Rede: Sklaverei und Menschenhandel entschlossen bekämpfen

Rede zu TOP 4 der 173. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages –

Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates (Drucksache 18/4613) 

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für die Linke ist völlig klar: Menschenhandel ist ein schweres Verbrechen. Er gehört bekämpft. Alle Maßnahmen, die dazu führen, dass er bekämpft werden kann, wird die Linke unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke (SPD))

Aber ich sage auch: Bedauerlicherweise geht der Gesetzentwurf bei weitem nicht weit genug; denn die Opfer werden so gut wie gar nicht berücksichtigt. Uns ist mindestens genauso wichtig, dass in diesem Land die Opfer geschützt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, vor wenigen Tagen hat eine australische Stiftung den sogenannten Sklaverei-Index veröffentlicht. Demzufolge gibt es in Deutschland 14 500 Menschen, die als Opfer von Menschenhandel in sklavereiähnlichen Verhältnissen leben. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen.

Die meisten von ihnen sind in der Tat junge Frauen. Ihnen werden Versprechungen gemacht. Sie werden hierhergelockt, indem sie glauben gemacht werden, dass sie gutbezahlte Arbeit bekommen. Aber kaum sind sie hier, nehmen ihre Peiniger ihnen ihre Pässe ab, damit sie sie finanziell ausbeuten können. Das sind häufig Schleuser, aber auch Zuhälter.

Tatorte können Großbordelle, aber auch Privathaushalte, Baustellen oder sonstige Betriebe sein. Menschen werden regelrecht eingekauft und danach ausgebeutet, etwa als Zwangsprostituierte, Haushaltshilfen, Pflegekräfte oder Handwerker.

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung hat vor kurzem darauf hingewiesen, dass an der deutsch-tschechischen Grenze Babys von Prostituierten zum Zweck ihrer späteren sexuellen Ausbeutung verkauft werden. Rund 4 000 Euro ist ein Menschenleben dort wert. Es ist doch ein unglaublicher Skandal, dass so etwas mitten in Europa stattfinden kann.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Silke Launert (CDU/CSU))

Meine Damen und Herren, gegenwärtig besteht die Gefahr, dass zunehmend Flüchtlinge in die Fänge von Menschenhändlern geraten. Vor allem unbegleitete Kinder und Jugendliche laufen Gefahr, von Verbrechern zum Drogenhandel oder zur Prostitution gezwungen zu werden.

Diese Menschen befinden sich in einer schier ausweglosen Lage, aus der sie sich oft alleine nicht befreien können. Selbst wenn sie eine Fluchtmöglichkeit hätten, müssten sie damit rechnen, dass ihre Familien zu Hause bedroht werden. Sie können auch nicht einfach zur Polizei gehen, weil sie oftmals keinen Aufenthaltstitel haben und fürchten müssen, selbst bestraft oder abgeschoben zu werden.

Wir dürfen nicht hinnehmen, dass es so etwas wie Sklaverei und Menschenhandel in unserem Land gibt. Deshalb sind wir moralisch und politisch verpflichtet, diesem Unrecht entgegenzutreten.

Die Bundesregierung zeigt dazu leider nur wenig Bereitschaft. Die Europäische Union hat schon vor Jahren eine Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels erlassen. Die Frist zur Umsetzung ist bereits im April 2013 abgelaufen.

Das, was die Regierung jetzt vorlegt, ist wirklich eine peinliche Schmalspurlösung. Der Gesetzentwurf beschränkt sich auf strafrechtliche Aspekte und lässt den Schutz von Opfern völlig außen vor. Menschenhändlern werden darin höhere Strafen – zwischen sechs Monaten und zehn Jahren -angedroht. Neue Straftatbestände wie erzwungene Bettelei und die zwangsweise Organentnahme werden im Gesetzentwurf benannt. Außerdem soll der Kreis von Zwangsprostituierten erweitert werden: Minderjährige zwischen 14 und 18 Jahren sollen dazugehören. All diese Verschärfungen tragen wir mit, weil es richtig ist, hier mit harten Strafen zu drohen. Der Gesetzentwurf greift aber zu kurz. Als Beispiel nenne ich die Vorschläge des Koordinierungskreises gegen Menschenhandel. Danach sollen der Missbrauch von Macht oder auch List und Täuschung in den Straftatbestand aufgenommen werden. Nichts davon finden wir im Gesetzentwurf.

