Artikel: Tod in der Ägäis

Das Sterben im Mittelmeer nimmt kein Ende: Zwölf Menschen sind in dieser Woche in der Ägäis ertrunken, nachdem sie mit einem Boot von der türkischen Küste aus in Richtung Griechenland übergesetzt hatten. Nach Angaben der griechischen Küstenwache ertranken sie bei einem Seenotrettungseinsatz, die Bootsinsassen hätten den Unfall durch eigenes Verhalten verschuldet.

Zu einem ganz anderen Ergebnis kommt die UN-Flüchtlingshilfsorganisation UNHCR, die die Überlebenden befragt hat: Sie gaben an, ihr Boot sei von der griechischen Küstenwache ins Schlepptau genommen worden, um es in türkische Gewässer zurückzuziehen – ein klarer Verstoß gegen das Zurückweisungsverbot der Genfer Flüchtlingskonvention, weil sich an Bord auch schutzbedürftige syrische Flüchtlinge befanden. Das Schiff der griechischen Küstenwache habe bei schwerer See so hohes Tempo aufgenommen, daß zwölf der Bootsinsassen, darunter Frauen und Babys, von Bord gegangen und ertrunken seien.

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hatte bereits im vergangenen November systematische Menschenrechtsverletzungen in der Ägäis und an der griechisch-türkischen Landesgrenze dokumentiert. Innerhalb eines Jahres habe es 2000 Fälle gegeben, in denen griechische Grenzschützer Flüchtlinge nach dem Grenzübertritt festgehalten, körperlich mißhandelt, bedroht und schließlich auf die türkische Seite der Grenze gebracht hätten. In der gleichen Zeit seien 129 Menschen ertrunken, die in kleinen Booten versucht hatten, vom türkischen Festland auf die griechischen Inseln zu gelangen. Mehrere dieser »push back« genannten illegalen Rückführungen wurden dabei wie im aktuellen Fall nahe der Insel Farmakonisi durchgeführt.

Weil auch der Menschenrechtskommissar des Europarates, Nils Muižnieks, sowie amnesty international wiederholt Berichte über solche Menschenrechtsverletzungen veröffentlicht hatten, hatte die Linksfraktion im Bundestag die Bundesregierung in einer kleinen Anfrage nach deren Erkenntnissen hierzu befragt. Über Quellen müßte sie durchaus verfügen: Mehrere Bundespolizisten sind bei der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex in Griechenland beschäftigt, grenzpolizeiliche Verbindungsbeamte haben eine Akkreditierung bei der dortigen deutschen Botschaft, auch Verbindungsbeamte des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sind vor Ort. Dennoch geht die Bundesregierung den genannten Berichten nicht selbsttätig nach und beschränkt sich darauf, »keine eigenen Erkenntnisse« zu besitzen.

Die Linksfraktion wertete dies in einer Pressemitteilung als »Ausdruck einer kaltherzigen Ignoranz gegenüber dem Schicksal von schutzsuchenden Menschen«. Sie warf der Bundesregierung außerdem vor, daß die zunehmende Brutalität des griechischen Grenzregimes auch mit ihrem eigenen Agieren zu tun habe und verwies auf frühere Androhungen in der EU, Griechenland faktisch aus dem Schengenraum auszuschließen. Der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hatte sich 2012 dafür stark gemacht, daß die Schengenstaaten ihre Grenzen gegenüber einem Mitgliedsstaat schließen können, wenn dieser Staat seine eigenen Außengrenzen nicht ausreichend gegen irreguläre Migration sichert.

Die Anfrage der Linksfraktion zeigt außerdem, daß die Bundesregierung über Ausstattungshilfen seit mehreren Jahren versucht, im Rahmen der »Vorverlagerungsstrategie« des EU-Grenzregimes Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Serbien und die Ukraine für eine effektivere Grenzkontrolle auszurüsten. Die Mittelmeeranrainer wie Libyen und Tunesien erhalten aus anderen EU-Staaten materielle Unterstützung, um irreguläre Migration in die EU zu verhindern, wie Menschenrechtskommissar Muižnieks in seinem Bericht kritisiert. Auch davon will die Bundesregierung »keine Kenntnis« haben.