Rede im Bundestag: SpätaussiedlerInnen unter Generalverdacht

Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt
Gesetze, die sind so schlecht, dass man sie gar nicht
mehr verbessern kann.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Bundesvertriebenengesetz beruht auf der Annahme,
es gebe so etwas wie eine deutsche Blutsgemeinschaft.
Es ist damit Ausdruck einer ideologischen, völkisch denkenden
Politik. Das kann man nicht verbessern, das kann
man nur abschaffen.
Man kann es schon aus rein pragmatischen Gründen
abschaffen: Im letzten Jahr kamen gerade noch
7 747 Spätaussiedler nach Deutschland, und es werden
immer weniger. Da wäre es logisch, zu sagen: Erledigt
mangels Masse.
Das heißt nicht, dass wir uns gegen Zuwanderung
wenden. Darin unterscheiden wir uns übrigens grundsätzlich
von der Bundesregierung,
(Jochen-Konrad Fromme [CDU/CSU]: Darauf
legen wir Wert!)
deren Gesetzentwurf vorsieht, den Nachweis der
Deutschkenntnisse zu erschweren. Das kann dazu führen,
dass die einen Familienmitglieder aufgenommen
werden, die anderen dagegen nicht. Das ist inhuman;
deshalb lehnen wir es ab.
(Beifall bei der LINKEN)
Nicht inhuman, aber regelrecht grotesk ist ein anderes
Ansinnen der Regierung in diesem Gesetzentwurf: Spätaussiedler
sollen zum Fall für die Geheimdienste werden.
Das Bundesverwaltungsamt soll in Zukunft alle Antragsteller
durch den Verfassungsschutz, den Militärischen
Abschirmdienst, den Bundesnachrichtendienst und andere
Behörden überprüfen lassen können. Als Grund dafür
bringt die Regierung ihre Standardfloskel: Abwehr von
Terrorverdächtigen und Extremisten. Da fragt man sich
doch: Welche schwerwiegenden Erkenntnisse hat die
Bundesregierung, wenn sie wegen einer Handvoll Spätaussiedler
so ein Fass aufmacht?
Haben wir Grund zur Annahme, das Aussiedlerverfahren
werde durch sogenannte Extremisten missbraucht?
Meine Kollegin Frau Piltz hat bereits darauf
hingewiesen, dass in der Begründung des Gesetzentwurfs
mit keinem Wort darauf eingegangen wird. Auch
sonst hat die Bundesregierung bisher keinerlei Angaben
dazu machen können. Im Klartext heißt das: Es gibt kein
reales Problem. Die Geheimdienste erhalten eine Beschäftigungstherapie,
und dafür werden Russlanddeutsche
unter Generalverdacht gestellt. Das ist absurd.
(Beifall bei der LINKEN)
Es stellt sich noch eine weitere Frage: Wer ist mit
dem Begriff „Extremist“ gemeint? Das ist ein Gummibegriff,
der Willkürentscheidungen von Behörden ermöglicht.
Für den Verfassungsschutz ist bekanntlich schon
die Linksfraktion extremistisch.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU)
Spätaussiedler, die mit uns oder unseren Schwesterparteien
sympathisieren, wären demzufolge auch sogenannte
Extremisten und hätten nicht das Recht, Deutsche
zu werden, egal wie gut sie Deutsch sprechen. Das ist reaktionäre
Ideologie, die in der schlechtesten Tradition
steht, die man sich denken kann.
Das Ganze zeigt vor allem eines: Spätaussiedler sind
weiterhin Spielball der Politik. Früher wurde sie als
Kronzeugen für den vermeintlich „Goldenen Westen“
missbraucht; heute werden sie als potenzielle Staatsfeinde
diffamiert und sollen draußen bleiben.
Wir empfehlen: Schaffen Sie das Vertriebenengesetz
ab! Streichen Sie dieses völkisch begründete Gesetz! Regeln
Sie die Einwanderung aus Osteuropa im Zuwanderungsgesetz!
Da gehört es hin.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN)

(aus dem Plenarprotokoll 16/82)