Artikel: Griff in die Mottenkiste

EU macht Schotten dicht
Die »Festung Europa« soll noch dichter abgeschottet werden als bisher. Um dies zu kaschieren, griff Schäuble in die Mottenkiste und zog gemeinsam mit dem erzkonservativen französischen Innenminister Nicolas Sarkozy das »Gastarbeitermodell« aus der untersten Schublade. Wie in der 50er Jahren könnten danach Nicht-EU-Bürger befristet zur Arbeitsaufnahme in die EU einreisen. Spätestens nach fünf Jahren müßten sie Europa wieder verlassen. Parallel plant das Bundesinnenministerium weitere Verschärfungen des Einwanderungsrechts. Der Evaluierungsbericht des BMI zum seit Januar 2005 geltenden Zuwanderungsgesetz spricht eine deutliche Sprache. Asylantragsteller, für die Deutschland nicht zuständig ist, sollen vor ihrer Weiterleitung an den zuständigen Staat grundsätzlich in Haft genommen werden. Beim Ehegattennachzug soll es »Einzelfallprüfungen« geben, ob es sich um eine »Zwangsheirat« handelt. Nachziehende Ehegatten sollen bereits im Herkunftsland Deutsch lernen müssen. Außerdem wird ein Nachweis gefordert, daß der Lebensunterhalt gesichert ist. Der Ehegattennachzug würde damit zum Privileg der Begüterten – ein klarer Verstoß gegen Artikel 6 des Grundgesetzes. Außerdem beabsichtigt das BMI, den Bezug von Arbeitslosengeld II zum Ausweisungsgrund zu machen. Überfallartige Abschiebungen sollen die Regel werden. Dazu will man die Ankündigungsfrist von bislang einem Monat abschaffen. Die Ausländerbehörden sollen ein vorläufiges, quasi-polizeiliches Festnahmerecht erhalten.Eine der wenigen wirklichen Verbesserungen durch das Zuwanderungsgesetz war die Anerkennung nichtstaatlicher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung. Die CDU/CSU behauptete, damit werde Flüchtlingen aus aller Welt Tür und Tor geöffnet. Die Praxis zeigt, daß im Jahre 2005 gerade einmal 65 Personen wegen nichtstaatlicher und 59 Flüchtlinge wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung anerkannt worden sind.

Bei der geplanten Umsetzung von EU-Richtlinien fällt auf, daß zwar Ausländer, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, eine Aufenthaltserlaubnis erhalten sollen. Dies gilt allerdings nur, wenn sie bereit sind, gegen die Täter auszusagen und ihre Aussage notwendig ist, um zu einer Verurteilung zu gelangen. Der Aufenthaltstitel wird also nach rein strafprozessualen Nützlichkeitskriterien erteilt und nicht aus humanitären Gründen. Dabei wird ignoriert, daß bei entsprechenden Aussagen im Herkunftsland verbliebene Verwandte Repressalien befürchten müssen.

Überhaupt wird die Richtlinie 2004/83/EG des Europäischen Rates vom 29. April 2004 über »Mindestnormen für die Anerkennung und den Status als Flüchtlinge und Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes« nur unzureichend umgesetzt. Nach der EU-Richtlinie soll der Flüchtlingsschutz und damit das Recht auf Aufnahme am Anfang des Verfahrens stehen. Daran schließt sich eine (freilich mangelhafte) Berechtigungsprüfung des Daueraufenthalts an. Im deutschen Rechts wird genau umgekehrt die grundsätzliche Ausreisepflicht des Ausländers betont, der sich ohne Visum oder Aufenthaltstitel in der BRD aufhält. Der Verbleib in der BRD ist die Ausnahme. Daher muß nach deutschem Recht der Betroffene nachweisen, daß es Gründe für diese Ausnahme gibt. Dies räumt ihm im Vergleich zur EU-Richtlinie eine schwächere Position ein.

Union und SPD haben sich darauf geeinigt, nicht nur ausländische Studenten, sondern auch ihre Einlader und Bürgen einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Das wird zu großen Zeitverzögerungen und schon auf einen bloßen Verdacht hin zu Ablehnungen der Einreise führen. Auch für Personen, die ihre in Deutschland lebenden Verwandten besuchen wollen, sollen die Einreisebestimmungen verschärft werden. Zu erwarten ist, daß sich die restriktive Visavergabe nach dem Prinzip »im Zweifel gegen die Reisefreiheit« noch weiter verschärfen wird. Zudem soll bei Studenten-Visa die Gültigkeitsdauer des Visums von zwei Jahre auf eines verkürzt werden. Schließlich sollen die Daten von Visaantragstellern erheblich länger als bisher gespeichert werden, nämlich bis zu 20 Jahre. Hier zeigt sich, daß die BRD dem Vorbild der USA folgen will und künftig generell Daten von Ausländern massenweise und dauerhaft speichern wird.
Verdächtige Flüchtlinge
Auch das am 20. Oktober in erster Lesung im Bundestag debattierte Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz wird sich auf die Lage von Ausländern und Flüchtlingen auswirken. Vor allem Ausländer aus dem arabischen Raum werden einem pauschalen Terrorismusverdacht ausgesetzt. Mit maschinenlesbaren Aufenthaltsgenehmigungen und Visa ist die Möglichkeit geschaffen, biometrische Merkmale in Ausweispapiere aufzunehmen. Umgesetzt werden soll dies noch in diesem Jahr. In der Konsequenz heißt das, daß von einer ganzen Bevölkerungsgruppe Fingerabdrücke und Gesichtsmerkmale gespeichert und in einer zentralen Datenbank erfaßt werden.

Eine entsprechende Befugnis privater Stellen zur Auslesung der biometrischen Daten ist bis jetzt noch nicht vorgesehen. Aber im Rahmen der zunehmender Privatisierungen, beispielsweise bei Sicherheitskontrollen an Flughäfen, ist auch das zu erwarten. Außerdem kann nicht verhindert werden, daß Stellen im Ausland sich die entsprechende Technologie anschaffen und dann ebenfalls in der Lage sind, die gespeicherten Daten zu erfassen.

Auch die Ausweisungspraxis wird unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung verschärft werden. Jeder Ausländer, der »die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet«, kann ausgewiesen werden. Zur »Gefährdung« gehört schon die »Befürwortung von Gewalt oder Terrorismus«. Mit diesen Gummiparagraphen läßt sich im Stile einer Gesinnungsschnüffelei wie bei den Berufsverboten der 70er Jahren gegen Ausländer vorgehen. Die Möglichkeiten des Rechtsschutzes gegen solche Maßnahmen werden ganz erheblich eingeschränkt, denn eine solche Ausweisung hat oft nachrichtendienstliche Erkenntnisse zur Grundlage. Bei einer Abschiebung wegen Terrorismusverdachts hat eine Klage gegen die Ausweisungsanordnung keine aufschiebende Wirkung mehr.

Problematisch ist dabei die Definition des Terrorismus. Das Gesetz sieht eine solche nicht vor. Auch die Definition der Europäischen Union ist so weitreichend und unpräzise, daß damit jede Bestrebung getroffen werden kann, die eine weitergehende gesellschaftliche Veränderung unterstützen oder auslösen will. Somit erweist sich auch die Verlängerung und Ergänzung der »Otto-Kataloge« Schily I und II, wie sie demnächst gemeinsam mit der neuen zentralen »Antiterrordatei« beschlossen werden soll, als Instrument gegen mißliebige politische Betätigung von Flüchtlingen und von Migranten und gegen deren Wahrnehmung demokratischer Grundrechte.