Artikel: Knickt die SPD wieder ein?

Einerseits haben SPD-Fraktionsvize Fritz Rudolf Körper und der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, wiederholt erklärt, mit den Sozialdemokraten sei die von Schäuble geplante Grundgesetzänderung nicht zu machen. Die SPD berief sich bei ihrer ablehnenden Haltung ausdrücklich auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006, wonach eine Abschußbefugnis, wie sie das von SPD und Grünen verabschiedete Luftsicherheitsgesetz vorsah, gegen das Recht auf Leben der Flugzeuginsassen verstößt. Die Karlsruher Richter hatten daher das Gesetz als verfassungswidrig verworfen.

Schäubles dreister Umgehungsversuch war am Dienstag bei Linkspartei, FDP und Grünen auf strikte Ablehnung gestoßen. Es schien auch so, als ob die SPD aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts gelernt hätte. Dann aber wurde Dieter Wiefelspütz am Dienstagabend im ZDF-heute-Journal gefragt, ob denn der Staat in einer Situation wie der des 11. September 2001 untätig bleiben müsse. Wiefelspütz antwortete, dies sei keineswegs der Fall, denn bei den damaligen Flugzeugentführungen habe es sich eindeutig um einen militärischen Angriff gehandelt. Würde sich ein solcher Vorgang in der BRD ereignen, dürfe die Bundeswehr eingreifen. Schäubles Initiative sei daher überflüssig und führe nur zu Unklarheiten.

Damit hat der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion einen Argumentationswechsel vorgenommen, der praktisch ein Einschwenken auf Schäubles Linie bedeutet. Wiefelspütz’ Behauptung, eine Flugzeugentführung nach dem Muster des 11. September sei ein militärischer Angriff, ist Wasser auf Schäubles Mühlen. Es ist nämlich ein entscheidenden Unterschied, ob man – wie Wiefels­pütz – die Einführung des »Quasiverteidigungsfalls« nur als überflüssig ansieht, weil die Bundeswehr ohnehin Passagierflugzeuge abschießen dürfe, oder ob man Schäubles Gesetzentwurf als klaren Verstoß gegen die Menschenwürde ansieht und ihn deshalb ablehnt.

Völlig eindeutig in ihrer Kritik sind dagegen die Kläger des damaligen Verfahrens gegen das von SPD und Grünen verabschiedete Luftsicherheitsgesetz, Burkhard Hirsch und Gerhart Baum, beide ehemalige Landes- bzw. Bundesinnenminister. Sie kündigten an, sofort wieder Verfassungsbeschwerde einlegen zu wollen, falls Schäubles Vorstellungen zur Grundgesetzänderung vom Parlament gebilligt würde. Hirsch erklärte, die von Schäuble geplante Ergänzung der Vorschriften über den Verteidigungsfall wäre »verfassungswidriges Verfassungsrecht«, da sich auch der Gesetzgeber an den Schutz der Menschenwürde gemäß Artikel 1 Grundgesetz halten müsse. Hirsch richtete einen nachdrücklichen Appell an das Parlament: »Der Innenminister kündigt die Verfassung auf. Es wird Zeit, den Bundestag eindringlich zu bitten, sich jeder weiteren Demontage der Verfassung zu widersetzen.«

Damit bleiben die FDP-Politiker Hirsch und Baum ebenso bei ihrer grundsätzlichen Kritik an der Militarisierung der Innenpolitik wie die Linkspartei, die an ihrer konsequenten Ablehnung keinen Zweifel ließ. Unglaubwürdig wirkte in der neuerlichen Debatte jedoch die Position der Grünen, deren Vorsitzender Reinhard Bütikofer mit kräftigen Worten in Richtung Schäuble nicht geizte. Anscheinend wollen die Grünen vergessen machen, daß nur mit ihren Stimmen der erste Aufguß des Luftsicherheitsgesetzes überhaupt in Kraft treten konnte. Der Grünen-Rechtsexperte Hans-Chri­stian Ströbele hatte vor dem Bundesverfassungsgericht dreist behauptet, in diesem Gesetz sei der Abschuß eines Passagierflugzeugs gar nicht geregelt. Das war aber bestenfalls eine Selbsttäuschung, um über die damalige skandalöse Zustimmung der Grünen hinwegzukommen. Die Karlsruher Richter fielen nicht darauf herein – sie stellten nüchtern fest, daß eine Abschußbefugnis im Luftsicherheitsgesetz enthalten war und verwarfen sie mit den vernichtenden Worten, eine solche Regelung sei im Rahmen des Grundgesetzes »schlechterdings unvorstellbar«.