Arroganz der Macht statt politischer Konsequenzen aus Geheimdienstskandal

„Fast 40 Jahre lang wurde der kritische Publizist und Anwalt Dr. Rolf Gössner zu Unrecht vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet und als vermeintlicher Staats- und Verfassungsfeind stigmatisiert – dokumentiert in einer über 2.000seitigen Personenakte, die bis heute überwiegend geheim gehalten wird. Doch die Bundesregierung ist nach einem 15 Jahre dauernden Gerichtsverfahren, das sie in allen Instanzen verloren hat, immer noch nicht bereit, auch nur die geringsten politischen Konsequenzen aus diesem Geheimdienstskandal zu ziehen – geschweige denn Entschuldigung und Wiedergutmachung gegenüber dem von staatlichem Unrecht und jahrzehntelanger Stigmatisierung betroffenen Bürgerrechtler zu leisten. Hier offenbaren sich organisierte Verantwortungslosigkeit und Arroganz der Macht angesichts einer rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (Az. 6 C 11.18) zu Gunsten von Dr. Gössner – eines höchstrichterlichen Urteils, das politische und rechtliche Konsequenzen zur Beschränkung der Schnüffel- und Ausforschungstätigkeit des Inlandsgeheimdienstes geradezu herausfordert“, erklärt die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, zur Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Jahrzehntelange rechtswidrige Beobachtung eines kritischen Journalisten und Anwalts durch das Bundesamt für Verfassungsschutz“. Die Abgeordnete weiter:

„Die Bundesregierung entzieht sich nach jahrzehntelangem staatlichen Grundrechtsbruch, nach dem Versagen sämtlicher Kontrollmechanismen und einem mutwillig in die Länge gezogenen Gerichtsverfahren ihrer Verantwortung. Erschreckend ist der eklatante Mangel an Einsicht und Problembewusstsein, insbesondere auch hinsichtlich der Berufsgeheimnisse eines Anwalts und Publizisten, die unter Überwachungsbedingungen nicht mehr zu gewährleisten waren. Eine solche Haltung von Seiten politisch Verantwortlicher ist skandalös und eines demokratischen Rechtsstaats unwürdig.“

Die Anfrage und die Antwort der Bundesregierung sind hier einzusehen: 19_29345_Gössner_Verfassungsschutz

 

Beispiele aus der Antwort der Bundesregierung auf die Kl. Anfrage der Fraktion DIE LINKE im Bundestag:

  • Frage 8. Ist sich die Bundesregierung des Problems bewusst, dass eine jahrzehntelange geheimdienstliche Beobachtung einer rufschädigenden Stigmatisierung gleichkommt und gravierende Nachteile persönlicher, aber auch beruflicher und finanzieller Art nach sich ziehen kann, etwa weil sich Mandantinnen/Mandanten, Journalisten/Journalistinnen, Politiker/Politikerinnen, Informantinnen und Informanten, Verbände etc. von Kontaktaufnahmen, Mandatserteilungen, Referentenanfragen oder Informationsweitergaben etwa im Rahmen investigativer Recherchen abschrecken lassen?

Antwort der Bundesregierung: Es wird auf die Antwort der Bundesregierung zu Frage 8 der Kleinen Anfrage der Fraktion DIE LINKE auf Bundestagsdrucksache 17/6033 vom 1. Juni 2011 verwiesen.
Und die lautet: Die Bundesregierung ist sich der aus der Beobachtung resultierenden Konse­quenzen für die Betroffenen bewusst. Sie sind Teil der Rechtmäßigkeitsprüfung und als solche im Rahmen der Feststellung der Verhältnismäßigkeit bei jeder Beobachtungsmaßnahme zu berücksichtigen.
Also kein Wort dazu, dass diese Verhältnismäßigkeits- und Rechtmäßigkeitsprüfung im Überwachungsfall Gössner offensichtlich über Jahrzehnte entweder nicht erfolgt ist oder aber nur oberflächlich, einseitig-interessegeleitet und -ideologisch motiviert durchgeführt worden ist. Auf alle Fälle haben hier sämtliche Überprüfungs- und Kontrollmechanismen auf allen Ebenen grandios versagt. Das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls wertet diese illegale Beobachtung durch das BfV angesichts ihrer Dauer als „in handgreiflicher Weise unangemessen“. (S. 32 f. Rdnr. 56).

  • Frage: 10c) Hält die Bundesregierung – neben rechtlicher Konsequenzen – auch eine Entschuldigung von berufener Stelle und ein Angebot zur Wiedergutmachung gegenüber Dr. Rolf Gössner wegen des ihm staatlicherseits zugefügten Unrechts für geboten – insbesondere auch angesichts der Dauer der Beobachtung und des Gerichtsverfahrens, der Führung einer umfangreichen Personenakte, der nach Auffassung der Fragestellerinnen und Fragesteller verleumderischen Bezichtigung „verfassungsfeindlicher Bestrebungen“ durch das BfV sowie angesichts der negativen Folgen für Grundrechte und berufliche Tätigkeiten des Betroffenen?

Antwort der Bundesregierung zu 10c: Aus Sicht der Bundesregierung besteht kein Anlass für Konsequenzen im Sinne der Fragestellung. / Hier zeigen sich klar und deutlich organisierte Verantwortungslosigkeit und Arroganz der Macht.

  • Auf Frage 11 zum besseren Schutz von Berufsgeheimnisträger*innen: „Der Schutz der Berufsgeheimnisträgerinnen und -träger ist aus Sicht der Bundesregierung hinreichend geregelt.“ (zu 11.).
    Da fragt man sich dann doch, wie es bei einer angeblich hinreichenden Regelung dieses Problems zu jahrzehntelanger staatlicher Verletzung von Berufsgeheimnissen kommen kann, was ja nun wahrlich kein „Kavaliersdelikt“ ist.