Rede im Bundestag: Den Überwachungswahnsinn endlich stoppen

Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister, Ihre Rede hat mir gezeigt: Auf die wesentlichen Herausforderungen der Innenpolitik haben Sie keine Antworten gefunden. Es soll im Wesentlichen so weitergehen wie bisher. Doch so darf es nicht weitergehen.
Das hat auch das heutige Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung gezeigt. Dieses Urteil ist eine kräftige Klatsche für die Überwachungspläne der Großen Koalition.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Marian Wendt [CDU/CSU]: Quatsch!)
Die verdachtslose Speicherung von Telefon- und E-Mail-Daten beinhaltet – ich zitiere das Gericht –
einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt.
Herr Innenminister und meine Damen und Herren von der Koalition, ich warne Sie: Missbrauchen Sie dieses Urteil jetzt nicht, um damit Vorratsdatenspeicherung auf Sparflamme zu rechtfertigen!
(Beifall bei der LINKEN)
Jede verdachtsunabhängige Speicherung von Verbindungsdaten ist eine Gefahr für die Bürgerrechte,
(Helmut Brandt [CDU/CSU]: Unsinn!)
für den journalistischen Quellenschutz und damit für die Pressefreiheit. Wissenschaftliche Untersuchungen haben längst gezeigt, dass die Vorratsdatenspeicherung die Aufklärungsquote von Verbrechen um gerade einmal 0,006 Prozentpunkte verbessert hat. Es ist unverantwortlich, dafür schwere Eingriffe in die Bürgerrechte in Kauf zu nehmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Akzeptieren Sie endlich, dass die grundrechtswidrige Vorratsdatenspeicherung ein für alle Mal vergessen werden muss, dass sie nicht mehr zur Debatte steht. Begraben Sie in diesem Zusammenhang auch gleich EU-Vorhaben wie die Speicherung von Fluggastdaten, von Ein- und Ausreisedaten, die aus aller Welt zusammengefasst werden. Stoppen Sie endlich diesen Überwachungswahnsinn!
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Minister, wenn ich Sie so höre, frage ich mich: Ist Ihnen eigentlich nicht bewusst, mit was für einer Vertrauenskrise in den Rechtsstaat und die Demokratie Sie es gerade zu tun haben, einer Vertrauenskrise, die durch Kürzel wie NSA und NSU gekennzeichnet ist? Schließlich haben es Polizeibehörden und Geheimdienste nicht vermocht, die Bürgerinnen und Bürger vor dem bislang größten bekannt gewordenen Angriff auf ihre Rechte zu schützen, vor der millionenfachen Spionage des US-Geheimdienstes NSA. Heribert Prantl warnte in der Süddeutschen Zeitung vor einer Aushöhlung des Grundgesetzes durch die NSA. Er forderte Mut von der Politik – Zitat –:
Wenn Grundrechte sich in einem prekären Zustand befinden, dann ist nicht Zeit für weihräuchernde Worte, sondern für schützende Taten.
Diese vermisse ich hier heute, Herr Minister.
(Beifall bei der LINKEN)
Auch die Bundesregierung rührt hier keinen Finger zum Schutz der Bürgerrechte. Sie bemüht lieber die deutsch-amerikanische Freundschaft. Doch was ist das für eine Freundschaft, bei der selbst das Handy der Bundeskanzlerin abgehört wird? Warum sträubt sich die Bundesregierung so energisch, Edward Snowden sicheres Geleit für eine Aussage vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss in Deutschland zu garantieren? Ich sage Ihnen: Diese Regierung will gar keine Aufklärung. Sie will lieber, dass der BND weiterhin als Juniorpartner der NSA vom Datenraub profitiert. Was Sie Freundschaft nennen, Herr Minister, bezeichnen wir als kriminelle Komplizenschaft. Das muss endlich ein Ende haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Versagt haben die Sicherheitsbehörden auch, als es darum ging, der Nazimörderbande NSU auf die Spur zu kommen – wenn es denn nur ein Versagen war. Wir haben schließlich etliche Hinweise, dass insbesondere der Verfassungsschutz ganz bewusst mit den Nazis paktiert hat. Die von dieser Bundesregierung gezogenen Schlussfolgerungen aus dem NSU-Skandal greifen viel zu kurz. Das BKA lässt zwar eine Reihe von ungelösten Todesfällen aus der Vergangenheit erneut untersuchen und auf rechtsextremistische Motive hin überprüfen. Doch wieso werden nicht auch Verbrechen neu überprüft, bei denen die Täter bekannt sind? Ich meine Dutzende Fälle, bei denen polizeibekannte Neonazis Migranten, Obdachlose oder Linke umgebracht haben und die bis heute nicht als politische Taten gewertet werden. Auch diese Tötungsdelikte müssen erneut untersucht werden. Nazimorde dürfen nicht mehr unter den Tisch gekehrt werden. Das sind wir auch den Angehörigen der Opfer schuldig.