Meine Damen und Herren, überhaupt kein Verständnis haben wir dafür, dass der Gesetzentwurf den wichtigsten Punkt der EU-Richtlinie völlig ignoriert, nämlich den Schutz und die Unterstützung der Opfer von Menschenhandel. Die meisten Betroffenen arbeiten weit über zehn Stunden am Tag und verdienen dabei so gut wie gar nichts. Sie arbeiten faktisch ohne Rechte. Sie haben keine Perspektive. Vor allen Dingen kommen sie aus diesem Elend nicht heraus, weil sie ständig unter dem Druck von irgendwelchen Zuhältern oder Schleusern stehen. Deswegen verdienen sie unsere Solidarität, nicht nur mit Worten, sondern vor allen Dingen auch mit Taten. Das muss sich im Gesetzentwurf niederschlagen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In der EU-Richtlinie wird eindeutig gefordert, den Menschen, denen Gewalt angetan wird, die verschleppt, ausgebeutet und ausgenutzt werden, weitreichende Unterstützung zukommen zu lassen. Es geht um den Aufbau von Beratungsstrukturen, um kostenlose Rechtshilfe, um Unterstützung bei medizinischer und psychologischer Betreuung, bei der Unterbringung und bei der Sicherstellung ihres Lebensunterhalts. Insbesondere wird in der Richtlinie der Schutz von Kindern gefordert, die dem Menschenhandel unterworfen sind. Aber auch davon findet sich nichts in Ihrem Gesetzentwurf. Der Schutz der Opfer wird von der Bundesregierung einfach hintangestellt und auf den Sankt-Nimmerleins-Tag mit der Begründung verschoben: Irgendwann werden wir dazu etwas machen. – Das ist wirklich nicht hinnehmbar, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Für uns ist das ein ganz klares Versagen; hier werden wir unserer politischen und humanitären Verantwortung nicht gerecht.

Die Linke hat in den letzten Jahren in zahlreichen Anträgen und interfraktionellen Gesprächen immer wieder eingebracht, dass zu den überfälligen Verbesserungen beim Opferschutz die Gewährung eines Bleiberechts gehört, und zwar unabhängig von der Aussagebereitschaft in einem Strafverfahren. Erst dann haben die betroffenen Menschen überhaupt die Möglichkeit, sich aus der Abhängigkeit zu befreien und sich ihren Peinigern öffentlich und juristisch entgegenzustellen.

Bislang hängt das Bleiberecht jedoch in aller Regel davon ab, ob die Betroffenen bei der Polizei oder vor Gericht eine Aussage machen. Viele Opfer schweigen aber, weil sie Angst haben, dass sie selber oder ihre Familien bedroht werden oder sogar Gewalt erleiden. Es kann also nicht sein, dass wir diese Menschen einfach in ihre Herkunftsländer zurückschicken, wo sie erneut ins Visier dieser Menschenhändler geraten. Es gibt diverse Beispiele, dass Frauen, die abgeschoben wurden, immer wieder in Deutschland aufgetaucht sind. Die Linke fordert deswegen: Opfer von Menschenhandel und moderner Sklaverei müssen in Deutschland bleiben dürfen, ohne Wenn und Aber.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Schutz der Menschenrechte muss gewährleistet werden.

Meine Damen und Herren, ich kann nur hoffen, dass dieser Gesetzentwurf in den Beratungen in den Ausschüssen verbessert wird; denn ohne Opferschutz können wir ihm wirklich nicht zustimmen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)