Rede auf der Konferenz „Iran von innen und außen“

Liebe Freundinnen und Freunde,

Im Kriegsgeheul, das vor allem die US-Regierung gegen den Iran anstimmt, wird stets der Eindruck erweckt: Wer gegen den Krieg ist, ist für das iranische Regime. Wer gegen Bush ist, ist für Ahmadinejad. Das behaupten übereinstimmend die US-Regierung selbst, das behaupten aber auch konservative Politiker in Deutschland.
Diese Konferenz und vor allem die Anwesenheit zahlreicher iranischer Oppositioneller beweist das Gegenteil!
Ich freue mich, Euch hier begrüßen zu können, zu dieser Konferenz, die eine Konferenz ist gegen den Krieg und gegen das verbrecherische Regime des Mahmoud Ahmadinejad, eine Konferenz für einen friedlichen und demokratischen Iran!

Anrede,

von Frieden und Demokratie wollen Bush und Ahmadinejad beide nichts wissen. Der eine ist ein gefährlicher Kriegstreiber, der andere ein despotischer Fundamentalist.
Vor wenigen Wochen war Ahmadinejad an der Columbia Universität in New York. Der dortige Uni-Präsident Lee Bollinger warf ihm zu Recht vor, er zeige (Zitat) „alle Anzeichen eines mickrigen und grausamen Diktators“ und sagte wörtlich: „Sie sind entweder unverschämt provokativ oder erstaunlich ungebildet“. Der Uni-Präsident fasste die wichtigsten Kritikpunkte an dem iranischen Präsidenten zusammen: Antisemitismus, Homophobie, Menschenrechtsverletzungen am laufenden Band. Dazu gehören ganz maßgeblich auch die Unterdrückung von Gewerkschaften und Frauen, die Missachtung der Interessen von Arbeiterinnen und Arbeitern und nationaler Minderheiten wie der Kurden.

Zu den besonders Leidtragenden der iranischen Diktatur gehören die Frauen. Sie werden im Iran nach wie vor nicht als gleichberechtigte Staatsbürgerinnen, sondern als Menschen zweiter Klasse behandelt. Sie unterliegen diskriminierenden Sondergesetzen, die etwa ihre Zeuginnenaussagen vor Gericht für weniger wert erklären als Aussagen von Männern. Um zu reisen, sollen Frauen eine Genehmigung ihrer Männer vorlegen. Mit Kampagnen wie „Eine Million Unterschriften zur Änderung von diskriminierenden Gesetzen“ oder gegen die barbarische Steinigung kämpfen iranische Feministinnen und Menschenrechtsaktivistinnen gegen Unterdrückung im Namen der Religion. Aktivistinnen dieser Kampagnen wurden mehrfach festgenommen und zu Haftstrafen verurteilt, weil sie angeblich die „nationale Sicherheit“ des Landes gefährden. Eine Demonstration für Frauenrechte wurde im vergangenen Jahr brutal von der Polizei aufgelöst. Journalistinnen, die sich für Frauen einsetzen, werden systematisch verfolgt und eingeschüchtert.

Nach Angaben des Kommandeurs der Islamischen Polizei, General Ismail Muqaddam, wurden seit Verabschiedung der neuen Islamischen Kleiderordnung im Mai 2006 rund eine Million Menschen festgenommen, manche wurden für Stunden, manche für Tage eingesperrt, im August dieses Jahres waren noch 20.000 Menschen deswegen im Knast. Darunter sind auch Männer.
Außerdem, und auch das gehört zum Alltag im Iran, wurden 430.000 Menschen allein seit April dieses Jahres wegen angeblicher Verstöße gegen die Drogengesetze festgenommen. Hinzu kommen noch Geheimgefängnisse, in denen Menschen „verschwinden“.

