Zur Diskussion um die „Zeitungszeugen“

Schon der Beirat des Zeitungszeugenprojektes, dem namhafte Historiker wie Prof. Dr. Wolfgang Benz, der Leiter des Instituts für Antisemitismusforschung der TU Berlin, angehören, scheint mir dafür zu bürgen, dass wir es hier nicht mit schlecht getarnter Nazi-Propaganda zu tun haben. Die wissenschaftliche Kommentierung entspricht zwar nicht in jedem Punkt meiner Auffassung, gleichwohl handelt es sich um bürgerliche und keineswegs faschistische Deutungsmuster des Nationalsozialismus.

All abendlich flimmern über diverse Sender Reportagen über „Hitlers Krieg, Hitlers Frauen, Hitlers Hunde …“ Im Grunde genommen handelt es sich dabei um das gleiche Problem wie bei Zeitungszeugen. Originalaufnahmen – häufig aus Goebbels Propagandaministerium – erfreuen Alt- und Jungnazis, während populärwissenschaftliche Kommentare für Aufklärung sorgen sollen. Und hier ruft auch niemand nach Zensur oder Verbot.

In den Ruch der Geschäftemacherei mit braunem Dreck kommt Zeitungszeugen allerdings durch die in Originalgröße beigelegten Naziplakate. Als authentische Quelle für den (Hobby-)Historiker hätte es hier auch eine verkleinerte Abbildung getan, wie wir sie in jedem Schulbuch finden. So besteht tatsächlich die Gefahr, dass sich Neonazis die Hetz-Poster ins Zimmer hängen.

Allerdings bezweifle, dass der Großteil der Jungnazis von heute überhaupt in der Lage ist, die damalige Frakturschrift problemlos zu entziffern. Ein reines Lesevergnügen wird es für diese Klientel jedenfalls nicht sein.

Bedenklich erscheint mir auch das Cover von Zeitungszeugen Nr. 3 mit der Schlagzeile „Das Ende der Demokratie“. Bezieht sich diese Schlagzeile eigentlich auf Hitlers Ermächtigungsgesetz nach dem Reichstagsbrand, so ergibt sich durch das in gleicher Größe und roter Farbe hinzugefügte Wort „zensiert“ eine andere, auf die Gegenwart bezogene Lesart. Unter Umständen könnte so eine Gleichsetzung der Maßnahmen durch das Ermächtigungsgesetz und der Anwendung des Urheberrechts durch das bayerische Finanzministerium herausgelesen werden – ein wahrlich hinkender Vergleich.

Abschließend meine ich: nicht von wissenschaftlich kommentierten Reprints historischer NS-Zeitungen geht eine aktuelle Gefahr aus, sondern von den heutigen Neonazis. „Nationalzeitung“ und „Deutsche Stimme“ finden sich an vielen Kiosken. Statt Zeitungszeugen, das durchaus antifaschistisch genutzt werden kann, zu verbieten, forderte ich daher ein Verbot der NPD.

Mit freundlichen Grüßen,

Ulla Jelpke