Artikel: Kontrollgremium verharmlost Bespitzelung

Der Blick auf die Quantität ergibt aber ein schiefes Bild. Denn das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt festgestellt, daß schon die Möglichkeit, überwacht zu werden, das Kommunikationsverhalten beeinflußt. Daher ist die relativ geringe Zahl der zugegebenen Fälle, in denen die Geheimdienste neue gesetzliche Möglichkeiten genutzt haben, kein Grund zur Beruhigung. Vielmehr ergibt sich daraus nur, daß die mit dem TBG eingeführten zusätzlichen Eingriffe in Bürgerrechte für die Praxis der Sicherheitsbehörden nicht so wichtig sind, wie dies die Vertreter des Repressionsapparates zuvor immer behauptet haben.

In zehn Fällen hat laut PKGr-Bericht das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im Jahre 2006 den Einsatz des »IMSI-Catchers« angeordnet, mit dem Standort sowie Geräte- und Kartennummer von eingeschalteten Handys ermittelt werden. Von diesen zehn Anordnungen seien zwölf Personen betroffen gewesen. Von den Landesverfassungsschutzämtern wurden bislang noch keine IMSI-Catcher-Einsätze gemeldet.

Das BfV hat ferner in sieben Fällen Auskünfte von Banken und Finanzdienstleistern sowie in 14 Fällen von Telekommunikationsunternehmen angefordert. Davon waren 89 Personen betroffen. In den Bundesländern wurde siebenmal bei Banken und Finanzdienstleistern nachgeforscht und zweimal bei Telekommunikationsunternehmen. Diese Zahl ist aber noch unvollständig, da die Berichte aus acht Ländern noch nicht eingearbeitet worden sind.

Das Kontrollgremium veröffentlicht keine abweichenden Meinungen, aber es ist nicht anzunehmen, daß die Opposition mit der Mehrheit übereinstimmt. Die Koalitionäre jedenfalls sehen die erweiterten Befugnisse als »einen wichtigen Beitrag zur Bewahrung der inneren und äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland«, die »sich nach überwiegender Auffassung des Gremiums in der Praxis bewährt haben«. Man habe die Freiheitsrechte nur in dem Maß eingeschränkt, »wie es zur Wahrung von Sicherheitsinteressen unbedingt notwendig gewesen sei«.

Diese Ausführungen stehen im Gegensatz zur Auffassung der Linksfraktion, die wiederholt im Bundestag deutlich gemacht hat, daß Geheimdienste ein Fremdkörper in einer Demokratie seien und sich als unkontrollierbar erwiesen hätten. FDP und Grüne wollen zumindest die Kontrollrechte des Parlaments ausbauen. Dazu findet sich in dem Bericht des PKGr jedoch kein Wort.

Wie fragwürdig die jetzige Praxis ist, läßt sich dem Bericht gleichwohl entnehmen. Das PKGr gibt zu, daß bei 26 Auskunftsverfahren oder ­IMSI-Catcher-Einsätzen, die 2006 beendet wurden, so gut wie keine Benachrichtigung an die Betroffenen ging. Diese ist aber notwendig, damit sich die Opfer der heimlichen Überwachungsmaßnahmen nachträglich gerichtlich zur Wehr setzen können. Dennoch wurde bei 41 von 48 Überwachten die Entscheidung über eine Mitteilung zurückgestellt. Das heißt, daß den Opfern jahrelang ihr Grundrecht auf gerichtlichen Rechtsschutz abgeschnitten wird. In einem Fall wurde entschieden, endgültig keine Mitteilung vorzunehmen. Lediglich sechs Betroffenen wurde der Grundrechtseingriff mitgeteilt.

Zuerst erschienen in: junge Welt vom 01.08.2007