Dies alles hat nur zum Teil mit „Terrorismusabwehr“ zu tun. Tatsächlich ist es eine Gesetzmäßigkeit jeder kapitalistischen Gesellschaftsordnung, in Zeiten sozialer Spannungen nach außen aggressiv und nach innen repressiv aufzutreten. Durch die ausbeuterische Globalisierung und die vorherrschende neoliberale Wirtschaftsweise haben sich in den letzten Jahren die antagonistischen Widersprüche dieses Gesellschaftssystem dramatisch verschärft. Den Bürgerinnen und Bürgern auch wohlhabender Staaten wie der BRD wurde ein beispielloser Sozialabbau zugemutet. Diesen gilt es für die Herrschenden nach innen abzusichern durch Einschränkung der Grundfreiheiten. Es ist kein Zufall, dass dies einherging mit einer Militarisierung der Außenpolitik. Beides folgte in der BRD dem Muster der westlichen Vormacht USA.
Die deutsche Innenpolitik ist in diesem Kontext zu sehen. Demnach dienen Ereignisse wie der 11, September als scheinbare Rechtfertigung für einen Abbau der Bürgerrechte, der ohnehin in der Logik des menschenverachtenden kapitalistischen Wirtschaftssystems liegt. Ginge es um eine Auseinandersetzung mit dem Terrorismus, müsste man sich den – zum Teil selbst gesetzten – Ursachen zuwenden, den Demütigungen der islamischen Welt durch die USA, den Kriegen gegen Afghanistan und Irak oder der Unterstützung des israelischen Militarismus durch die deutsche Außenpolitik. Genau diese kritische Auseinandersetzung mit den Bedingungen, unter denen sich Terrorismus entwickelt, unterbleibt jedoch völlig.
Dabei wird von der Bundesregierung nicht einmal die Frage schlüssig beantwortet, wie denn „Terrorismus“ zu definieren sei. Im Gesetzentwurf zur „Anti-Terrors-Datei“ ist die Rede von Personen, „die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder solche Gewaltanwendung unterstützen, befürworten oder durch ihre Tätigkeiten vorsätzlich hervorrufen“. Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes, Jutta Limbach, erklärte hierzu: „Lässt sich darunter nicht auch ein Krieg subsumieren, der die Absetzung eines Diktators zum Ziel hat?“
Daran anschließend formulierte der Vorsitzend der Fraktion DIE LINKE Oskar Lafontaine, am 6. September 2006 im Deutschen Bundestag: „Terrorismus ist für viele, die sich auf internationaler Ebene an der Diskussion beteiligen, das Töten von Menschen zum Erreichen politischer Ziele. … Vor diesem Hintergrund sind nicht nur das Attentat auf das World Trade Center und Selbstmordattentate, an die Sie erinnert haben, Terrorismus, sondern auch die Kriegsführung im Nahen Osten, die Tausende unschuldiger Menschen ums Leben bringt.“ Lafontaine stellte für die Linke fest: „Man kann Terrorismus nicht durch Terrorismus bekämpfen. Das tun zu wollen, ist ein gravierender Irrtum der amerikanischen Politik.“
Da es diese kritische Auseinandersetzung mit dem Terrorismusbekämpfung seitens der die Bundesregierung tragenden Parteien CDU/CSU und SPD nicht gibt, erleben wir ein weiteres Mal den Griff in die Repressionskiste. Ähnlich wurde nach dem 11. September 2001 durch Schily und die rot-grüne Koalition in atemberaubendem Tempo der Schnüffelstaat ausgebaut. Die Geheimdienste erhielten Befugnisse in einem Umfang wie nie zuvor in der Geschichte der BRD. Dem stimmten die Grünen zu, wobei sie ihre Abkehr von ihren alten Prinzipien damit bemäntelten, dass die „Anti-Terror-Gesetze“ nur befristet gelten sollten. Niemand glaubte damals im Ernst, dass dem BND und dem Bundesamt für Verfassungsschutz die neu gewonnenen Lausch- und Mitlesemöglichkeiten wieder genommen würden. Jetzt hat sich die mittlerweile amtierende große Koalition erwartungsgemäß auf eine Verlängerung der „Otto-Kataloge“ geeinigt. Schlimmer noch: hinter dem schrecklichen Wortungetüm „Antiterrorismusergänzungsgesetz“ verbergen sich neue Aktionsmöglichkeiten des Auslandsnachrichtendienstes BND im Inland und andere Verschärfungen. Dies wird von der Koalition ausgerechnet in einer Zeit vorgelegt, in der sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestags mit Skandalen des BND befassen muss.
