Rede im Bundestag: Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizei in der EU bedeutet noch mehr Datenaustausch ohne Kontrolle

Rede von Ulla Jelpke (DIE LINKE.) zu TOP 65 der 228. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages
2./3. Beratung des Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung des Beschlusses des Rates 2008/615/JI vom 23.06.2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität
> Drs 16/12585 < Meine Damen und Herren, mit dem hier zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf soll ein EU-Ratsbeschluss ins deutsche Recht umgesetzt werden, der den Datenaustausch von Sicherheitsbehörden in Europa zur Bekämpfung von Terrorismus und grenzüberschreitender Kriminalität regeln soll. Grundlage dafür ist der Vertrag von Prüm, den sieben EU-Staaten 2006 beschlossen haben. Vom EU-Rat ist er 2008 für die ganze Europäische Union für verbindlich erklärt worden. Bereits der Prümer Vertrag verletzt elementare Menschenrechte. Das erklärte ich hier im Plenum schon, als die Große Koalition dieses weitreichende Vertragswerk im Eiltempo und weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit durchs Parlament jagte. Der auf dem Prümer Vertrag basierende EU-Ratsbeschluss schafft ein datenschutzrechtliches Monstrum, durch das das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung glatt zermalmt wird. Nach dem Grundsatz der Verfügbarkeit wird der automatische Abgleich von DNA-Profilen, Fingerabdrücken und Fahrzeugregisterdaten geregelt. Schickt also ein EU-Staat ein DNA-Identifizierungsmuster an einen anderen, bekommt er automatisch die dazu möglicherweise gespeicherten Daten. Die Sicherheitsbehörden jedes EU-Staates können so auf die zentralen Datenbanken der anderen Partner zugreifen und bei einem Treffer die dazugehörigen Daten anfordern. Die Stelle, die diese Daten ursprünglich erhoben hat, prüft dabei nicht, was mit diesen Daten anschließend passiert. Und die Betroffenen dieses Datentransfers sind erst recht von jeglicher Kontrollmöglichkeit ausgeschlossen. Die Problematik ist deutlich: denn weder gibt es EU-einheitliche Datenschutzstandards, noch einheitliche Regeln, wann beispielsweise überhaupt die DNA oder Fingerabdrücke in Dateien gespeichert werden dürfen. Hier droht eine Nivellierung auf dem niedrigsten datenschutzrechtlichen Niveau der Mitgliedsländer. Nationaler Datenschutz wird schlicht ausgehebelt. Dazu kommt ein unterschiedlicher Aufbau der Sicherheitsbehörden in den einzelnen Ländern. Geheimdienste haben in manchen anderen EU-Staaten mehr polizeiliche Vollmachten als in Deutschland. Das bedeutet, dass ausländische Geheimdienste unter Umständen aus Deutschland Daten aus Polizeibeständen erhalten, und umgekehrt, dass die deutsche Polizei Geheimdienstinformationen erhält. Das gleiche gilt für die paramilitärischen Gendarmerieverbände, die es in manchen EU-Staaten gibt. Das in der Bundesrepublik als Lehre aus dem Faschismus geltende Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten wird so über die EU kurzerhand noch weiter ausgehebelt, als es bislang schon durch Antiterrordateien, Antiterrorzentrale und BKA-Gesetz der Fall ist. Ich möchte auch auf die Möglichkeit der spontanen Datenübermittlung bei Großereignissen mit grenzüberschreitender Bedeutung wie NATO-, EU und G8-Gipfeln verweisen. Diese Möglichkeiten, bisher auf Kerneuropa beschränkt, werden nun auf die gesamte EU übertragen und dazu führen, dass noch mehr Daten etwa über kritische Journalisten oder Demonstranten ausgetauscht werden. Auf dieser Grundlage können dann Einreiseverbote oder andere Repressivmaßnahmen verhängt werden. Gegen diese Personen muß wohlgemerkt nichts vorliegen, sie müssen keine Gewalttaten begangen haben. Denn in entsprechende Dateien geraten nicht nur in Deutschland schon politisch missliebige Bürger, die etwa nach der Teilnahme an einer Demonstration im Verdacht stehen, sie könnten die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden. Ich halte schon die Speicherung dieser Daten in Deutschland für grundrechtswidrig. Aber was passiert erst, wenn solche Daten beispielsweise jetzt zum G8-Gipfel in L´Aquila an italienische Behörden weitergegeben werden? An Sicherheitsbehörden eines Landes, wo unter Regierungschef Silvio Berlusconi gerade faschistische Bürgerwehren aufgestellt werden und Soldaten bereits weitreichende Polizeibefugnisse erhalten haben. Anrede, ein weiterer Aspekt des Prümer-Vertrages und damit des hier zur Abstimmung stehenden Gesetzes wurde bislang in der öffentlichen Diskussion fast völlig ausgeblendet. Beamte von Polizei- und Sicherheitsdiensten eines Staates können mit Einwilligung eines anderen EU-Staates auch auf dessen Territorium tätig werden. Auch diese Möglichkeit, bisher auf die sieben ursprünglichen EU-Staaten beschränkt, wird nun auf die ganze EU ausgeweitet. Schon bei der gemeinsamen Strafverfolgung durch Beamte verschiedener Staaten kollidieren oft die unterschiedlichen Polizeirechte und Befugnisse miteinander. Noch problematischer wird dies bei Großereignissen wie den schon genannten NATO- und G8-Gipfeln. So waren deutsche Wasserwerfer während des NATO-Gipfels im April in Frankreich im Einsatz. Wenn deutsche Polizisten dort Straftaten begehen, beispielsweise angereiste deutsche Demonstranten misshandeln, wird dies in dem Land verfolgt, dass Einsatzort war. Rechtliche Standards, die beispielsweise in Deutschland gelten, gelten dort nicht unbedingt. Der Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger wird so schlicht ausgehöhlt und die politische Verantwortung vertuscht. Anrede, DIE LINKE tritt für ein Europa der Freizügigkeit ein, in dem die Menschen und nicht nur ihre Daten sich frei bewegen können. Den weiteren Aufbau eines grenzüberschreitenden Repressionsapparates, mit dem sich die Herrschenden in der EU gegen ihre Kritiker absichern, werden wir nicht mittragen. Viel abzustimmen gibt ja leider nicht mehr, weil wir hier ja schon längt vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Heute geht es ja nur noch um redaktionelle Änderungen im deutschen Recht. Aber so, wie DIE LINKE gegen den Prümer Vertrag gestimmt hat, stimmt sie heute auch gegen dieses Umsetzungsgesetz. (Rede zu Protokoll)