Wer schützt die Verfassung vor dem Verfassungsschutz?

Wer schützt die Verfassung vor dem Verfassungsschutz?

Die meisten Mitglieder der Linksfraktion haben vor etlichen Monaten einen Antrag auf Akteneinsicht bzw. Auskunft bei den diversen Geheimdiensten der Republik gestellt. Dass Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion vom Verfassungsschutz überwacht werden, darf man als bekannt voraussetzen. Das Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus, das unbedingte Eintreten für Grundrechte und gegen Militarisierung ist den Herrschenden im Lande Grund genug, um die Grundlagen ihrer Herrschaft zu fürchten, und damit ein Grund, die Geheimdienste einzuschalten.

Zugegeben: Auch ich bin neugierig darauf zu erfahren, für wie gefährlich mich die staatlichen Schnüffler halten. Welche meiner Tätigkeiten mag bislang am stärksten dazu beigetragen haben, die Grundfesten des kapitalistischen Systems zu erschüttern? War es eine Rede im Bundestag, die Teilnahme an einer Demo, ein Artikel in der Tageszeitung junge Welt? Wie viele Arbeitslose konnte ich wohl bislang von der Straße holen und ihnen einen Job verschaffen, bei dem Sie vor allem aufmerksame Ohren, gute Augen und viel Geduld haben müssen?

„Sie wurden gewählt“

Am 25. August habe ich beim Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen einen Antrag gestellt, und bereits am 7. Dezember kam die Antwort. Auf gut vier Seiten wird ein buntes Potpourri vorgestellt. Ich habe geredet, ich habe kandidiert, demonstriert, Artikel geschrieben und Broschüren herausgegeben. „Im Juli 1997 wurde gespeichert, dass Sie einen Mitarbeiter beschäftigen.“ Nicht einmal das ist ihnen verborgen geblieben!
„Zur Bundestagswahl 1998 wurden Sie im Wahlkreis 59, Köln I, zur Kandidatin gewählt.“ Und ich dachte immer, das hätte keiner mitbekommen!

Und so geht das dann vier Seiten lang. Der Verfassungsschutz beweist vor allem, dass er ein einziger Fall von Verschwendung öffentlicher Gelder ist. Da, wo es wirklich spannend wird, kneift er: Die Erfassung einer „bestimmten Person“ als Mitarbeiter „erfolgte nicht als alleiniger Sachverhalt“, und: „Im April 2006 wurde ein interner Vermerk zur Recht- und Zweckmäßigkeit Ihrer Speicherung dokumentiert.“ Das würde mich doch sehr interessieren!

Geheimdienste gefährden die Demokratie

Doch so sehr dieses Thema dazu einlädt, Witze über die Inkompetenz der Dienste zu machen: Es ist und bleibt ein Skandal, dass die Wahrnehmung demokratischer Grundrechte vom Geheimdienst erfasst und gespeichert wird. Wer zum Zielobjekt des Verfassungsschutzes wird, ist schon halb kriminalisiert. Wer weiß denn, was mit diesen Daten passiert, in welchen Zusammenhang sie gebracht und wem sie mitgeteilt werden? Wer weiß, was noch alles gespeichert ist, aber nicht offen gelegt wird? Dass solche Bedenken Hand und Fuß haben, muss man angesichts der zahlreichen Geheimdienstskandale wohl nicht weiter belegen. Die Gefahr, dass man für die Formulierung radikaldemokratischer Standpunkte „erfasst“ wird, kann abschreckende Wirkung haben und Menschen möglicherweise dazu bewegen, auf ihre Grundrechte von vornherein zu verzichten. Deshalb bleibe ich bei meiner Meinung: Geheimdienste sind eine Gefährdung für die Demokratie!

Bundesamt rückt keine Auskunft heraus

Immerhin hat der NRW-Dienst reagiert. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ziert sich hingegen.
Es ist nun ein halbes Jahr her, dass ich dort gemäß § 15 des Bundesverfassungsschutzgesetzes einen Antrag gestellt habe. Erledigt ist er bis heute nicht. Andere Abgeordnete unserer Fraktion haben ihren Antrag nach mir gestellt und schon längst eine Antwort erhalten. Mir ist am 5. September 2006 mitgeteilt worden:
„Aufgrund der Vielzahl der zurzeit hier vorliegenden gleichgelagerten Anträge wird die Bearbeitung Ihrer Eingabe noch einige Zeit in Anspruch nehmen.“
Geht es vielleicht gar nicht um die Vielzahl der AN-Träge, sondern vielmehr um die Vielzahl der EIN-Träge, die der Behörde so viel Arbeit machen?

So lange es den Verfassungsschutz gib, erwarte ich, dass er Anträge auf Auskunft, auf die es schließlich einen Rechtsanspruch gibt, nicht derart verzögert. Ich habe heute eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht.

Im Folgenden dokumentiere ich den Bescheid aus Nordrhein-Westfalen.

–>sehr aufschlussreich ist dessen vorletzter Satz: „Weitere Auskünfte zu den Speicherungen vermag ich Ihnen nicht zu erteilen, da Gründe nach § 14 Abs. 2 VSG NRW den von Ihnen gewünschten weitergehenden Informationen entgegenstehen.“ In diesem Paragraphen geht es um die Geheimhaltungsbedürfnisse des Verfassungsschutzes selbst. Sofern die „Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist“, wird weiter nichts verraten…Und gerade hier würde es erst richtig spannend!
Ulla Jekpke, 20. Dezember 2006

LfV_NRW_Auskunft.pdf

NRW_Akte_Kommentar.pdf