Unter anderem haben die Pullacher Schlapphüte jahrelang rechtswidrig Journalisten bespitzelt. Da wurde bei einem Autor, der kritische Bücher über den BND geschrieben hatte, sogar die Papiertonne durchsucht. Ein anderer Zeitschriftenredakteur wurde bis in die Tiefgarage observiert. Ein Publizist wurde bei einer Reise nach Bonn beschattet, wo er vor dem Plutonium-Schmuggel-Untersuchungsausschuss des Bundestags über den skandalösen, unter den Augen des BND in einer Lufthansa-Passagiermaschine durchgeführten Transport des hochgiftigen Materials nach München aussagte.
Zudem wird über den Bundesnachrichtendienst im derzeit laufenden Untersuchungsausschuss ermittelt, ob er etwas mit der Entführung des deutschen Staatsangehörigen Khaled el Masri durch die CIA nach Afghanistan zu tun hatte. Zugestanden ist bereits, dass der BND Befragungen im Ausland durchführte und dabei foltermäßige Haftsituationen wie in Syrien und auf Guantanamo für seine Zwecke ausnutzte. Im völkerrechtswidrigen Irak-Krieg platzierte der BND eigens zwei Agenten in Bagdad, um den Amerikanern Informationen für die Lage vor Ort zu liefern. Das wurde dem für die Kontrolle der Geheimdienste zuständigen Parlamentsgremium verschwiegen. Unwissenheit behaupteten BND und Bundesamt für Verfassungsschutz schließlich bezüglich der über Deutschland führenden Gefangenentransporte in geheime CIA-Gefängnisse. Dick Marty, Sonderermittler des Europarats, sowie ein Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments kamen dagegen zu der Überzeugung, dass es solche illegalen Gefangenenflüge gegeben habe. Am 7. September 2006 gab endlich Präsident George W. Bush selbst die Existenz der bisher geleugneten Geheimgefängnisse zu, die Bush von der CIA „weltweit“ betrieben wurden. Wer mag da noch glauben, dass die BND-Agenten davon keine Ahnung hatten?
Blamabel ist auch die Tatsache, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD), Aufzeichnungen über MdB Bodo Ramelow (Vizevorsitzender der Linksfraktion) führte. Auf Ramelows Beschwerde wurde diese getilgt; der MAD musste sich bei dem Bundestagsabgeordneten entschuldigen. Ein schon lange andauerndes Unrecht ist auch die Beobachtung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN) durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke gab die Bundesregierung in ihrer Antwort vom 21. Juli 2006 zu, dass diese Beobachtung von ausgewiesenen Antifaschisten immer noch durchgeführt wird, weil bei einer „Gesamtschau“ auf eine „Distanzierung“ von der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu schließen sei.
Die Liste der Skandale und Fehlleistungen ist also lang. Jede demokratische Regierung, der es mit dem Rechtsstaat ernst ist, müsste also ein großes Interesse daran haben, den Diensten viel genauer auf die Finger zu schauen. Nicht so CDU/CSU und SPD. Im Gegenteil: Quasi als Belohnung für die zahllosen Gesetzesbrüche winken den Geheimdiensten nun sogar neue Befugnisse. Für eine wirksamere Kontrolle des BND, MAD und BfV tut die Koalition dagegen nichts, obwohl es aus den Reihen der Opposition von Grünen und FDP schon Gesetzesinitiativen zur Reform des Parlamentarischen Kontrollgremiums gibt. Allerdings darf man sich keine Illusionen machen: Geheimdienste sind letztlich ohnehin unkontrollierbar und gehören daher abgeschafft!
