Artikel: Ukraine als Spielball deutscher Innenpolitik

In der Ukraine stößt die von CDU/CSU und SPD eingeführte schikanöse Neuregelung, daß nachziehende Ehegatten vor ihrer Übersiedlung nach Deutschland eine Sprachprüfung absolvieren müssen, auf genauso großes Unverständnis wie in der Türkei und anderen betroffenen Ländern. Vor Erteilung eines Nachzugsvisums müssen seit August 2007 grundsätzlich deutsche Sprachkenntnisse durch einen Test an einem Goethe-Institut nachgewiesen werden. Die Ukraine ist nach Rußland mit 603700 Quadratkilometern flächenmäßig der zweitgrößte Staat Europas. Gerade in einem so großen Land bedeutet die Neuregelung des Ehegattennachzugs eine erhebliche praktische Erschwernis. Leidtragende der vor allem von der CDU betriebenen Gesetzesänderung sind übrigens auch jüdische Kontingentflüchtlinge bei der Auswanderung nach Deutschland.

Nachteilig für die Ukrainer hat sich zudem der in der letzten Legislaturperiode des Bundestags von der damaligen CDU/CSU-Opposition betriebene sogenannte Visa-Untersuchungsausschuß ausgewirkt. Von der Union wurde seinerzeit skandalisiert, daß das Auswärtige Amt vorübergehend den Grundsatz »Im Zweifel für die Reisefreiheit« formuliert hatte. Dadurch sei es zu einer zu großzügigen Visavergabe gekommen, die angeblich Schwarzarbeit und Zwangsprostitution gefördert habe – ein Zusammenhang, der sich aber nie nachweisen ließ.

Jedenfalls steht seither die Visastelle der Deutschen Botschaft in Kiew unter besonders strenger Beobachtung durch die Bundesregierung. Die Zahl der Visaanträge ist gegenüber den »Rekordjahren« 2002 und 2003 von etwa 270000 auf nunmehr 140000 im Jahre 2007 gesunken. Allmählich entwickelt sich aber ein Gegendruck aus der Wirtschaft, wieder zu einer etwas liberaleren Visavergabe zu kommen.

Die Europäische Union, welche dem russischen Einfluß in der Ukraine entgegenwirken will, vertritt allerdings eine etwas andere Linie als die Bundesregierung. Zum 1.Januar 2008 wurde ein Abkommen zwischen der EU und der Ukraine über »Erleichterungen bei der Erteilung von Visa« in Kraft gesetzt. Die Visagebühr wurde von 60 auf 35 Euro gesenkt. Für Visaanträge von Geschäftsreisenden sowie von Ukrainern, die nahe Angehörige in Deutschland besuchen wollen, wurde als Modellversuch ein »Expreßschalter« eingerichtet. Für diese begünstigten Gruppen ist somit eine schnelle Visaerteilung möglich, während andere Antragsteller erst um einen Termin nachsuchen müssen.

Die Ablehnungsquote liegt bei relativ hohen zehn Prozent. Die Sonntags-FAZ berichtete am 18. Mai 2008, daß manche Antragsteller daher von vorneherein auf die Botschaften anderer Schengen-Staaten ausweichen würden. Eine Erleichterung bietet die BRD-Botschaft laut FAZ für Mehrfachreisende, die nach drei korrekt genutzten Visa künftig nicht mehr persönlich in Kiew vorsprechen müssen. Natürlich profitieren davon in erster Linie Geschäftsleute. Aber selbst diese für einen kleinen Kreis Privilegierter gedachte Vergünstigung stößt auf Kritik bei der CDU, deren Innenpolitiker Reinhard Grindel und Clemens Binninger in der »Zeitung für Deutschland« neue Mißbrauchsmöglichkeiten witterten. Damit setzen sich Grindel und Binninger sogar in Widerspruch zu dem gerade von der CDU/CSU propagierten »Nützlichkeitsprinzip«, wonach Reisemöglichkeiten im wirtschaftlichen Interesse großzügiger gewährt werden als humanitäre Hilfe.

Ein aktuelles Beispiel für zusätzliche Wünsche der Wirtschaft ist die Nachfrage nach Erntehelfern. Hierfür stehen Saisonarbeiter aus Polen heutzutage nicht mehr in ausreichender Zahl zur Verfügung, weil diese jetzt bessere Verdienstmöglichkeiten in Großbritannien und Irland, aber auch im eigenen Land finden. Deswegen fordern die deutschen Bauern verstärkt Erntehelfer aus der Ukraine an oder bieten die Möglichkeit landwirtschaftlicher Praktika an. Der Ruf nach einer unbürokratischen Einreise von Saisonarbeitern wird immer lauter. Dies würde freilich dem Anliegen einer humanitär begründeten Migration nichts nützen.