Rede zum Haushalt 2016

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst einmal der Kollegin Högl anschließen, weil auch ich der Meinung bin, dass eigentlich das ganze Haus dankbar sein muss über das großartige Beispiel der Solidarität mit den Flüchtlingen. Ich finde es unglaublich, dass sich mitten in der Nacht in Dortmund Hunderte Menschen aufmachen und die Flüchtlinge freundlich empfangen. Deswegen sage ich auch im Namen meiner Fraktion: Herzlichen Dank!

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist aber richtig: Auf der anderen Seite haben wir auch ein ganz anderes, ein hässliches Gesicht. Die Gewalttaten gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte sind in die Höhe geschnellt. Tagtäglich erleben wir in diesem Land Hetze, Anschläge und Aufmärsche von NPD, Pegida und rassistischem Mob. Das sind die hässlichen Seiten; aber auch auf das Gerede, das Sie, Kollege Strobl, und auch Sie, Herr Minister, heute wieder über den angeblich massenhaften Asylmissbrauch veranstalten, trifft das zu. Ich möchte einmal darauf zurückkommen. Sie haben den Westbalkan angesprochen. Da wird im Grunde genommen pauschal einer ganzen Flüchtlingsgruppe das Recht abgesprochen, dass deren Asylanträge unvoreingenommen geprüft werden. Das kann meines Erachtens so nicht gehen.

Ich will ein paar Beispiele bringen: Im Juni waren 28 Prozent der Flüchtlinge aus dem Westbalkan, nämlich 3 611 Menschen, Roma. Selbst die EU-Kommission bzw. EU-Kommissare berichten in ihren Unterlagen, dass diese Menschen extremer sozialer Ausgrenzung, rassistisch motivierter Gewalt – auch durch staatliche Institutionen – ausgesetzt sind. Sie tun hier aber einfach so, als wenn all diese Leute vor allen Dingen auf den Arbeitsmarkt wollten, und diskriminieren diese Menschen dadurch, indem Sie ihnen im Grunde genommen das Recht absprechen, hier Asyl zu beantragen. Deswegen sage ich ganz eindeutig: Das Asylrecht darf nicht ausgehöhlt werden. Die Linke wird jedenfalls bei der geplanten Form der Aushöhlung nicht mitmachen.

Schauen wir uns doch einmal um: 43 Prozent der Flüchtlinge aus dem Kosovo wurden dort im vergangenen Jahr anerkannt. In Frankreich waren 20 Prozent der Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina ebenfalls anerkannt worden. Dies sage ich, um hier nur wenige Beispiele zu nennen. Wir verlangen hier ganz klar von Ihnen eine klare Prüfung jedes einzelnen Asylantrags statt pauschaler Verurteilungen von Flüchtlingsgruppen, die aus dem Westbalkan kommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, zu den Vorschlägen der Koalition, die gestern vorgelegt wurden, nachdem im Mittelmeer bereits über 2 000 Menschen ums Leben gekommen sind, und angesichts der Gewalt an den Grenzen in Europa und der grausamen Bilder, wie in Ungarn, Montenegro und in anderen Ländern mit Flüchtlingen umgegangen wurde, muss man wirklich sagen: Dieses Papier mit den von Ihnen gemachten Vorschlägen ist eigentlich mehr als kläglich.

Zu den 3 Milliarden Euro, die jetzt den Ländern und Kommunen zur Verfügung stehen, kann ich Ihnen jetzt schon sagen: Das wird viel zu wenig sein. Wir brauchen endlich eine gesetzliche Regelung, dass Bund und Länder gleichermaßen für die Unterkunft der Flüchtlinge aufkommen müssen. Das bedeutet zum Beispiel, von Anfang an bundesweit die Kosten für die Flüchtlingsaufnahme zu übernehmen und den Kommunen das zu überlassen, was wichtig ist, nämlich die Integration von Anfang an, also Sprachunterricht, Eingliederung in den Arbeitsmarkt und die Dinge, die nötig sind, damit die Menschen hier schnell wirklich ankommen.

Es hat lange genug gedauert, bis Sie überhaupt reagiert haben. Gestern hat die Bundeskanzlerin gesagt: Wir waren schnell beim Retten der Banken, jetzt müssen wir schnell beim Retten von Flüchtlingen sein. – Ich meine, dass es viel zu viele Monate gedauert hat, bis hier wirklich etwas geschehen ist.

Fakt ist jedenfalls: Im Moment werden viele in riesigen Sammelunterkünften untergebracht, Lager werden schnell hergerichtet. Wir wollen verhindern, dass solche Notlösungen zu Dauerlösungen werden. Deswegen muss ganz schnell etwas passieren, damit die Flüchtlinge auf einen entsprechenden bezahlbaren Wohnraum verteilt werden und auch zu Freunden und Familienangehörigen gehen können. Insbesondere was die Stigmatisierung durch solche Massenlager angeht und diese befördert, muss etwas passieren.

Die Koalition hat hier unter anderem eingebracht, dass kein Bargeld, sondern Sachleistungen vergeben werden. Das ist hier heute auch noch einmal gesagt worden. Ich halte das für den reinsten Populismus, denn sparen lässt sich damit nicht wirklich.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Der bürokratische Aufwand für die Ausgabe von Sachleistungen wird – dies ist von den Kommunen immer wieder gesagt worden – viel höher und viel teurer sein. Deshalb wird man hier nicht sparen. Ausgerechnet beim Taschengeld wollen Sie sparen. Das, was man damit gerade noch erledigen kann, gehört zu den elementaren Grundbedürfnissen, nämlich Telefonate führen, Busfahrkarten kaufen oder vielleicht auch einmal irgendwo einen Kaffee trinken. Ausgerechnet hier wollen Sie Sachleistungen vergeben. Ich finde, das treibt Flüchtlinge wirklich in die Isolation und verhindert jede Teilhabe am öffentlichen Leben. Deswegen werden wir solche Attacken auf die Menschenwürde der Flüchtlinge auf gar keinen Fall mitmachen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, Zuwanderung muss eine Bereicherung sein. Es ist durch Studien erwiesen, dass Zuwanderung eben nicht Zuwanderung in unsere Sozialsysteme heißt. In der Tat werden die Wirtschaft und die Sozialsysteme sogar gestärkt. Deshalb denke ich: Egal ob Menschen aus Angst vor Verfolgung, Krieg, Hunger oder Armut fliehen, es muss darum gehen, Fluchtursachen zu beseitigen. Das bedeutet die Beendigung von Kriegen insbesondere im Mittleren und Nahen Osten. Es bedeutet aber auch, die Fluchtursachen, die jeden Tag neu geschaffen werden, zu beseitigen. Ich schaue in die Türkei, wo Erdogan Krieg gegen die Kurden führt. Was höre ich von der Bundesregierung dazu? Nichts. Im Gegenteil, man schweigt. Ich schaue nach Frankreich, wo man verstärkt Luftangriffe gegen Syrien fliegen will. Auch hier passiert nichts. Solange die Fluchtursachen nicht bekämpft werden, werden die Flüchtlinge hierherkommen, und weitere werden hierherkommen. Deswegen sage ich: Machen Sie endlich etwas gegen die Fluchtursachen, reden Sie nicht nur darüber! Hören Sie auf, Länder wie die Türkei oder andere Länder mit Waffen zu füttern.

Vizepräsidentin Petra Pau:

Kollegin Jelpke, achten Sie bitte auf die Zeit.

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Das ist die einzige Lösung, die wirklich hilft: dass Menschen in ihren Herkunftsländern bleiben können und ihr Leben dort perspektivisch aufbauen können.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))