Die aktuelle innenpolitische Debatte erinnert nicht nur an die hektische Betriebsamkeit des Gesetzgebers nach dem 11. September 2001, sondern auch an die Zeit nach den Londoner U-Bahn-Anschlägen im Juli 2005. Wie nach jedem derartigen Vorfall üblich begann auch damals sofort eine klein karierte parteipolitische Auseinandersetzung. Die üblichen Hardliner sehen sich in ihren Positionen bestätigt und versuchen, die Situation auszunutzen und neue Gesetzesverschärfungen durchzusetzen. Die CDU/CSU wollte den Vorgang für den Bundestagswahlkampf 2005 ausnutzen und forderte, „Schutzlücken“ zu schließen. Ihr damaliger innenpolitischer Sprecher Hartmut Koschyk verlangte ein „umfassendes Anti-Terror-Konzept“. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) verwandte die Plattitüde, der Staat brauche „alle erforderlichen Mittel, um die Menschen gegen die Gefahr des internationalen Terrorismus zu schützen“. Konkret betrieb die CSU ein gemeinsames Informations- und Analysezentrum von Polizei und Geheimdiensten. Dieses wurde dann noch von Otto Schily in Berlin eingerichtet. Ferner wurde nach London eine so genannte zentrale „Anti-Terrordatei“ gefordert. Die Umsetzung ließ noch auf sich warten, weil Opposition und Datenschützer zunächst noch mit Erfolg auf den Verfassungsgrundsatz der Trennung von Geheimdiensten und Polizei pochten.
Nach den Anschlagsversuchen von Koblenz und Dortmund einigten sich die Innenminister jedoch sehr rasch am 4. September 2006 auf eine Zentraldatei. Diese soll aus zwei Teilen bestehen: In einem „Index“, einer Art Stichwortverzeichnis, werden alle Personen vermerkt, über die Polizei oder Geheimdienste Informationen bezüglich eines „Terrorismusverdachts“ haben, sowie Personen, die damit in Kontakt stehen. Diesen Index kann online von allen Sicherheitsbehörden eingesehen werden. Auf Anfrage entscheidet die Behörde, die die Informationen gespeichert hat, ob sie diese, also den „Volltext“ herausgibt. Nach welchen Kriterien dies geschieht, ist bisher völlig unklar. Daher besteht die Gefahr, dass unbewiesene bloße Verdächtigungen breit in Umlauf kommen, zumal in Eilfällen jederzeit sofort der gesamte Volltext abgerufen werden kann. „Eilfälle“ lassen sich mühelos konstruieren. Deshalb bedeutet die Zentraldatei praktisch eine völlige Vernetzung der Polizeibehörden mit den Geheimdiensten. Derartige datenschutzrechtliche Bedenken, wie sie vom renommierten Frankfurter Professor Spiros Simitis in der Süddeutschen Zeitung vom 7. September 2006 brillant formuliert worden sind, gelten bei den Innenpolitkern der CDU/CSU und SPD aber als völlig weltfremd.
Mit diesem Attribut hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) laut einer Meldung des Nachrichtenmagazins Spiegel vom 31. August 2006 auch die Karlsruher Verfassungsrichter bedacht. Bei einem Abendessen, zu dem die Bundesregierung das Bundesverfassungsgericht eingeladen hatte, kritisierte Schäuble das höchste deutsche Gericht heftig, weil es in mehreren spektakulären Entscheidungen (großer Lauschangriff, niedersächsisches Polizeigesetz, Luftsicherheitsgesetz) dem Gesetzgeber wiederholte Grundgesetzverletzungen bescheinigt hatte. Solchem „Störfeuer“ aus Karlsruhe will die Bundesregierung mit dieser ungewöhnlichen Form der Richterbeeinflussung vorbeugen. Zudem soll Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) ins Verfassungsgericht gehieft werden, um dort als Präsidentin dafür zu sorgen, dass die von ihr selbst vorbereiteten Gesetze künftig unbeschadet eine Überprüfung durch Karlsruhe überstehen.
