Neonazis und »Wutbürger«

Mitglieder der »Gruppe S.« stammen aus unterschiedlichen rechten Milieus

von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 07.03.2020)

Insgesamt 13 Personen rechnen die Ermittler der behördenintern als »Gruppe S.« bezeichneten rechten Zelle zu. Auffällig ist sowohl die relativ breite geographische Verteilung der Mitglieder als auch deren Herkunft aus unterschiedlichen extrem rechten Milieus. Dies unterscheidet die »Gruppe S.« von den meisten anderen rechtsterroristischen Gruppierungen, die in den letzten Jahren enttarnt werden konnten. Denn in der Regel wurden solche von Personen gebildet, die am selben Ort lebten und sich in denselben politischen oder subkulturellen Szenen bewegten. Dies trifft etwa auf das Kerntrio des NSU aus Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zu, die sich in einem Jugendclub in Jena angefreundet hatten. Gruppierungen wie »Bürgerwehr Freital« oder »Revolution Chemnitz« bildeten sich jeweils an einem Ort. Dagegen lebten die Mitglieder der »Gruppe S.« in verschiedenen Städten in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Unter ihnen befinden sich NPD-Anhänger ebenso wie AfD-Sympathisanten, auffällig viele Mitglieder von »Bürgerwehren«, aber auch Germanentümler und »Reichsbürger«.

Als »unbestrittener Kopf« gilt den Ermittlern Werner S. Der 53jährige, der in Chats innerhalb der rechten Szene unter dem Namen »Teutonico« bekannt war, lebte zurückgezogen in Mickhausen bei Augsburg. Bereits seit vergangenem Jahr wurde der Mann, in dessen Wohnung eine 9-Millimeter-Pistole mit Munition sichergestellt wurde, von der Polizei als »Gefährder« eingestuft. Nach Informationen der Antifaschistischen Informationsstelle AIDA in München tauchte sein Name auf einer mehr als zehn Jahre alten Kontaktliste der Münchner NPD auf. Ebenfalls aus Bayern stammt Frank H. aus München, der als Präsident der sich selbst als Bürgerwehr bezeichnenden »Wodans Erben Germanien« firmierte. Marcel W., der »Sergeant-at-arms« dieser »Bürgerwehr«, die im Februar 2019 eine Flüchtlingsunterkunft überfallen hatte, wird ebenfalls zur »Gruppe S.« gerechnet. Eine Affinität zur nordischen Mythologie hat auch der als Terrorhelfer der »Gruppe S.« geltende Thomas N. Der 55jährige, der sich in seiner Freizeit als germanischer Krieger verkleidete, hatte in einem von den Ermittlern überwachten Chat erklärt, er wolle »gern nach Walhall« – die mythische Ruhmeshalle für im Kampf gefallene Krieger. Im Netzwerk »VK«, das bei Neonazis beliebt ist, rief N. Polizisten dazu auf, ihre Dienstwaffen gegen »Gesindel« einzusetzen. Brisant: Der extrem rechte Germanen-Fan ist ehemaliger Verwaltungsmitarbeiter der nordrhein-westfälischen Polizei und war dort unter anderem für die Vergabe von Waffenscheinen zuständig.

Beim mutmaßlichen Terrorhelfer Steffen B. aus dem sachsen-anhaltischen Bernburg, der in der Vergangenheit auf Neonazidemonstrationen unterwegs war, fanden die Ermittler eine selbstgebaute »Slam-Gun« mit 100 Schuss Munition. Eine Waffe dieses Typs wurde beim faschistischen Anschlag auf eine Synagoge in Halle im vergangenen Jahr verwendet. Auch der aus Magdeburg stammende Versicherungsvertreter Hagen G. wird dem Umfeld extrem rechter »Bürgerwehren« zugerechnet, wie sie nach 2015 in vielen deutschen Städten häufig auf Initiative von Neonazis unter Beteiligung von Personen aus dem ­Rocker-Milieu gebildet wurden.

Zum »harten Kern« der »Gruppe S.« gehörte zudem ein V-Mann des LKA Baden-Württemberg, der den Ermittlern Einblick in die interne Kommunikation der »Gruppe S.« ermöglichte. Dieser soll kurz nach dem Gründungstreffen – auf dem er nach Informationen der Wochenzeitung Zeit auf eine so martialische Art mit einem Messer posierte habe, »die man als Scharfmachen empfinden kann« – von sich aus an LKA und Verfassungsschutz herangetreten sein. In der »Gruppe S.« blieb er weiterhin aktiv. Bis 2017 hatte der Informant mehr als 20 Jahre seines Lebens in Gefängnissen und im Maßregelvollzug verbracht.