Artikel: Angriff auf Verfassung

70 Prozent des Etats im Innenministerium, fast drei Milliarden Euro, sind für die sogenannte Sicherheit vorgesehen. Im Klartext: Die Repressionsapparate werden gestärkt, noch mehr Daten gesammelt, noch mehr Menschen ins Elend abgeschoben. Immer mehr Freiheitsrechte bleiben auf der Strecke. Polizei und Geheimdienste arbeiten immer enger zusammen, auch auf internationaler Ebene, wo sich ein arbeitsteiliges Folternetzwerk etabliert hat.

Das eigentliche Sicherheitsproblem ist diese Bundesregierung mit ihrer verfassungswidrigen Politik! Sie ist es, welche die Grundrechte aushebelt, welche die Bundeswehr in verfassungswidrige Angriffskriege hetzt und die Bestimmungen des Grundgesetzes immer weiter aushöhlt! Und wir sind es, die dieser Politik Widerstand entgegensetzen müssen! Den nächsten Angriff auf die Verfassung hat die Große Koalition seit Monaten vorbereitet: Den Einsatz der Bundeswehr im Inland. Über 7000 deutsche Soldaten sind derzeit in aller Welt stationiert, sie nehmen Besatzeraufgaben wahr und geben ihren Verbündeten Rückendeckung für weitere Angriffskriege. Aber das reicht offenbar nicht mehr: Nach der Militarisierung der Außenpolitik soll nun die Militarisierung der Innenpolitik erfolgen. Die Fußball-Weltmeisterschaft soll dabei als Türöffner dienen. Seit Monaten wird die WM generalstabsmäßig vorbereitet – und ich meine im wörtlichen Sinne »generalstabsmäßig«. Bis zu 7000 Soldaten will Schäuble einsetzen, und über allem kreuzen die AWACS-Flugzeuge. Der Generalinspekteur der Bundeswehr spricht davon, er müsse »Truppe in Verfügung« halten, um die WM als militärische Herausforderung zu meistern.
Wo leben wir eigentlich, wenn so an ein Sportereignis herangegangen wird? Innenminister Schäuble hat vor wenigen Wochen gesagt, er verstehe nicht, wieso die Bundeswehr nicht im Inland eingesetzt werden dürfe. Soll das heißen, der Innenminister versteht die Verfassung nicht, auf die er vereidigt ist? Das wäre ja nicht das erste Mal.
Aber ich glaube, er versteht sie sehr wohl. Er weiß sehr genau, daß Militär im Inland immer eingesetzt wurde, um gegen demokratische Bewegungen vorzugehen, sei es gegen die Revolution 1918, sei es gegen die Linksregierungen in Thüringen und Sachsen 1923.
Die Militarisierung des öffentlichen Raums zielt punktgenau darauf, Militär und Krieg als normalen Bestandteil unseres Lebens erscheinen zu lassen. Wir sollen uns daran gewöhnen, daß Soldaten in Uniform und mit Waffen in der Hand auf unseren Straßen patrouillieren.
Nein, daran werden wir uns nicht gewöhnen!

Aus: junge welt vom 18 April 2006