Artikel: Berlusconis Amoklauf

Italiens rechtskonservativer Ministerpräsident Silvio Berlusconi übertrifft seit seinem Amtsantritt im Frühjahr jede Befürchtung. Vor wenigen Tagen strickte er sich ein Immunitätsgesetz, das ihn vor staatsanwaltschaftlicher Verfolgung schützt, und schürt nun chauvinistische Panik:Am Freitag rief er den bislang auf einige südliche Regionen begrenzten Notstand gegen Flüchtlinge landesweit aus. Sein Innenminister Roberto Maroni (Lega Nord) hatte zuvor eine Fingerabdruckdatei für »nicht seßhafte Einwanderer« eingeführt. Am Mittwoch wurde im Parlament gegen den Widerstand der Opposition ein Gesetz durchgedrückt, das für »illegale Einreise« Gefängnisstrafen von sechs Monaten bis vier Jahren vorsieht. Abschiebungen wurden erleichtert. Damit werden Flüchtlinge rechtlos gestellt. In allen Regionen Italiens werden insgesamt zwanzig neue Aufnahmelager eingerichtet, teilweise in Militärkasernen. Sie heißen »Zentren für Identifizierung und Ausweisung« und dienen allein dem Ziel, Flüchtlinge sofort abzuschieben.

Dies ist die rassistische Antwort Berlusconis auf die Nöte von Menschen, die in ihrer Heimat keine Perspektive sehen. Die Flüchtlingsbewegungen aber sind zu einem großen Teil von den Industriestaaten verschuldet. Der Export hoch subventionierter Lebensmittel aus der EU nimmt z. B. der Landwirtschaft in Westafrika seit Jahrzehnten die Existenzgrundlage. Die Fischerei als Erwerbszweig wurde durch zu hohe EU-Fangquoten zerstört. Statt dem gegenzusteuern, hält die EU lediglich militärische und polizeiliche Maßnahmen für Flüchtlinge bereit – mit dramatischen Folgen: Tausende Todesfälle, an denen die EU unmittelbar die Schuld trägt. Erst am Samstag sind bei der Überfahrt von Libyen ein zweijähriges und ein vierjähriges Kind aus Nigeria wegen Entkräftung ums Leben gekommen. Der Vatikan kritisierte nun die italienische Regierung und betonte, auch in Zeiten des Notstands müßten Menschenrechte geachtet werden. Die linke Opposition warf Berlusconi zu Recht vor, mit der Ausrufung des Notstands Ängste zu schüren. Berlusconi betreibe eine »verabscheuungswürdige Propaganda«. Da der Regierungschef sich seiner Mehrheit bei der Parlamentsdebatte am kommenden Dienstag sicher sein kann, müssen nach Auffassung des grünen Politikers Volker Beck die EU-Kommission und der Europarat prüfen, ob in Italien noch die UN- Flüchtlingskonvention eingehalten werde.

Damit ist es nicht getan. Denn Berlusconis Amoklauf ist nichts anderes als eine zugespitzte Form der Abschottungspolitik wie sie seit langem EU-Doktrin ist – mit maßgeblicher Unterstützung der Bundesregierung. Nur eine radikale Änderung der EU-Politik, z. B. der unverzügliche Verzicht auf den Einsatz der Grenzschutzagentur Frontex, kann Flüchtlingen Schutz in Europa bieten. Berlusconis Maßnahmen sind letztlich die Konsequenz einer verfehlten EU-Flüchtlingspolitik.