Rede im Bundestag: Datensammelwut geht in die nächste Runde – Bund protokolliert Daten von Nutzern seines Internetangebotes

Rede von Ulla Jelpke (DIE LINKE.) zu TOP 41 der 227. Sitzung des Deutschen Bundestages am Donnerstag, dem 18. Juni 2009
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Sicherheit in der Informationstechnik des Bundes
> Drucksachen 16/11967, 16/12225, 16/13259 < Sehr geehrte Damen und Herren, Stellen Sie sich einmal folgendes vor: Jedes Telefongespräch, das hierzulande geführt wird, wird von einer zentralen Bundesbehörde aufgezeichnet und mitgeschnitten - einfach so, ohne jeden Anlass. Die Daten werden dann drei Monate lang gespeichert und daraufhin untersucht, ob sie vielleicht Rückschlüsse auf Straftaten zulassen. Ein Horrorszenario? Zweifellos. Was uns die Bundesregierung mit ihrem Gesetzentwurf zur Stärkung der Sicherheit in der Informationstechnik des Bundes präsentiert, ist nicht ganz so schlimm – noch nicht, aber es geht in die von mir angedeutete Richtung. Im Kern sieht der Gesetzentwurf folgendes vor: Das Surfen auf Homepages von Bundesbehörden wird gespeichert – drei Monate lang. Es wird gespeichert, welche Bundes-Seiten die Bürgerinnen und Bürger ansteuern, welche Suchbegriffe sie dort eingeben, welche Rubriken sie besonders interessieren und wie oft sie auf die Seiten zurückkehren. Und diese Daten werden nicht nur bei der jeweils besuchten Behörde gespeichert, sondern zentral vom Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik. Dadurch ist es dann möglich, das Surfverhalten von Bürgerinnen und Bürgern weitgehend zu überwachen und abzugleichen. Es liegt auf der Hand, dass dies nicht nur einen gravierenden Einschnitt in das Telekommunikationsgeheimnis darstellt, sondern auch den Datenschutz verletzt. Die Beobachtung des Surfverhaltens im Internet lässt Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Surfers zu, die bis hin zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen reichen können. Die Fraktion DIE LINKE lehnt diesen erneuten staatlichen Eingriff in die Grundrechte entschieden ab. Aufgrund des massiven Drucks, den die Öffentlichkeit ausgeübt hat, musste die Bundesregierung einen Großteil ihres Überwachungsvorhabens aufgeben. Das ist sehr erfreulich. In der Anhörung des Bundestags-Innenausschusses haben praktisch alle Sachverständigen kaum ein gutes Haar an dem Gesetzentwurf gelassen – einzige Ausnahme war der Präsident des BSI, also jener Behörde, bei der die Daten gesammelt werden sollen. Aber auch, was von dem Entwurf übrig geblieben ist, ist noch schlimm genug. Es fehlt zum Beispiel an einer präzisen Bestimmung des Anlasses der Datenspeicherung: „Zum Erkennen, Eingrenzen oder Beseitigen“ von Störungen, heißt es im Gesetz. Das heißt: Daten werden gesammelt, noch bevor etwa ein Hackerangriff auf Bundes-Seiten überhaupt erkannt ist. Nach dem Motto: „Erst sammeln wir die Daten, und dann kucken wir mal, ob etwas Schädliches darunter ist“ - Das ist im Klartext eine Datenspeicherung ins Blaue hinein, die jedes Datenschutzniveau unterläuft. Es beruhigt uns nicht, dass die personengebundenen Daten pseudonymisiert werden – das ist schließlich ein Vorgang, der wieder rückgängig gemacht werden kann. Denn sind diese Daten erst einmal an einem zentralen Ort gespeichert, wecken sie ja nur neue Begehrlichkeiten. Wir kennen das Prinzip von der Autobahnmaut: Erst war es Zweck der Autobahnüberwachung, Mautgebühren zu kassieren, dann wurde gesagt: Jetzt, wo wir die Daten schon mal haben, können wir auch die Polizei für Zwecke der Strafverfolgung ran lassen. Die Skepsis der Fraktion DIE LINKE gegen den Gesetzentwurf speist sich auch aus den Erfahrungen, die wir bisher aus dem Umgang dieser Bundesregierung mit dem Datenschutz und den Grundrechten gemacht haben. Denn da ist die Tendenz klar: Schritt für Schritt werden immer mehr Daten gesammelt, immer mehr Grundrechte beschnitten. Bei der Vorratsdatenspeicherung wurde noch darauf verzichtet, zu erfassen, welche Internetseiten die Bürgerinnen und Bürger besuchen. Das wird nun nachgeholt. Wie lange wird es dauern, bis die Bundesregierung nachholt, woran sie nun gescheitert ist, und auch von privaten Diensten wie google oder amazon erlaubt, das Internetverhalten der Nutzer personengebunden zu speichern? Und bis auch auf Pseudonymisierungsverfahren verzichtet wird? Schon nach der jetzigen Regelung soll es möglich sein, dass der Verfassungsschutz auf die Aufzeichnungen zugreift – und zwar ohne richterlichen Beschluss, es genügt dafür die Zustimmung des Bundesinnenministers. Da sind die nächsten Geheimdienstskandale vorprogrammiert. Nicht vergessen werden sollte, dass der Bund nicht der einzige ist, der an solchen Daten ein Interesse hat. Man muss hier auch an private Dienste denken, an die Privatwirtschaft und an ausländische Geheimdienste. Die grundlegende Frage ist doch: Wenn man schon so gravierend in Grundrechte eingreift, hat man dann wenigstens einen guten Grund dafür? Und da sagt DIE LINKE klar: Nein, es liegen keine ausreichenden Gründe vor. Denn den Nachweis, dass die Datensammelei sachlich notwendig ist, bleibt die Bundesregierung schuldig. Sie versäumt es, überhaupt darzulegen, welches Ausmaß gegenwärtig Angriffe auf IT-Anlagen des Bundes haben, der Gesetzentwurf zeichnet sich durch das Fehlen jeglicher harter Fakten aus. Der Sachverständige Patrick Beyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung hat in der Anhörung überzeugend darauf hingewiesen: Die Sammlung personenbezogener Daten zur Abwehr von IT-Angriffen ist weder nötig noch hilfreich, ja sie ist sogar eher kontraproduktiv. Selbstverständlich ist es legitim, wenn der Bund seine Kommunikationstechnik schützen will. Sinnvoll ist da der Einsatz von stetig optimierten Schutzsoftwares, Firewalls usw., sinnvoll ist es, kontinuierlich nach Sicherheitslücken zu suchen und sie zu schließen. Aber personenbezogene Daten benötigt man dazu nicht oder allenfalls in extrem wenigen Ausnahmefällen – doch wenige Ausnahmen können es nicht rechtfertigen, alle Internetsurfer auf Bundesseiten unter Generalverdacht zu stellen. Darüber hinaus ist es mehr als fraglich, welchen Sinn es macht, eine zentrale Bundesbehörde mit dem Schutz sämtlicher Bundes-Kommunikationstechnik zu beauftragen. Je mehr Daten an einer zentralen Stelle lagern, desto anfälliger und bedrohter werden diese. Diese Lektion müsste sich mittlerweile bei allen Internetnutzern herumgesprochen haben. Sinnvoller als eine solche zentrale Lösung wäre daher ein, dem Netz angepasster, dezentraler Schutz. DIE LINKE fordert, das Motto zu beachten: Der beste Datenschutz besteht darin, Daten, die man nicht unbedingt benötigt, gar nicht erst zu sammeln.