In der Debatte nach London 2005 wurde von der CSU der Generalverdacht gegen Ausländer geschürt. Stoiber verlangte eine Visa-Warndatei, „damit Deutschland vor der Einreise gefährlicher Ausländer geschützt werden kann.“ In diese Datei soll jeder eingetragen und gespeichert werden, der einen Ausländer in die BRD einlädt. Für ein völlig legales und normales Verhalten kommt man also nach dem Willen der CSU gleich in eine staatliche Datei! Ähnlich äußerte sich auch jetzt wieder CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach. Man müsse Ausländer schon vor der Einreise stärker unter die Lupe nehmen. Die Innenministerkonferenz vom 4. September 2005 beschloss, Verschärfungen des Ausländerrechts auf den Weg zu bringen.
Stoiber 2005 verlangte schärfere Sicherungsmaßnahmen für terrorverdächtige Ausländer. Dahinter verbarg sich der auch von Otto Schily (SPD) propagierte Plan, eine Art „Vorbeugehaft“ einzuführen. Es ist offenkundig, dass dies gegen das Grundgesetz verstoßen würde. Doch dies kümmert die Innenpolitiker der Union nicht. Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) tat sich in der August-Debatte 2006 gar mit der Forderung nach der elektronischen Fußfessel für terrorismusverdächtige Ausländer hervor.
Zu den Dauerbrennern gehört auch das Verlangen nach einer neuen Kronzeugenregelung, besonders heftig verfochten vom Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg. Dagegen scheint der Ruf nach dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren etwas leiser geworden zu sein, seit die Fußballweltmeisterschaft auch ohne Panzer vor den Stadien über die Bühne gegangen ist. Dennoch scheute sich der eine oder andere Hinterbänkler nicht, auch jetzt wieder diesen Unsinn vorzuschlagen, obwohl das mit den Kofferbomben auf Bahnhöfen absolut nicht zu tun hat. Man kann darauf warten, dass auch Schäuble selbst das Thema wieder hochbringen wird.
Einen großen Erfolg erzielten die Sicherheitsfanatiker auf der EU-Ebene. Die langfristige Speicherung von Telefonkommunikationsdaten „auf Vorrat“ war ursprünglich vom Bundestag noch einstimmig abgelehnt worden. Über dieses Votum setzte sich die Bundesregierung souverän hinweg und stimmte in der EU einer Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zu. Wieder wurde ein Stück Privatsphäre geopfert. Dasselbe wird über kurz oder lang mit den Mautdaten passieren. Als das Toll-Collect-System eingeführt wurde, schrieb der Bundestag noch bewusst in das Gesetz, die Daten über Lkw-Fahrten dürften nur für die Berechnung der Maut verwendet werden. Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, bezeichnet dies heute als schweren Fehler. Nach einem Mord, bei dem ein Lkw-Fahrer verdächtig war, bekam die Forderung nach polizeilicher Einsicht in die Maut-Daten Auftrieb, Inzwischen ist der Täter gefasst worden, ohne dass es der Mautdaten bedurft hätte. Trotzdem wird spätestens dann, wenn einmal die Pkw-Maut eingeführt wird, die Versuchung groß sein, Bewegungsbilder an Hand der Mautdaten zu erstellen. Ein Gesetzgeber, dem die Freiheit wenig bedeutet, wird dagegen keinen Widerstand leisten.
Schon hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble am 10. September die Debatte hierüber neu eröffnet, indem er erneut die Nutzung der Mautdaten durch die Polizei verlangte. Das ist aber für die Polizei, da die Daten zu Abrechnungszwecken nur kurz gespeichert werden, nur dann wirklich ergiebig, wenn Toll Collect verpflichtet wird, für längere Zeit aufzubewahren, welcher Lkw an welchen Tagen welche Streckenabschnitte auf den Autobahnen benutzt hat. Daher wird Schäubles Forderung in einen neuen Beschluss zur Vorratsdatenspeicherung münden. Private Firmen – heute die Telekom, morgen Toll Collect – werden also verpflichtet, private Daten der Bürger (Telefonverbindungen, Mautgebühren) für den Staat vorzuhalten. Wie ein Virus, der immer weiter eindringt, infiziert die staatliche Überwachung die privaten Lebensverhältnisse.