Anrede,

Nicht nur Festnahmen, auch Todesurteile gehören zur beinahe alltäglichen Praxis im Iran. Wir werden gerade in diesem Jahr Zeugen einer der größten Hinrichtungswellen seit Beginn der islamistischen Diktatur. Alleine im Juli/August dieses Jahres sind 113 Menschen hingerichtet worden. Besonders im Visier sind dabei Homosexuelle. Seit 1979 sind rund 4000 Männer wegen homosexueller Kontakte hingerichtet worden. Es werden auch Menschen umgebracht, die zum Zeitpunkt ihrer angeblichen Tat noch minderjährig waren.

Anrede,

das Gefängnis ist offenbar eine Institution, ohne die sich die iranischen Herrscher kaum noch an der Macht halten könnten. Denn es gibt im Iran auch eine starke Protestbewegung. Es wäre vielleicht falsch, von einer organisierten Bewegung zu sprechen, aber es gibt ganz offensichtlich, das zeigen ja schon die Zahlen der Festgenommenen, sehr viele Menschen, die mit den Vorstellungen des Regimes nicht einverstanden sind.
Warum sonst sind mittlerweile 4000 Internet-Seiten gesperrt? Warum sonst hat das Ministerium für Islamische Orientierung eine Schwarze Liste von Autoren und Buchtiteln veröffentlicht, die doppelt so lang ist wie im Vorjahr?

Zu denjenigen Gegnern, die das Regime zunehmend fürchtet, gehört die Arbeiterbewegung. Immer mehr Menschen wehren sich gegen Privatisierungen, wachsende Arbeitslosigkeit und steigende Lebenshaltungskosten im Iran. Es gab in diesem Jahr schon mindestens zwölf größere Streiks und 47 Demonstrationen. Wer sich für bessere Arbeitsbedingungen, mehr Rechte für die Arbeiterklasse und damit für mehr Freiheit einsetzt, zahlt einen hohen Preis. Denn außer den staatlichen islamischen Arbeitskammern werden keine Vertretungen der Werktätigen anerkannt. Arbeiterinnen und Arbeiter, die es wagen, sich dennoch unabhängig für ihre Interessen zu organisieren, werden verfolgt. Zahlreiche Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wurden von ihren Arbeitsplätzen gefeuert. Ich erinnere auch an den Vorsitzenden der Teheraner Busfahrergewerkschaft Mansour Osanlou und den kurdischen Arbeiteraktivisten Mahmoud Salehi, die sich seit Monaten in Haft befinden.

Anrede,

Seit einigen Jahren hat sich auch die Situation ethnischer und nationaler Minderheiten im Iran verschärft. Die kurdischen Landesteile stehen unter militärischer Besatzung. Seit Wochen beschießt die iranische Armee sogar kurdische Dörfer im benachbarten Nordirak. Kurdische Radiosender und Zeitungen werden verboten und im Juli hat ein Gericht zwei kurdische Journalisten zum Tode verurteilt, weil sie ausländischen Medien über Menschenrechtssituation im Iran berichtetet hatten. Dass das Urteil bislang von der Regierung noch nicht bestätigt oder gar vollstreckt wurde, ist ein Erfolg der internationalen Protestbewegung, die das Schicksal der beiden Journalisten weltweit bekannt machte.

Anrede,

Ahmadinejad wird im Westen gerne als Verrückter dargestellt, aber ich glaube, er weiß genau, was er tut. Unter seiner Führung soll der Iran wieder die Rolle eines Gendarmen in der ganzen Region des Mittleren Ostens einnehmen, so wie es bereits unter dem Schah der Fall war. Dafür mischt das Teheraner Regime auch kräftig im Irak mit, wo fast alle schiitischen Parteien unter seiner Kontrolle stehen.

