Gutes Argument: Gewalttäter links – eine Willkürdatei

Darin finden sich weit über 10000 Personen, die in der Vergangenheit einschlägig „polizeilich in Erscheinung getreten“ sein sollen. Erst vor wenigen Wochen, vor den Protesten gegen den Nato-Gipfel, erhielten etliche von ihnen Meldeauflagen, die sie quasi an ihren Wohnort fesselten. Gegen andere wurden an der deutsch-französischen Grenze unter Hinweis auf die BKA-Listen Ausreiseverbote verhängt.
Am Beispiel der „Gewalttäterdatei links“ wird gezeigt, dass bei der Einspeisung der Daten ein großes Maß an Willkür herrscht, die gravierende Folgen für die Betroffenen haben kann – vor allem in Form der faktischen Außerkraftsetzung von Grundrechten wie Freizügigkeit und Versammlungsfreiheit.

„Gewalttäterdatei links“

Die Datei ist eine sogenannte Verbunddatei, d. h. sie wird vom BKA geführt, aber die Länderpolizeien (Staatsschutzdienststellen) können selbständig Datensätze eingeben und abrufen. Eingerichtet wurde sie im Januar 2001, um eine „Verbesserung der Situation bei der Bekämpfung politisch motivierter Straftaten“ herbeizuführen, so die Bundesregierung. Ausschlaggebend für die Einrichtung einer solchen Datei war eigentlich die Bekämpfung neofaschistischer Gewalt. Gleichsam „en passant“ wurde hierbei die Datei „Gewalttäter links“ eingerichtet. Im September 2001 waren hierin 426 Datensätze enthalten, im Stand Oktober 2006 waren es 1292 Einträge.

Mogelpackung

Anders als der Name suggeriert, werden keineswegs nur Gewalttäter registriert. O-Ton Bundesregierung: Es werden „nicht nur ‚Gewalttaten’ im engeren Sinne“ gespeichert – das erweist sich als reiner Euphemismus. Das BKA hat einen wahren Gemischtwarenladen an Vorwürfen parat, der zum Dateieintrag führt. Beispielsweise „gefährliche Eingriffe in den Verkehr“, „Störung öffentlicher Betriebe“, „Nötigung“. Häufig ermittelt die Polizei wegen solcher Delikte nach Straßenblockaden, etwa gegen Naziaufmärsche. Dass der Nötigungs-Vorwurf im Laufe des Ermittlungsverfahrens oder vor Gericht fallen gelassen oder auf einen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung reduziert wird, spielt für den einmal ergangenen Dateieintrag keine Rolle. Denn rechtskräftige Verurteilungen müssen nicht vorliegen, es genügt die erhobene „Beschuldigung“.

Auch typische Demonstrationsdelikte finden sich in der Liste, so Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und selbst Verstöße gegen das Vermummungsverbot. Es sei wiederholt: Die bloße Anschuldigung genügt. In der Praxis macht die Polizei häufig aus dem Mitführen eines Halstuches („zur Vermummung geeignet“) einen Gesetzesverstoß.
Aber es geht auch ganz ohne konkrete Beschuldigung. Es genügen bereits einfache Personalienfeststellungen, Platzverweise und Ingewahrsamnahmen, „wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Betroffenen Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden.“ Die ominösen „bestimmten Tatsachen“ können alles mögliche sein – es genügt ja die Beschuldigung, Gerichtsfestigkeit ist nicht vonnöten. Ohnehin hält die Bundesregierung präzise Definitionen, wann genau eine Einstellung in die Dateien erfolgt, für unnötig, „weil Lebenssachverhalte und Präventionsbedürfnisse sich solcher starren Einordnung grundsätzlich entziehen“ – eine hübsche Umschreibung für Willkür. Der Bürgerrechtsverein bedachte das BKA deswegen mit dem „BigBrotherAward“ 2002 (http://www.bigbrotherawards.de/2002/.gov).
Speicherung auch nach Freispruch

Einstellungen von Ermittlungs- oder Strafverfahren und selbst rechtskräftige Freisprüche führen nicht zwingend zu einer Löschung des Eintrages, denn Zweck der Datei ist es, „Erkenntnisse“ aus polizeilichen Maßnahmen zu sammeln, unabhängig von ihrem weiteren Verlauf. Die Speicherfrist beträgt fünf Jahre (bei Jugendlichen drei Jahre) – und sie kann verlängert werden.

