundesregierung ihnen einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland ermöglichen wollte. Fast ein Drittel (896) aller in den Kosovo Abgeschobenen (3.125 insgesamt) kamen 2007 aus Deutschland. Nach einer Abschiebung in den Kosovo droht den Betroffenen nun auch noch, staatenlos zu werden. Der UNHCR stellt in seinem Arbeitsprogramm für 2008/09 fest, dass Staatenlosigkeit besonders Roma, Ashkali und Kosovo-Ägypter droht, weil sie aufgrund ihrer sozialen Ausgrenzung schon in früheren Jahren Schwierigkeiten hatten, sich registrieren zu lassen. Nach Schätzungen des UNHCR von Mitte 2006 sind 20% der Minderheitenangehörigen nicht registriert, und das über Generationen hinweg. Sie sind bereits heute vom Zugang zu sozialer Sicherung, Gesundheitsversorgung und Schulbildung ausgeschlossen. Ihnen droht bei Abschiebung die Obdachlosigkeit und weitere Marginalisierung. Die soziale Situation im Kosovo ist insgesamt weiterhin schlecht, für die Minderheiten katastrophal. Der UN-Ombudsmann für den Kosovo berichtet für 2007, dass Minderheiten keinen Zugang zum regulären kosovarischen Arbeitsmarkt haben. 70% der Serben sind arbeitslos, in den Siedlungen von Rückkehrern liegt die Arbeitslosigkeit teilweise bei 100%. Noch mehr Rückkehrer werden die Situation noch weiter verschärfen. Doch den Abgeschobenen wie den freiwilligen Rückkehrern droht nicht nur der Ausschluss von wesentlichen politischen und sozialen Rechten. Dazu kommt noch der manifeste ethnische Hass der Mehrheitsbevölkerung. Selbst bei Vorzeigeprojekten von Wiederansiedlung können die Rückkehrer nicht in ihren Dörfern einkaufen – sie werden in andere Dörfer gefahren. Dabei werden die Transportbusse regelmäßig mit Steinen beworfen. Weiterhin gibt es vereinzelt auch bewaffnete Angriffe auf Minderheitenangehörige. Ich will am Schluss noch auf eine mögliche Konsequenz hinweisen, die Abschiebungen in den Kosovo haben können. Der UN-Ombudsmann für das Kosovo schreibt in seinem siebten Jahresbericht: „In vielen Fällen werden [die Abgeschobenen] mit allen notwendigen Mitteln versuchen, in ihre ehemaligen Aufnahmestaaten zurückzukehren.“ Mit anderen Worten: wer Flüchtlinge in den Kosovo abschiebt, treibt sie in die Arme von Menschenhändlern und Schleppern und erzeugt damit neues Elend und neue Unsicherheit. 1609143_Kosovo.pdf