(Beifall bei der LINKEN)
Bei so viel Schönrederei und -rechnerei des braunen Terrors erstaunt es wirklich nicht, dass die Regierung beim Kampf gegen Rechtsextremismus weiterhin auf Flickschusterei setzt. In den Koalitionsverhandlungen war noch von einer großzügigen Aufstockung der Gelder für die Bundesprogramme gegen rechts die Rede; doch dabei herausgekommen ist eine eher lächerliche Mittelerhöhung. Notwendig wäre mindestens doppelt so viel. Erst dann ließen sich das Bestehen und vor allen Dingen die Kontinuität der bürgerschaftlichen Projekte, die gegen Rechtsextremismus kämpfen, sichern und könnten sie flächendeckend in der Republik aufgebaut werden; denn im Westen gibt es solche Projekte so gut wie gar nicht. So zeigt diese Regierung, wie wenig sie zur Bekämpfung des Rechtsextremismus tatsächlich tut.
Im Vergleich zu NSA und NSU wirkt die Edathy-Affäre, die inzwischen in Wirklichkeit eine BKA-Affäre ist, fast schon harmlos. Dennoch hat diese Affäre beinahe eine Staatskrise ausgelöst, und einen Minister hat es das Amt gekostet. Wir haben es hier nicht mit irgendeiner Behörde zu tun. Gerade das Bundeskriminalamt hat in den vergangenen Jahren immer mehr Befugnisse zur Überwachung, zur Bespitzelung der Bürgerinnen und Bürger erhalten. Es kooperiert über verschiedene Abwehrzentren und viele gemeinsame Dateien mit den Geheimdiensten und durchlöchert so immer mehr die vom Grundgesetz gebotene Trennlinie zwischen Polizei und Geheimdiensten.
Auch in den anderen zentralen gesellschaftlichen Bereichen hat die Bundesregierung keine zeitgemäßen Antworten.Bei der doppelten Staatsangehörigkeit zum Beispiel hat es zwar eine Verständigung gegeben, aber keine Lösung. Nur wer hier geboren und aufgewachsen ist, soll nun die deutsche Staatsangehörigkeit neben einer anderen erhalten dürfen. Um das zu überprüfen, werden die Behörden mit unglaublichem bürokratischem Aufwand belastet. Das ist einfach nicht hinzunehmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, vor der Wahl haben Sie versprochen: keine Koalition ohne doppelte Staatsbürgerschaft. Dieses Wahlversprechen haben Sie schlicht und einfach gebrochen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, ich will an dieser Stelle auch die europäische Innenpolitik ansprechen. Auch sie steht vor großen Herausforderungen. Die Toten vor den Grenzen Europas und die Flüchtlingskatastrophen sind kaum noch mit anzusehen. Etwa 3,5 Millionen Syrer sind derzeit außerhalb ihres Landes auf der Flucht. Doch was ist die Antwort der Europäischen Union? Noch mehr Abschottung! Ich sage hier ganz klar: Es darf nicht sein, dass Flüchtlinge, die hierherkommen, kriminalisiert werden, weil sie illegal eingereist sind.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Jelpke, ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie auf Kosten der Redezeit des Kollegen Hahn sprechen.
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Ich komme gleich zum Schluss. – Die Bundesregierung muss und kann hier mehr Druck machen. Mit dieser tödlichen Abschottungspolitik muss endlich Schluss gemacht werden.
Sie können sich vorstellen, dass wir einem solchen Haushalt mit Sicherheit nicht zustimmen werden.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)

Die komplette Debatte hier zum download:

18028_Debatte_Haushalt_1_Lesung.pdf