Videoüberwachung in großem Stil hätte man früher als Phantasieprodukt von Schriftstellern wie George Orwell („1984“) gehalten. In Großbritannien existiert schon ein an „Big Brother“ erinnerndes dichtes Netz von Videokameras zur Kontrolle öffentlicher Straßen und Plätze. Nach den Bahnhofsanschlägen überboten sich auch in der BRD die Politiker mit der Parole „mehr Videoüberwachung“. Schon läuft in Mainz ein Modellversuch. Mit Hilfe von Videokameras sollen in Menschenmengen, wie sie sich am Hauptbahnhof bewegen, einzelne Personen automatisch erkannt werden („Gesichtsscreening“). Noch ist die Technik nicht ausgereift. Aber wenn eines Tages die Trefferquote hoch genug ist, kann man sicher sein, dass auch diese Methode als Standard eingeführt wird.
Zu Recht hat Heribert Prantl in der Zeitschrift „Das Parlament“ vom 4. September 2006 beschrieben, „wie die Terrorbekämpfung das Recht verschiebt.“ Prantl beobachtet eine „neue Sicherheitsarchitektur“. Diese gleiche einer Sanduhr. „Das obere Gefäß enthält die Bürger- und Freiheitsrechte, das untere die Sicherheitsgesetze, Telefonüberwachung, Lauschangriff, Datenspeicherung, geheimdienstliche Ermittlungsmethoden der Polizei und Polizeibefugnisse für den Geheimdienst. Das obere Gefäß mit den Bürgerrechten wird immer leerer, das untere immer voller.“
Die Geheimdienste würden immer mehr zu einer Art „Geheimpolizei“. Prantl meint, den Geheimdiensten seien Sonderrechte „eigentlich nur zum Schutz der freiheitlichen Grundordnung“ eingeräumt. Die neuen Gesetze aber würden diese Sonderrechte auch zur allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung einräumen und zwar und losgelöst von den Kontrollen, die sonst bei der Verhütung und Verfolgung von Straftaten gelten. „In Deutschland haben vor 33 Jahren hunderttausende von Menschen gegen die Notstandsgesetze demonstriert. Die Sicherheitspakete der Jahre 2001ff verdienen diesen Namen wirklich.“
Kritik kommt auch von der früheren Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Professor Jutta Limbach. Die Rechtswissenschaftlerin stellte in der Süddeutschen Zeitung vom 24. August 2006 unter dem Titel „Wer dem Falschen sein Telefon leiht“ dar, wie man als „Kontaktperson“ im Polizeicomputer landen kann. Jutta Limbach bildete das Beispiel, dass ein Handybesitzer einer dritten Person für ein kurzes Telefonat sein Handy leiht, nicht wissend, dass der Dritte mit einer anderen Person telefoniert, die wegen Terrorismusverdacht überwacht wird. Die Nummer des Handys, das für den Anruf benutzt wird, wird registriert, ebenso der Name des Eigentümers. Dieser gerät somit völlig unschuldig als „Kontaktperson“ in die neue Zentraldatei. Natürlich erfährt die so registrierte „Kontaktperson“ davon nichts und ist also dagegen wehrlos. Die Folgen können fatal sein. Man bekommt keinen Arbeitsplatz, Kreditanträge bei der Bank werden abgelehnt und man weiß nicht warum. Den wahren Hintergrund, die unberechtigte Speicherung in irgendwelchen Dateien, kennt der Betroffene gar nicht.
Der Sächsische Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig hat in einer Stellungsnahme vom 5. September 2006 klargestellt, dass sich der Freistaat Sachsen nicht an der Anti-Terror-Datei beteiligen dürfe. Dies ergebe sich eindeutig aus Artikel 83 der Landesverfassung, wonach die Trennung von Polizei und Geheimdiensten vorgeschrieben sei. Schurig mahnt: „Der Einzelne muß in einer freien Gesellschaft sicher sein, nicht auf Schritt und Tritt von Polizei, Geheim- und Sicherheitsdiensten überwacht zu werden.“ Und sogar Bayerns Datenschutzbeauftragter Karl Betzl sieht laut Süddeutscher Zeitung vom 5. September 2006 die Gefahr einer „neuen Qualität der Überwachung“ und nennt das Zusammenspiel von automatisierter Kfz-Kennzeichenerfassung, biometrisch gestützte Videoüberwachung und Fahndung per Mautdaten.
