Artikel: Orwell-Staat de luxe

Noch am Freitag mittag beteuerte der Vizechef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach (CDU), in der Plenardebatte über die sogenannte zentrale Antiterrordatei und über das »Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz«, die BRD sei kein Polizeistaat und auch nicht auf dem Weg in den Überwachungsstaat. Der Innenexperte der Union verschwieg dabei, daß sich die große Koalition kurz zuvor bereits auf weitere Verschärfungen des Ausländerrechts verständigt hatte, die genau in diese Richtung gehen und vor allem Studierende aus Drittstaaten betreffen. Auch die Militarisierung der Innenpolitik durch einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren wird von der CDU/CSU unvermindert vorangetrieben.

Vorwand für die geplanten Verschärfungen sind die versuchten »Kofferbombenanschläge« auf Regionalzüge in Köln und Dortmund von Anfang August 2006. Damals hatte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sogleich den umfassenden Ausbau der Videoüberwachung auf Bahnhöfen angekündigt. Die neueste Planung des Bundesinnenministeriums (BMI) ist indes eine Art Eingeständnis, daß die »Wunderwaffe« Videoüberwachung zwar zu Einschränkungen der persönlichen Freiheit, aber nicht zu mehr Sicherheit führt: Sie kommt dort nicht vor.

Die Innenpolitiker von CDU/CSU und SPD wollen ausländische Studierende vor ihrer Einreise nach Deutschland verstärkt kontrollieren. Über Eckpunkte einer entsprechenden Gesetzesnovelle verständigte sich die Koalition, wie am Samstag bekannt wurde, bereits in der vergangenen Woche. So sollen vor der Erteilung eines Visums künftig nicht nur Sicherheitsabfragen bei Polizei und Geheimdiensten über die Studierenden und deren Einlader erfolgen, sondern auch über Personen, die finanziell für sie bürgen. Die Aufenthaltserlaubnis von Studierenden soll auf »mindestens ein Jahr« verkürzt werden. Bisher galt eine zweijährige Regelerlaubnis. Darüber hinaus will man die Pflicht zu häufigeren Meldungen bei den Behörden einführen. Zudem will das BMI laut einer Vorabmeldung des Nachrichtenmagazins Spiegel vom Wochenende die Ausländerbehörden der Länder drängen, verstärkt auf »Ungereimtheiten in Lebensläufen Studierender« zu achten, die bereits in Deutschland sind.

Bosbach bestätigte die Pläne am Samstag abend in der ARD-Tagesschau. Nach dem Auffliegen der »Kofferbomber« habe sich herausgestellt, daß »die Einreise der mutmaßlichen Täter wohl nicht hätte erlaubt werden müssen, wenn es diese Möglichkeiten gegeben hätte«, begründete er das Vorhaben. Die Bürgen der beiden Tatverdächtigen sollen »polizeibekannte Personen« gewesen sein. Auf die Sozialdemokraten kann sich die Union bei ihrer Absicht, Ausländer unter Generalverdacht zu stellen, wieder einmal voll und ganz verlassen: Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz kündigte am Samstag in der ARD an, man wolle auch schärfere Bestimmungen bei der Einreise von Familienangehörigen erreichen.

Die Militarisierung der Innenpolitik steht weiter auf der Agenda der Koalition. Wie der Spiegel meldete, beharren Innenminister Schäuble und Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) darauf, die Bundeswehr auch für Sicherungsaufgaben im Inland einzusetzen. Das BMI schlägt dafür eine Änderung des Grundgesetzes vor. Ein Artikel 87a soll es dem Bundestag künftig ermöglichen, die Bundeswehr auch im Inland zum Schutz ziviler Objekte einzusetzen.

Bei der SPD wird Schäubles Entwurf laut Spiegel als unfreundlicher Akt gewertet. SPD-Fraktionschef Peter Struck erklärte nach einem Gespräch mit Justizministerin Brigitte Zypries und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (beide SPD), man werde dieser Grundgesetzänderung nicht zustimmen. Dies bedeutet jedoch keineswegs, daß die Sozialdemokraten einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren ablehnen. Sie wollen ihn nur auf einem anderen Weg ermöglichen: Nach ihren Wünschen soll Grundgesetzartikel 35 so gefaßt werden, daß die Bundeswehr künftig in »Amtshilfe« für die Polizei »zur Abwehr terroristischer Gefahren« auch militärische Mittel einsetzen darf. Möglich wäre dann der Abschuß von Flugzeugen, die angeblich zu »Terroranschlägen« eingesetzt werden, solange keine unbeteiligten Passagiere zu Schaden kommen. Eine solche »Amtshilfe« hatte das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz strikt untersagt.

zuerst erschienen in: junge Welt, 23.10.2006