Mit seinen ständigen verbalen Angriffen auf Israel hofft Ahmadinejad, die Menschen von den inneren Problemen im Iran abzulenken. Mit einer legitimen Kritik an der repressiven Politik der israelischen Regierung gegenüber den Palästinensern haben die Äußerungen des iranischen Präsidenten nichts mehr zu tun. Denn wer Holocaust-Karikaturen-Wettbewerbe veranstaltet, befördert ganz offen den Judenhass. Ende letzten Jahres fand im Iran eine sogenannte Holocaust-Konferenz statt, die Holocaust-Leugner und Antisemiten aus aller Welt versammelte. Darunter waren deutsche NPD-Sympathisanten, amerikanische Ku-Klux-Klan-Aktivisten und Mitglieder des französischen Front National. Diese Mischung aus islamischem Fundamentalismus und westlichem Neofaschismus ist eine Kampfansage an demokratische Rechte und gleichberechtigtes Miteinander, die wir entschieden bekämpfen.

Anrede,

dass es einem manchmal schwierig gemacht wird, zu Bush und der Islamischen Republik gleichermaßen Abstand zu halten, wisst Ihr am besten. Bush und Konsorten spielen sich als Freunde der iranischen Bevölkerung auf, sie beklagen den Antisemitismus und die Gewalttätigkeit des iranischen Regimes, und sie klagen über das iranische Atomprogramm. Rechte christlich-fundamentalistische US-Senatoren, die die Rechte von Schwulen oder Frauen im eigenen Land am liebsten mit Füssen treten, spielen sich als Sympathisanten der iranischen Frauenbewegung auf. Indem sie den Wunsch vieler Iranerinnen und Iraner missbrauchen, Ahmadinejad loszuwerden, bereiten sie den Krieg gegen Iran vor.

Für uns ist klar: wer zum Krieg hetzt, ist nicht unser Freund! In diese Falle laufen wir nicht!

Wir brauchen uns nur die Beispiele Irak und Afghanistan vor Augen zu führen, um festzustellen: Wenn die USA und ihre Verbündeten – und dazu gehört auch Deutschland – Krieg gegen Diktaturen führen, dann folgt daraus noch lange nicht eine Demokratie. Auf diese falschen Freunde verzichten wir gerne.

Ich bin davon überzeugt, dass ein Krieg gegen den Iran ein Rückschlag für die demokratische Opposition wäre. Gegen die ferngelenkten Bomben der USA oder Israels können die Pasderan wenig ausrichten. Stattdessen würden sie die Gelegenheit nutzen, um mit allen inneren Kritikern der islamischen Republik blutig abzurechnen. Unter dem Mantel der Landesverteidigung und nationalen Einheit gegen den Imperialismus wird schon jetzt die Schraube der Repression angezogen. Kritiker der Islamischen Republik sehen sich regelmäßig mit dem Vorwurf konfrontiert, mit ihren Protesten das Land zu schwächen und an die USA zu verraten.

Ich bin mir im Übrigen nicht einmal sicher, ob die US-Regierung überhaupt ein Interesse daran hat, das Mullah-Regime zu stürzen. Es wäre Einigen in Washington sicherlich lieber, die Teheraner Regierung nur soweit zu zähmen, dass sie im US-Interesse mit Hilfe der Schiiten für Stabilität im benachbarten Irak eintritt und ansonsten weiterhin die Bevölkerung des Iran unten hält. Denn an einer fortschrittlichen Entwicklung im Nahen Osten, die wirklich an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientiert ist, haben die USA und ihre Verbündeten kein Interesse. Dies hieße schließlich, dass sie das Öl und die anderen Rohstoffe der Region nicht nach Belieben ausbeuten könnten.

Die Imperialisten haben nur ein Interesse daran, ihre Macht zu erweitern, ihre strategischen Einflussräume, Zugang zu und Kontrolle über Energieressourcen. Diese Profit- und Machtinteressen sind mit unseren Interessen an Demokratie und Menschenrechten absolut unvereinbar!

