Kommentar: Verfassungswidrig

In einem Interview im aktuellen Spiegel stellt Professor Hans-Jürgen Papier klar, daß auch nach einer Grundgesetzänderung ein Gesetz zum Abschuß von entführten Passagierflugzeugen unzulässig wäre. Die Garantie der Menschenwürde müsse gewahrt werden.
Der gezielte Flugzeugabschuß durch die Bundeswehr war im »Luftsicherheitsgesetz« aus der SPD-Grünen-Regierungszeit vorgesehen, von Karlsruhe aber verworfen worden, weil damit das Leben Unschuldiger vernichtet würde. Dennoch hat Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) wiederholt erklärt, er werde bei einer Flugzeugentführung den Abschußbefehl geben. Gleichzeitig betrieb Schäuble eine Grundgesetzänderung, um »terroristische Bedrohungen« als »Quasi-Verteidigungsfall« einzustufen und die Bundeswehr im Inneren einsetzen zu können.
Diesem juristischen Trick tritt der Verfassungsgerichtspräsident jetzt mit aller Deutlichkeit entgegen. Die Garantie der Menschenwürde könne selbst bei einer Verfassungsänderung nicht eingeschränkt werden, sagte Papier. Die formale Ausrufung des Verteidigungsfalls genüge für den Einsatz der Bundeswehr gegen Terroristen ebenfalls nicht. Vielmehr müsse der Staat tatsächlich in seinem Bestand bedroht sein. Dies sei – so Papier – bei Flugzeugentführungen nicht gegeben. Folglich sind die Pläne Jungs und Schäubles, sich über die Rechtsprechung des höchsten deutschen Gerichts hinwegzusetzen, eindeutig verfassungswidrig. Die beiden Minister haben an den Grundlagen des Rechtsstaats gerüttelt. Daher kann es nur eine Konsequenz geben: Die Bundeskanzlerin muß Jung und Schäuble sofort entlassen.
Dies umso mehr, als Papier auch klar den Überlegungen Schäubles widersprach, Terroristen als »Feinde der Rechtsordnung« teilweise rechtlos zu stellen: Auch die Terrorlisten der UNO und der EU seien ein »heikles Problem«, gab er zu bedenken. Die auf diesen Listen namentlich aufgeführten Verdächtigen hätten keinen effektiven Rechtsschutz.
Mit diesen Äußerungen hat ein konservativer Jurist die Grundlinien der Innenpolitik Schäubles in Frage gestellt. Das dürfte bald praktische Folgen haben. Denn CSU-Mitglied Papier nahm für das Bundesverfassungsgericht in Anspruch, den Grundrechtsschutz zu gewähren, den die EU nicht bietet. Damit ist klar, daß Karlsruhe sich nicht davon abhalten lassen wird, das Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung inhaltlich zu prüfen, obwohl es auf einer EU-Richtlinie beruht. Der großen Koalition steht also die nächste juristische Schlappe bevor. Die bisherige Erfahrung zeigt aber, daß den beiden Regierungsparteien sowohl Menschrechte als auch das Grundgesetz ohnehin schnuppe sind.