Geheimsache mit Folgen

Es gibt keinen effektiven Rechtsschutz gegen die Speicherung als „Gewalttäter“. Theoretisch kann man seine Löschung beantragen und ggf. vor Gericht durchsetzen. Der Haken dabei: Über den Eintrag in die Datei wird man nicht informiert. Einzige Möglichkeit wäre, beim BKA Auskunft zu verlangen. Das müsste man nach jeder Personenkontrolle wiederholen, um sicherzugehen.
Bedenklich ist dies vor allem, weil der Eintrag in die Datei ganz praktische Folgen hat. Die – zu Recht oder Unrecht – unterstellte Gewaltbereitschaft führt zu einer „Intensivierung polizeilicher Kontrollen“ (Bundesregierung). Ein Polizist, der eine Demonstrantin kontrolliert, die ihm der Computer als Gewalttäterin bezeichnet, wird eine etwa mitgeführte Sonnenbrille eher als Vermummungsgegenstand interpretieren und die „Übeltäterin“ im Zweifelsfall in Gewahrsam nehmen. Wird der Staatsschutz informiert, steht umgehend ein weiterer Eintrag in der Datei – ohne dass es jemals zu einer Gewalttat gekommen ist!

Unverhältnismäßig

Die Folgen sind gravierend: Anfang April 2009 verweigerte die Bundespolizei mindestens 120 Personen die Ausreise nach Frankreich, um sie von den Demos gegen den Nato-Gipfel abzuhalten. Häufig wurde dies den Betroffenen mit ihrem Eintrag in die Gewalttäterdatei begründet. Andere mussten sich in ihren Heimatorten bei der Polizei melden. Die Grundrechte auf Freizügigkeit und Versammlungsfreiheit wurden ihnen genommen, ohne dass sie hiergegen rechtzeitig hätten klagen können. Bedenkt man, dass als Anlass schon das Vorliegen eines simplen Platzverweises oder ähnliche Bagatellen genügen, ist der Eingriff in die Grundrechte absolut unverhältnismäßig und verfassungswidrig. Die sogenannten Gewalttäterdateien wirken in der Praxis wie Schwarze Listen politisch unliebsamer Personen.

Nachbardatei: IgaSt und Sport

Eng verwandt mit den „Gewalttätern links“ ist die BKA-Datei „International gewalttätig agierende Störer“. Sie wurde im Juli 2003 eingerichtet und enthält Daten zu Globalisierungsgegnern (die Anzahl der Datensätze ist nicht bekannt), nach gleichem Verdachtsschema wie „Gewalttäter links“. Zusätzlich werden hier auch Daten zu „Kontakt- und Begleitpersonen“ gespeichert. Vor dem G8-Gipfel in Genua 2001 und dem Nato-Gipfel 2009 hat das BKA Daten an die italienische und französische Polizei übergeben. Ob sie dort „nach Gebrauch“ tatsächlich vernichtet wurden, entzieht sich der Kontrolle des BKA.
Das Modell für diese politischen Dateien ist die Datei (früher Kartei) „Gewalttäter Sport“. Diese wurde eingeführt, um gegen Fußball-Hooligans vorzugehen, ist aber auch zur Verdachtsdatei verkommen, bei der die inzwischen knapp 10.000 Betroffenen nicht wissen, welches Verhalten sie zum Teil dieser Datei macht. Die Folge: Stadion- und Ausreiseverbote, „Gefährderansprachen“, Meldeauflagen…

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat im Dezember 2008 entschieden, die Sport-Datei sei rechtswidrig, weil keine Rechtsverordnung des Bundesinnenministeriums und kein Beschluss des Bundesrates vorliegen. Das gleiche trifft im Prinzip auf die anderen Verbunddateien zu („Gewalttäter links“, „Ausländerkriminalität“, „Innere Sicherheit“) . Gegenwärtig hat man gute Chancen, vor Gericht seine Entfernung aus solchen Dateien zu erwirken!
Geht es nach den Bundesländern Niedersachsen und Saarland, soll die Gewalttäterdatei auch bei Europol angesiedelt werden, um den polizeilichen Informationsaustausch zu systematisieren. DIE LINKE fordert hingegen, die Dateien Sport, Gewalttäter links, Ausländerkriminalität und IgaSt zu löschen, weil sie in verfassungswidriger Weise die Grundrechte auch unbescholtener BürgerInnen verletzen.

Gute_Argumente_Gewalttäterdateien.pdf