Artikel: Schäuble hinter Surfern her

Zahlreiche E-Mails erhalten dieser Tage die Bundestagsabgeordneten. In den Zuschriften protestieren engagierte Bürgerinnen und Bürger gegen einen weiteren Schritt in den Überwachungsstaat. Die vom bundesweiten »Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung« initiierte Protestaktion richtet sich gegen den Entwurf eines »Gesetzes zur Stärkung der Sicherheit in der Informationstechnik des Bundes« (BSIG). Das Kabinett hatte auf Betreiben von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) am 14. Januar 2009 diesen Gesetzentwurf beschlossen. Im März stehen die parlamentarischen Beratungen im Bundestag und Bundesrat an.

Hauptkritikpunkt ist die Tatsache, daß künftig Internet-Anbietern erlaubt werden soll, das Surfverhalten ihrer Kunden verdachtslos aufzuzeichnen. Damit wird nachvollziehbar, wer wann welche Internetseite betrachtet und welche Suchwörter eingegeben hat. Bisher dürfen Anbieter von Internetdiensten nur die zur Abrechnung erforderlichen Nutzungsdaten speichern. Der Datenspeicherung zu Werbezwecken kann man widersprechen. Diese Mechanismen zum Schutz vertraulicher Aktivitäten im Internet drohen durch Schäubles Pläne beseitigt zu werden.

Wenn es nach der von CDU/CSU und SPD gebildeten Bundesregierung geht, haben künftig Anbieter von Internetdiensten wie Google, Amazon oder studivz.net das Recht, das Lese-, Schreib- und Suchverhalten ihrer Besucher aufzuzeichnen zu dem Zweck, »Störungen zu erkennen«. Eine so schwammig definierte Eingriffs­voraussetzung läßt sich in der Praxis beliebig anwenden. Die Surfprotokolle sollen ohne richterliche Anordnung an Polizei, Bundeskriminalamt, Geheimdienste sowie an die Unterhaltungsindustrie herausgegeben werden dürfen. Es versteht sich von selbst, daß mit Hilfe solcher Daten Rückschlüsse auf die persönlichen Interessen und die Lebenssituation der Internet-Nutzer möglich wären und Persönlichkeitsprofile erstellt werden könnten. Mit einer freien Nutzung des Internets hat dies nichts mehr zu tun.

Das Bundesinnenministerium hatte im Januar in einer öffentlichen Stellungnahme dementiert, daß eine »unbegrenzte oder anlaßlose Speicherung … durch die vorgeschlagene Regelung … gestattet« werden soll. In einem Antwortschreiben an das Ministerium wies der Jurist Patrick Breyer vom »Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung« darauf hin, daß »diese Absicht leider keinen Niederschlag in der Ent­wurfsformulierung gefunden« habe. Breyer kritisiert, der Vorschlag sei zum Schutz von Computersystemen nicht erforderlich, drohe »katastrophale Auswirkungen« zu entfalten und widerspreche zentralen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.

»Angesichts des international wachsenden Bewußtseins für die Gefahren von immer mehr Datensammlungen stellen die bisher starken Datenschutz-regelungen in Deutschland einen Standortvorteil dar«, erklärte laut einer Pressemitteilung des AK Vorratsdatenspeicherung vom 3. Februar 2009 Ralf Bendrath vom Netzwerk Neue Medien. Gegen die erklärte Absicht der Bundesregierung, den Schutz der Privatsphäre zum »Exportschlager« zu machen, würde das Gesetz Website-betreibern eine beliebige und anlaßlose Vollüberwachung erlauben. Damit fiele Deutschland auf das Niveau von »Datenschutz-Verlierern, zum Beispiel die USA, zurück«.

Eine Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder kritisierte am 18. Februar 2009 den Gesetzentwurf ebenfalls heftig. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Peter Schaar, erklärte nach der Konferenz: »Der Gesetzentwurf ist unausgewogen und deshalb dringend verbesserungsbedürftig. Insbesondere muß der Gesetzgeber unmißverständlich klarstellen, daß die Erhebung und Auswertung personenbezogener Daten Ultima ratio ist. Wir hoffen, daß unsere Argumente bei den jetzt anstehenden Beratungen im Bundesrat und Bundestag berücksichtigt werden.«