Pressemitteilung: „Linksextremismus“ – ordentlich angemeldet?

Wenn ich mal eine Biographie schreibe, werde ich meine Verfassungsschutzakte zur Hand nehmen. Die Schlapphüte passen genau auf, an welche Demonstration ich gehe, welchen Artikel ich schreibe und mit wem ich mich treffe.

Wozu der Geheimdienst außerdem noch gut sein könnte, erschließt sich mir allerdings nicht. Und: aus der Akte wird deutlich, dass der Verfassungsschutz schlichtweg illegal operiert.
Denn: Aktiv werden darf das Amt nur gegen „Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ gerichtet sind. Indizien dafür sucht man auf den zehn Seiten allerdings vergebens.

Kontaktschuld

Ich hätte „mehrfach Kontakte zu ausländischen Personen und Organisationen mit Bezügen zum Linksextremismus“ unterhalten. Dieses Vorgehen nennt man Kontaktschuld: Wenn ich jemanden treffe, mache ich mich schuldig. Dem Dienst ist nicht entgangen, dass ich in Kurdistan war, „wo Sie sich an nicht genehmigten Newroz-Feiern beteiligten und durch türkische Sicherheitskräfte verhaftet wurden.“ Ist die türkische Polizei in den Augen des Verfassungsschutzes zur anerkannten Hüterin der Menschenrechte aufgestiegen?

Eine weitere Kontaktschuld: „Zusammentreffen mit ehemaligen politischen Häftlingen in Chile und geplanten Kontakten zu Exilchilenen in Deutschland.“ Exilchilenen, das sind jene, die nach dem faschistischen Militärputsch des Generals Pinochet 1973 fliehen mussten. Wer nicht floh, wurde eingesperrt oder ermordet. Dass der Verfassungsschutz diejenigen, die auf der Schwarzen Liste der Faschisten stehen, für „Linksextremisten“ hält, macht jedenfalls deutlich, auf welcher Seite er steht.
Überhaupt trifft sich, wer eine Demokratin sein will, nicht mit Opfern des Faschismus: „unterhielten Sie Kontakte zur linksextremistisch beeinflussten VVN/BdA“. Das ist die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten.

Demonstrationen

„Weiterhin ist bekannt, dass Sie sich an zahlreichen Demonstrationen beteiligten oder als deren Anmelderin auftraten.“ Stimmt, das waren Demos gegen Abschiebeknäste, Überwachungsgesellschaft und andere Sauereien. Die habe ich jeweils ordentlich bei der Versammlungsbehörde angemeldet – wenn das mal nicht eine ganz perfide linksextremistische Strategie ist!

Unter anderem habe ich auch am 1. Mai in Kreuzberg demonstriert. Der Verfassungsschutz weiß, dass es Krawalle gab, aber: „Informationen darüber, dass Sie sich selbst an diesen Ausschreitungen beteiligt haben, liegen nicht vor.“ Hauptsache, wir haben das Thema angeschnitten, oder?
Über die Demonstration gegen den Großen Zapfenstreich am 26. Oktober 2005 steht in der Akte: Sie „setzten sich für die Fortsetzung der Veranstaltung ein, obwohl es in deren Verlauf zu Ausschreitungen kam.“ Richtig, damals drehte ein Zivil-Polizist durch und knüppelte wahllos auf Demonstranten und Journalisten ein (die Presse berichtete, die Justiz ermittelt immer noch). Und dennoch, also obwohl der Herr Polizist so wütend war, wollte ich nicht das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aufgeben – wie dreist kann man sein?

Das Schlimmste ist wahrscheinlich die Majestätsbeleidigung:
„Diversen Presseberichten zufolge warfen Sie sowohl der Bundesregierung als auch der ‚herrschenden Politik’ wiederholt vor, rechtsextremistischen Bestrebungen Vorschub zu leisten, die Gefahren des Rechtsextremismus zu verharmlosen und gleichzeitig ‚linke Antifaschisten’ zu diffamieren.“ Ähnlich habe ich mich über das Bundesamt für Verfassungsschutz geäußert.
Und wer jetzt noch nicht glaubt, dass ich ein Gottseibeiuns bin: „Einsätze der Bundeswehr im In- und Ausland lehnten Sie ab.“ (Das tue ich immer noch!)

Geheimdienst begeht Rechtsbruch

Das, was in der Akte steht, hat darin nichts zu suchen! Ich lasse es mir nicht nehmen, für eine sozialistische, humanistische und antimilitaristische Politik einzutreten. Dass der Geheimdienst mich deswegen überprüft, ist ein klarer Rechtsbruch. Er darf nur gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen eingesetzt werden, aber nicht zur Kontrolle jeglicher politischer Opposition. Diese Akte ist ein weiteres Zeichen dafür, dass die größte Gefahr für die Demokratie von unkontrollierbaren Geheimdiensten ausgeht! Und ein weiteres Argument dafür, die Geheimdienste abzuschaffen!

Der ganze Text des VS-Bescheids kann auf meiner Homepage eingesehen werden (www.ulla-jelpke.de).

Presse_070221VSAkte.pdf

BfV_Auskunft.pdf