Rede: Öffentliche Sicherheit erfordert gute Sozialpolitik statt Panikmache

39. Sitzung des Deutschen Bundestages am Donnerstag, dem 14. Juni 2018 – Beratung des Antrags der Fraktion der AfD: „Exakte Erfassung von Straftaten unter Zuhilfenahme des Tatmittels Messer in der amtlichen Polizeistatistik“ auf Drucksache 19/2731

 

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte findet heute auch vor dem Hintergrund des Mordes an Susanna und ähnlichen Bluttaten statt. Das sind entsetzliche Verbrechen. Und an die AfD: Ganz unabhängig davon, welchen Pass oder welchen Glauben Täter oder Opfer hatten – es ist einfach unerträglich, wie Sie hier solche Dinge instrumentalisieren, um Ihre rassistische Hetze immer wieder zum Besten zu geben. Ich kann einfach nur sagen: Es ist widerwärtig.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der AfD: Sind wir jetzt schuld?)

Meine Damen und Herren, im vorliegenden Antrag fordert die AfD eine separate Erfassung von Straftaten unter Zuhilfenahme des Tatmittels Messer in der Polizeilichen Kriminalstatistik.

(Zuruf von der AfD: Und ihr wollt es vertuschen!)

Auf eine bundesweite Erfassung von Messerattacken, wie auch von der Gewerkschaft der Polizei gefordert, hat sich – das haben wir eben schon gehört – die Innenministerkonferenz vergangene Woche bereits verständigt. Das finden wir auch richtig. Der AfD-Antrag könnte damit einfach in den Papierkorb wandern.

Doch die AfD fragt gar nicht erst nur nach Messerattacken. Sie will generell Straftaten unter Zuhilfenahme des Tatmittels Messer erfassen lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der AfD)

In der Statistik würden dann auch Messer, die zum Aufbrechen einer Wohnung oder eines Autos verwendet wurden, oder das Mitführen von illegalen Springmessern auftauchen. Das wäre unserer Meinung nach nicht zielführend, es sei denn, man will einen dramatischen Anstieg von Straftaten mit Messern suggerieren, wie es im AfD-Antrag behauptet wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn Herr Curio zum Beispiel unter Berufung auf eine Anfrage in der Öffentlichkeit im Abgeordnetenhaus in Berlin von sieben Messerattacken pro Tag in Berlin spricht, ist das einfach schlicht falsch und gelogen.

(Dr. Alice Weidel (AfD): Einfach zu wenig! – Stephan Brandner (AfD): Was ist das für Unsinn!)

Denn ein Messer wird in Berlin auch dann polizeilich erfasst, wenn es gar nicht zum Einsatz gekommen ist, sondern nur mitgeführt wurde.

(Dr. Alice Weidel (AfD): Ach so!)

Wer so mit Statistiken umgeht, meine Damen und Herren von der AfD, der hat nur Angstmache und Panikmache im Sinn. Nichts anderes tun Sie auch heute wieder.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Braun (AfD): Das ist einfach menschenverachtend, Frau Jelpke! Das ist menschenverachtend von Ihnen!)

Von einem dramatischen Anstieg von Messerattacken – das haben wir heute auch schon gehört – oder einer Messerepidemie kann nicht die Rede sein. Gucken Sie einmal in den Faktencheck des gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv:

(Dr. Alice Weidel (AfD): Correctiv! Na sowas! Sehr repräsentativ!)

Kürzlich wurde nachgewiesen, dass das überhaupt nicht wahr ist.

Soweit Statistiken einzelner Bundesländer vorliegen, lassen diese ebenfalls einen geringen Anstieg von Straftaten mit Messern erkennen.

(Jürgen Braun (AfD): Mit Fakten haben Sie ja eh nichts zu tun, Frau Jelpke!)

Aber es gibt auch Gegenden, wo zum Beispiel die Zahl der Straftaten mit Messer 2017 zurückgegangen sind. Nehmen Sie doch einfach einmal zur Kenntnis: Seit Jahrzehnten gibt es einen kontinuierlichen Rückgang bei den schweren Gewalttaten. Das wollen Sie hier nicht hören. Der Kriminologe Christian Pfeiffer

(Dr. Alice Weidel (AfD): Der ist super! Der ist gut!)

beklagt im Übrigen eine wachsende Diskrepanz zwischen der gefühlten Kriminalitätstemperatur und der Realität der Zahlen.

(Dr. Alice Weidel (AfD): Ja, alles nur gefühlt!)

Pfeiffer sagt – ich zitiere ihn -:

Das hängt auch mit den Medien zusammen,

(Dr. Alice Weidel (AfD): Natürlich! Und mit rechter Hetze! Die haben Sie vergessen! – Gegenruf des Abg. Marian Wendt (CDU/CSU): Sie haben es erkannt!)

die lieber schlechte Nachrichten senden als gute. … Brutale Nachrichten, die Angst machen, halten die Einschaltquoten hoch.

Ich füge hinzu: Das hängt auch mit Politikern zusammen wie hier auf der rechten Seite,

(Dr. Alice Weidel (AfD): Natürlich!)

die dieses Klima der Angst schüren, um darin ihr Süppchen zu kochen. Das ist wirklich widerwärtig.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der AfD)

Meine Damen und Herren, immer wieder behauptet die AfD einen Zusammenhang zwischen Flüchtlingen und Gewaltkriminalität. Ich will hier einmal ganz deutlich sagen: Es gibt ein Problem vor allem mit jungen Männern.

(Dr. Alice Weidel (AfD): Ach! Echt? – Jürgen Braun (AfD): Ach nee!)

Das können Sie aus der Kriminalitätsstatistik herausanalysieren. Wenn man ernsthaft etwas gegen Kriminalität machen will – daran knüpft die Linke an -, dann muss man

(Stephan Brandner (AfD): Muss man die jungen Männer zu jungen Frauen machen!)

vor allen Dingen bei Menschen, die hierher geflüchtet sind, mit sicherer Bleibeperspektive, mit Sprach- und Bildungsangeboten, mit dem Recht auf Arbeit und Familienzusammenführung reagieren;

(Dr. Alice Weidel (AfD): Mensch, ja! Jawohl!)

denn öffentliche Sicherheit erfordert gute Sozial- und Integrationspolitik

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

und nicht Panikmache und Verschärfung, wie Sie es der Öffentlichkeit immer wieder weismachen wollen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)