Es ist zutiefst heuchlerisch, wenn heute die westlichen Atommächte den Iran wegen seines Atomprogramms kritisieren und mit Krieg bedrohen. Das einzige Land weltweit, das bislang Atomwaffen eingesetzt hat, sind die USA im Zweiten Weltkrieg. Heute drohen die NATO-Staaten ganz offen mit atomaren Erstschlägen. Atommächte in der Nachbarschaft des Iran sind Israel, Indien und Pakistan. Sie alle sind mit den USA verbündet. Deswegen gibt es keine Kritik an ihren Atomprogrammen. Dabei standen Indien und Pakistan mehrfach kurz vor einen Krieg gegeneinander mit unkalkulierbaren Folgen für die ganze Region und von Israel gingen Kriege gegen seine Nachbarländer aus wie zuletzt gegen den Libanon.

Bislang ist nicht bewiesen, dass der Iran an Atomwaffen arbeitet. Das Teheraner Regime hat diese Anschuldigung bislang immer zurückgewiesen und behauptet, lediglich an der zivilen Nutzung von Kernenergie interessiert zu sein.

Sollten die iranischen Mullahs aber tatsächlich nach Atomwaffen streben, dann verschärfen die Kriegsdrohungen des Westens nur ihre Bemühungen, solche Waffen möglichst bald in die Hände zu bekommen. Jugoslawien, Afghanistan und der Irak wurden bereits zu Opfern imperialistischer Aggression. Dagegen suchen die USA mit dem gleichfalls als Schurkenstaat verschrienen Nordkorea eine Verhandlungslösung. Der Grund: weil Nordkorea mutmaßlich über Atomwaffen verfügt, wäre für die USA eine kriegerische Lösung ein unabwägbares Risiko.

Dieser unterschiedliche Umgang des Westens mit Staaten, die den imperialen Interessen entgegenstehen, ist der Teheraner Führung natürlich nicht entgangen. Es wäre nur zu verständlich, wenn Teheran zum Selbstschutz nach Atomwaffen strebt. Und aus völkerrechtlicher Sicht kann dem Iran tatsächlich nicht untersagt werden, was anderen Ländern erlaubt ist. Es ist die Arroganz westlicher Kolonialherren, anderen angeblich unzivilisierten Ländern zu diktieren, was sie dürfen und was nicht.

Doch ich bin auch der Meinung: keine Sozialistin und kein Sozialist kann wirklich Atomwaffen befürworten. Und auch gegen die zivile Nutzung der Kernenergie haben wir schon oft genug in Wackersdorf oder bei Castortransporten demonstriert. Ein iranisches Atomkraftwerk wäre ebenso gefährlich wie ein deutsches oder russisches. Es kann aber nicht die Aufgabe anderer Atommächte sein, so etwas zu verhindern. Das muss vielmehr von der iranischen Bevölkerung durchgesetzt werden.

Ich fasse zusammen: der Konflikt zwischen der Islamischen Republik einerseits und den USA und ihren Verbündeten andererseits ist ein reaktionärer Konflikt.

Ich möchte daher die iranischen Oppositionellen davor warnen, auf diplomatische oder wirtschaftliche Repressionen Europas oder der USA oder gar auf einen Krieg gegen Iran zu hoffen. Nicht jeder Feind des Mullah-Regimes ist ein ehrlicher Bündnispartner. Jede Kollaboration mit dem Imperialismus führt zu neuer Unterdrückung, neuem Terror und zu einer verstärkten neokolonialen Ausplünderung. Freiheit von Staatsterrorismus, Menschenrechte, die soziale Emanzipation und das Selbstbestimmungsrecht für nationale Minderheiten kann nur von unten von der iranischen Bevölkerung erkämpft werden. Ich bin zuversichtlich, dass die iranische Frauen- und Arbeiterbewegung, die Studierenden und die demokratischen Bewegungen der nationalen Minderheiten es früher oder später schaffen werden, das barbarische mittelalterliche islamische Regime zu stürzen. Ihnen allen gilt unsere Solidarität als Sozialistinnen und Sozialisten in Deutschland.