dokumentiert: Polizeieinsatz in Hamburg – unmenschliche Behandlung oder Folter?

Polizeieinsatz in Hamburg – Unmenschliche Behandlung oder Folter?
(von Martin Dolzer)

Am vergangenen Wochenende eskalierten Einsatzkräfte der Hamburger und Bremer Polizei ein friedliches Straßenfest im alternativen Hamburger Stadtteil Schanzenviertel. Am Sonnabend fanden tagsüber ein Flohmarkt, samt internationalen politischen und kulinarischen Ständen im Schanzenviertel und ein Konzert vor dem autonomen Kulturzentrum Rote Flora statt. Als sich am späten Abend Menschen im Rahmen der spontanen Fortsetzung der Feierlichkeiten um einige Feuer, die auf der Straße entzündet wurden, versammelten, schritten die Polizeikräfte rigoros ein. Die Beamten griffen mit Wasserwerfern wahllos und ohne Vorwarnung Passanten und Feiernde an und vertrieben Besucher der anliegenden Kneipen. Daraufhin wurden laut einer Pressemitteilung der Polizei vereinzelt Steine und Flaschen geworfen. Es kam insgesamt zu 39 vorläufigen Fest- und 8 In Gewahrsamnahmen, die in vielen Fällen unbegründet waren. Die Gefangenen wurden zum großen Teil Erkennungsdienstlich behandelt und erst am Morgen wieder freigelassen.

Eine Beweissicherungs- und Festnahme Einheit (BFE) aus Bremen erniedrigte vier brutal zu Boden gezerrte Personen gezielt, durch über eine dreiviertel Stunde lange andauerndes Augenverbinden. Das geschah unter Zuhilfenahme von martialisch wirkenden, schwarzen und undurchsichtigen Brillen, mit nahtlos um die Augen auf der Haut anliegenden Gummiringen. Die Betroffenen klagten über Übelkeit, Orientierungslosigkeit sowie Überlebensangst und Panikzustände. Sie konnten nichts sehen, wussten nicht, wo sie sich befanden und waren zusätzlich Beschimpfungen und Drohungen seitens der BFE Beamten ausgesetzt. Nicht nur aufgebrachte und laut protestierende Passanten bezeichneten dieses Vorgehen der Polizei als unmenschlich und sprachen von Foltermethoden. Auch die Definition von Folter laut Anti-Folterkonvention der UN von 1984 besagt, dass „unter Folter jede Handlung zu verstehen“ ist, „durch die eine Person von einem Träger staatlicher Gewalt oder auf dessen Veranlassung hin vorsätzlich starke körperliche oder geistig-seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie zu bestrafen oder sie oder andere Personen einzuschüchtern“…“Die Folter ist eine verschärfte Form absichtlicher grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe.” Sowohl im öffentlichen Diskurs wie in der konkreteren Rechtsprechung ist die genaue Grenze von Folter allerdings umstritten. Unumstritten ist allerdings, dass es sich beim Augenverbinden in dieser Form um eine schwerwiegende, nicht hinnehmbare Misshandlung handelt.

Die AnwältInnen eines der Betroffenen sprechen demzufolge von einer völlig unsinnigen Maßnahme, der jegliche Verhältnismäßigkeit und Rechtsgrundlage fehle – und einem Fall in dem zu prüfen sei, ob es sich rechtlich gesehen um unmenschliche, erniedrigende Behandlung oder Folter gehandelt habe. Den Anwesenden AnwältInnen sei darüber hinaus im Verlauf des gezielten und entwürdigenden Freiheitsentzugs der Zugang zu ihren Mandanten, verwehrt worden. Das Geschehen werde wohl ein gerichtliches Nachspiel haben und müsse lückenlos aufgeklärt werden. Zusätzlich wäre es sinnvoll wenn vermummte Beamten zumindest durch Dienstnummern auf der Uniform kenntlich gemacht würden, um etwaige Rechtsverstöße zuordnen zu können. Die Abgeordnete der Hamburger Bürgerschaft Antje Möller (GAL) hat zu dem Vorfall am 11. September 2006 eine kleine Anfrage gestellt und verurteilt das Vorgehen der Polizei aufs schärfste. Mittlerweile wurde ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben und auch die Abteilung Interne Ermittlungen der Hamburger Polizei ermittelt wegen der Rechtsverstöße der Beamten.

„Es ist anzunehmen, dass die Strategen der Polizei hier eine neue, militärisch anmutende Taktik der Aufstandsbekämpfung ausprobieren wollen, dabei Menschen misshandeln und ein friedliches, kulturelles Ereignis zerstören“, kommentierte ein Anwohner des Schanzenviertels die Ereignisse. „Jedes Jahr wird das alternative Fest, unter konstruierten Begründungen, von Ordnungshütern angegriffen, deren Einsätze von Jahr zu Jahr brutaler werden.“ Das Schanzenviertel soll von einem kulturell vielfältigen Stadtteil in einen Eventort für Reiche in Messenähe umstrukturiert werden. Dazu ist der CDU – Regierung Hamburgs anscheinend jedes Mittel recht. Infolge der Ereignisse sollten die politisch verantwortlichen die Konsequenzen ziehen und zurücktreten.

Martin Dolzer

Der Artikel erschien in redigierter Fassung im „Neuen Deutschland“ vom 12.09.2006