Artikel: Lernen im Wendland

Zwar gab das Innenministerium am Donnerstag zu, daß sich zwei französische Polizisten in Deutschland aufgehalten hätten, die Erklärung wirft aber etliche Fragen auf. So heißt es, die beiden Angehörigen der Eliteeinheit CRS seien »als Beobachter« im Wendland gewesen. Während einer von ihnen im Bereich einer polizeilichen Leitstelle eingesetzt war, sei der andere dem »Einsatzabschnitt Transport zugeteilt« gewesen. Castorgegner hätten gegen ihn eine Straftat verübt, die aber nicht näher erläutert wird. Als daraufhin Bundespolizisten eingeschritten waren, seien diese »in Bedrängnis« geraten. Der französische Kollege habe ihnen dann aus »einer Notsituation« heraushelfen wollen, hieß es. Ungeklärt bleibt dabei, warum jemand, der nur beobachten soll, Schußwaffe und Schlagstock mitführt.

Die Bilder des Fotografen Christian Jäger sprechen gegen die Nothilfever­sion. Man sieht deutlich, wie der CRS-Beamte auf einen Demonstranten zugeht, der das Bahngleis blockiert. Der Polizist richtet in aller Ruhe seine Handschuhe und nimmt den Demonstranten in den Schwitzkasten. Unbehelligt von anderen Atomkraftgegnern trägt er ihn gemeinsam mit einem deutschen Kollegen weg. Eine Notsituation ist nicht zu erkennen.

Dubios bleibt auch die Vorgeschichte dieses Einsatzes. Im Bericht des Bundes­innenministeriums, der am Mittwoch im Innenausschuß debattiert wurde, tauchte die ausländische Schützenhilfe nicht auf. Mit Bildern konfrontiert, die an diesem Tag in junge Welt veröffentlicht waren, zuckten Innenstaatssekretär Ole Schröder (CDU) und der zuständige Abteilungsvertreter aus dem Innenministerium nur mit den Schultern. Auch der Präsident der Bundespolizei, der ebenfalls in der Sitzung war, wollte nichts von einer Einladung an französische »Beobachter« wissen. Die Bilder könnten aus dem französisch-deutschen Grenzgebiet stammen, wurde geraunt, schließlich wurde eine Klärung zugesagt.

Das niedersächsische Innenministerium hatte am Donnerstag mitgeteilt, auf Einladung des Landes seien als Beobachter auch niederländische, polnische und kroatische Polizisten vor Ort gewesen. Offenbar wird das Durchprügeln des Castors als Lehrstück für europäische Polizeieinheiten betrachtet. Diese Gäste hätten aber weder Waffen noch Einsatzhelm mit sich geführt. Daß auf Einladung der Bundespolizei auch Franzosen dabei waren, sei der Hannoveraner Regierung hingegen »nicht bekannt« gewesen. Dabei oblag dem Bundesland die Gesamtleitung des Polizeieinsatzes. »Es wäre ein Skandal, wenn voll bewaffnete Polizisten aus dem Ausland in Niedersachsen illegal im Einsatz waren und Aktivisten verprügelt haben«, sagte die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Pia Zimmermann.

Bei den französischen CRS-Einheiten handelt es sich um kasernierte Elitekräfte, die bevorzugt zur Niederschlagung von Unruhen eingesetzt werden. 1977 wurden bei einem CRS-Einsatz gegen Atomkraftgegner durch sogenannte Blendgranaten ein Demonstrant getötet und mehrere schwer verletzt.

Der Bundestag hatte im Juni 2009 mit den Stimmen der damaligen Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD beschlossen, daß ausländische Polizisten von der Bundespolizei mit Vollzugsaufgaben betraut werden können. In Frankreich gilt das gleiche – ihre Feuerprobe bestand die Regelung, als deutsche Wasserwerfer während des NATO-Gipfels im April 2009 auf französischem Boden Demonstranten beschossen. Solch ein Einsatz darf dabei nur unter Leitung und »in der Regel« bei Anwesenheit der Polizei des Gastlandes erfolgen. Voraussetzung ist allerdings ein Ersuchen der »einladenden« Polizei. Weil das offensichtlich bei den Castortransporten nicht erfolgt ist, wurde nun die Nothilfeversion erfunden. Dem Gesetz hatte damals nur die Linksfraktion die Zustimmung verweigert. Die Grünen, deren Mitglied Hans-Christian Ströbele sich nun öffentlichkeitswirksam über den CRS-Einsatz empört, hatten sich damals enthalten.