Artikel: Schäubles Horrorkatalog

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) tut alles, um so schnell wie möglich seinen erzkonservativen Vorgänger Otto Schily (SPD) zu übertrumpfen und das Feld der law-and-order-Politik wieder für die CDU/CSU zu besetzen. Mit Forderungen nach der Verwertung von Folteraussagen oder dem Einsatz der Bundeswehr im Inneren erwies sich Schäuble sofort nach Amtsantritt als Vertreter eines harten Kurses in der Innenpolitik. Jetzt ließ er Pläne zur drastischen Verschärfung des Ausländerrechts folgen.

Schäubles CDU-Kollege Heribert Rech, Innenminister in Baden-Württemberg, hat am 1. Januar 2006 einen skandalösen Fragebogen in Kraft gesetzt, mit dem einbürgerungwillige Muslime von den Behörden auf ihre politische Gesinnung und auf private Lebensanschauungen hin überprüft werden (jW berichtete). Mit dieser bewußten Diskriminierung will die CDU im Landtagswahlkampf in Baden-Württemberg bei ihrer konservativen Klientel punkten. Schäuble setzt nun mit einem Rundumschlag im Ausländerrecht noch eins drauf.

Das Bundesinnenministerium hat einen 260 Seiten starken Referentenentwurf eines Gesetzes zur »Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union« verfaßt. Anfang Januar 2006 wurde er an die anderen Ressorts zur Stellungnahme verschickt, damit im März ein Beschluß des Kabinetts herbeigeführt werden kann. Aus dem Entwurf wird klar, daß Schäuble die Umsetzung von EU-Richtlinien nutzen will, um das Zuwanderungsgesetz weiter zu verschärfen. Der Innenminister will dabei jedoch zahlreiche Änderungen durchsetzen, die mit den Vorgaben der EU in keinerlei Zusammenhang stehen.

Der Nachzug von Ehegatten zu Ausländern wie zu Deutschen soll in verfassungswidriger Weise beschränkt werden. Der Familiennachzug soll verboten werden, wenn der ausländische Partner noch nicht 21 Jahre alt ist. Aufgegriffen wird auch das alte Klischee von den »Scheinehen«, bei entsprechendem Verdacht soll es keine Aufenthaltserlaubnis geben. Ehegatten, deren schriftliche Fähigkeiten in der deutschen Sprache mangelhaft sind, müssen »Integrationskurse« besuchen. Bisher gab es die Verpflichtung zur Kursteilnahme nur bei fehlenden einfachen mündlichen Deutschkenntnissen.

Der Zugang zur unbefristet geltenden Niederlassungserlaubnis soll erschwert und durch komplizierte Regelungen undurchschaubar werden. Als Voraussetzung für die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels soll in vielen Fällen der Nachweis einer gesetzlichen oder gleichwertigen privaten Krankenversicherung gefordert werden, obwohl dies von vielen Betroffenen nicht erfüllt werden kann.

Der Entwurf schreibt ferner Digitalfotos von Millionen Ausländern vor, deren Identität damit besser überprüfbar werden soll. Langfristig werden nach den Plänen des Innenministeriums bis zu 30 Millionen Aufnahmen gespeichert, auf die Polizei und Justiz online Zugriff erhalten sollen.

Die Abschiebehaft soll ausgeweitet werden. Als neue Haftgründe werden die »Zurückweisungshaft« und die »Durchbeförderungshaft« eingeführt. Diese sollen sogar ohne richterliche Überprüfung möglich werden. Ein »Abschiebehaftbefehl« als Voraussetzung für die Festnahme von Flüchtlingen zum Zwecke der Abschiebung oder Inhaftierung soll künftig entbehrlich sein; sogar Mitarbeiter des Ausländeramtes sollen zur Festnahme befugt sein. Entgegen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts sollen auch EU-Bürger bereits vollziehbar ausreisepflichtig werden, bevor ein Gericht über die Rechtmäßigkeit entschieden hat.

Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD war die Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes versprochen worden. Dieses Gesetz hat sich als Regelwerk zur Verhinderung von Einwanderung in die BRD und zur Verschlechterung der Rechtspositionen von Migranten erwiesen. Eine ehrliche Evaluierung müßte zur Beendigung dieser Abschottungspolitik führen. Notwendig wären z. B. ein sicherer Aufenthaltsstatus statt Kettenduldungen, sofortige Arbeitserlaubnisse für Asylbewerber, permanente Bleiberechtsregelungen für »Altfälle« sowie volle Rechte für »Illegalisierte«. Schäubles Horrorkatalog zeigt deutlich, daß die Politik der großen Koalition genau in die entgegengesetzte Richtung führt. Nach dem Muster des hessischen CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch, der mit einer unsäglichen Kampagne gegen den Doppelpaß in sein Amt kam, setzt Schäuble ungeniert darauf, ausländerfeindliche Ressentiments zu bedienen.

Die Bundestagfraktion Die Linke hat gegen diesen reaktionären Gesetzentwurf sofort protestiert, die willkürliche Heraufsetzung des Nachzugsalters für Ehegatten als verfassungswidrig bezeichnet sowie eine neue, auf humanitäre Ziele ausgerichtete Migrationspolitik verlangt. Bedenken äußerte auch Volker Beck, Parlamentarischer Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen. Der SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz hingegen signalisierte seinem Koalitionspartner grundsätzliche Unterstützung: Man sei sich in den Zielen einig, allerdings noch nicht bei den Instrumenten.

Aus: junge welt vom 09. Januar 2006