Klare Positionen beziehen auch die Abgeordneten in Straßburg und Brüssel in der Auseinandersetzung mit den USA. Sie reagierten auf das Geständnis von Präsident George Bush, dass es CIA-Geheimgefängnisse weltweit gegeben hat und noch gibt, mit geharnischter Kritik am 7. September 2006. Es habe sich gezeigt, dass die USA „ihren schmutzigen Kampf gegen den Terrorismus völlig außerhalb des Rechts geführt haben“, erklärte der Präsident der parlamentarischen Versammlung des Europarats, Rene von der Linden am 7. September 2006. Der Schweizer Dick Marty, Sonderermittler des Europarats, sagte, Bushs Geständnis sei „nur ein teil der Wahrheit“. In der BRD hatte weder die alte noch die neue Bundesregierung ein gesteigertes Interesse daran gezeigt, diese CIA-Gefängnissen und den von Deutschland ausgehenden Gefangenentransporten in diese Gefängnisse – unter Nutzung deutscher Flughäfen – ernsthaft nachzugehen. Es ist auch eine Blamage rot-grüner Außenpolitik, dass sich die Regierung Schröder/Fischer weigerte, den seit vier Jahren unschuldig auf Guantanamo eingepferchten Murat Kurnaz freizubekommen und wieder nach Bremen einreisen zu lassen, obwohl es ein entsprechendes Angebot der USA sogar gab. Kurnaz, der daher erst Anfang September 2006 die Freiheit wiedererlangt hat, wird auf Antrag der FDP zu diesem Vorgang demnächst als Zeuge vor dem BND-Untersuchungsausschuss aussagen.
Das Europaparlament führt auch einen Kampf gegen die Weitergabe von Fluggastdaten an die USA. Am 7. September 2006 gaben die Abgeordneten Empfehlungen für ein neues Abkommen. Der SPD-MdEP Wolfgang Kreissl-Dörfler verlangte, „der hinreichend Schutz“ persönlicher Daten müsse „elementarer Bestandteil“ jeder Vereinbarung sein. Dies sei bei dem bisherigen Abkommen mit den USA nicht der Fall gewesen. Tatsächlich ist in der Vergangenheit die EU immer wieder vor der wirtschaftlichen Übermacht der USA eingeknickt und hat es akzeptiert, dass eine Vielzahl persönlicher Daten unkontrolliert den amerikanischen Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt worden sind. Daher ist Skepsis angebracht, ob sich das Europaparlament mit seinen an sich guten Absichten diesmal durchsetzen wird.
Gelegentlich hilft auch mal die Rechtsprechung, Bürgerrechte zu sichern. Der frühere Vizepräsident des Bundestags, Burkhard Hirsch, erinnerte in seiner Rede bei der Verleihung des Fritz-Bauer-Preises am 16. September 2006 in Freiburg an eine bedeutsame Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses hat die Degradierung eines Offiziers der Bundeswehr aufgehoben, der sich aus Gewissensgründen geweigert hatte, indirekt am völkerrechtswidrigen Irak-Krieg mitzuwirken.
Somit gibt es in der öffentlichen Debatte einzelne Themen und einzelne kritische Stimmen, die das Grundgesetz bewahren wollen. Dennoch ist beispielsweise dem jährlichen Grundrechte-Report der Humanistischen Union deutlich zu entnehmen, dass der Präventionsstaat immer mehr zum Überwachungsstaat wird. Jedenfalls in der Politik des Deutschen Bundestags gibt es bei der Mehrheit hierfür keinerlei Problembewusstsein.Der Focus hat am 4. September 2006 gemeldet, dass die Mittel für das Bundesamt für Verfassungsschutz um 50 Millionen Euro erhöht werden. Dafür ist also Geld da. Wie eingangs gesagt: Der Repressionsapparat rüstet auf!
erschienen in: Marxistische Blätter 5/06, S. 41- 45, zu beziehen über: Neue Impulse Verlag GmbH, NeueImpulse@aol.com