Artikel: »Dublin II« vor Gericht

Da er dort schon Asyl beantragt hatte, ist Griechenland nach der sogenannten Dublin-II-Verordnung für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständig. Aus Sicht des deutschen Asylrechts ist der Iraker durch einen sicheren Drittstaat gereist, daher ist sein in der BRD gestellter Antrag unzulässig. Dies führt auch zu krassen Einschränkungen beim Rechtsschutz. Rechtsmittel gegen die Abschiebung haben in solchen Fällen keine aufschiebende Wirkung, wie es bei Verwaltungsakten sonst üblich ist.

Die Regelung, mit dem die Verfahren zu Lasten der Betroffenen beschleunigt werden sollen, war Teil des sogenannten Asylkompromisses von 1993. Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits 1996 mit der Frage befaßt, ob die faktische Abschaffung des Rechts auf Asyl und die verfahrensrechtlichen Einschränkungen verfassungsgemäß sind. Dies sei der Fall, befand das Gericht damals zur Bestürzung vieler Flüchtlingsorganisationen, ließ sich allerdings eine kleine Hintertür offen: Es könne sein, daß »in Ausnahmefällen der Rechtsschutzausschluss zurückstehen müsse«, so das Gericht in seiner Pressemitteilung zur anstehenden Verhandlung. Wenn nachweisbar in Frage stehe, ob ein Drittstaat »sicher« sei, müsse ausnahmsweise Rechtsschutz gewährt werden. Im Blick hatte das Verfassungsgericht allerdings nicht die Mitglieder der Europäischen Union, die per se als »sicher« gelten, sondern Nicht-EU-Staaten (damals: Österreich).

Im aktuellen Fall Griechenlands scheint das Bundesverfassungsgericht die Zweifel von Flüchtlingsorganisationen an der Einstufung Griechenlands als »sicher« zu teilen und hat deshalb schon in mehr als zehn Fällen per einstweiligem Beschluß Rechtsschutz für Asylsuchende gewährt. Die Liste der Mängel im griechischen Asylsystem ist lang: die Zustände sind chaotisch, viele Flüchtlinge haben keine Chance, überhaupt ein Verfahren zu betreiben. Aufnahmelager sind überfüllt, die medizinische Versorgung eine Katastrophe. Nach einem Monat müssen die Flüchtlinge das Land wieder verlassen. Sonst gelten sie als »Illegale«, haben keinen Anspruch auf soziale Leistungen, keinerlei Rechte und müssen ständig mit ihrer Festnahme rechnen. Dennoch gilt nach der Dublin-II-Verordnung: Asylsuchende müssen im Regelfall in dem Land ihr Verfahren betreiben, über das sie in die EU eingereist sind. Mehrere Mitgliedsstaaten sehen bereits jetzt von Rücküberstellungen nach Griechenland ab, nachdem auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Rechtsschutz gegen Abschiebungen dorthin gewährte. Damit wird aber das systematische Problem nicht behoben, daß die EU ein riesiger Verschiebebahnhof für Flüchtlinge geworden ist. Von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geht deshalb unter Umständen auch eine Signalwirkung für die Diskussionen auf EU-Ebene über eine Überarbeitung der Dublin-II-Verordnung aus. Insbesondere Griechenland und Malta fordern immer wieder eine Neufassung und eine bessere Verteilung der Asylsuchenden innerhalb der EU ein, weil sie sich mit den hohen Zahlen von Flüchtlingen aus dem Irak, Iran, Afghanistan und Pakistan überfordert sehen.