Artikel: Haftgrund Flucht

Was ist denn das für ein Wimmern?« Dem Direktor des Polizeigefängnisses auf der griechischen Insel Lesbos ist sichtlich unwohl, als die deutschen Besucher im Flur des Gebäudes die Arrestierten befragen. Gerade noch hatte er unserer Delegation des Innenausschusses des Deutschen Bundestages versichert, bei ihm säßen nur männliche Erwachsene ein. Menschen, die als Flüchtlinge nach Griechenland kamen und nun entweder auf ihre Registrierung oder ihre Abschiebung warten. Aber auch Kriminelle. »Bei uns gibt es weder Kinder noch Frauen.« Und doch hören die deutschen Parlamentarier eindeutig das Weinen einer Frau. Also wenden wir uns an die Gefangenen, denen wir im Flur begegnen. Ja, bei ihnen sitze auch eine Frau ein, eine junge syrische Kurdin, sagen sie uns. Nach einigem Hin und Her bestätigt das dann der Gefängnisdirektor: Tatsächlich ist auch eine Frau eingesperrt – als einzige im Männerknast. Die Deutschen sind empört, der Anstaltschef wird später Ärger mit dem griechischen Innenministerium bekommen, die Frau wird verlegt.

So untypisch es ist, einen Gefängnisdirektor in flagranti beim Lügen zu erwischen, so typisch ist doch das Geschilderte für das griechische Asylsystem, das diesen Namen eigentlich gar nicht verdient. Es erschöpft sich größtenteils darin, Flüchtlinge einzusperren.

Bei meinem letzten Besuch vor zwei Jahren sah es noch etwas anders aus. Flüchtlinge wurden praktisch komplett sich selbst überlassen. In Athen warteten Tag für Tag Hunderte auf einen Termin bei der Asylbehörde, aber nur die wenigsten kamen an die Reihe. Die Mehrzahl kam gar nicht erst in das Prüfverfahren. Mehrere tausend Migranten überquerten monatlich die Grenze der Türkei nach Griechenland, über 50000 Asylverfahren waren anhängig. Einen Schutzstatus erhielten nur drei bis vier Prozent dieser Menschen. Tausende campierten wild in den Zentren der Großstädte oder an den Fährhäfen. Im Hafen von Patras versuchten junge Männer unter Lebensgefahr, sich am Unterboden von Lastwagen auf die Fähren zu schmuggeln. Das geht heute nicht mehr, weil die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt wurden. Zudem sind die Migranten weniger sichtbar, weil sie Razzien durch die Polizei und Inhaftierung fürchten müssen.

Seit einigen Jahren setzen die griechischen Behörden rigoros auf eine Politik der Abschreckung durch Haft. Menschen, die ohne gültige Papiere und Visa über die Grenze kommen, werden eingesperrt, sobald die Polizei ihrer habhaft wird. Egal, ob sie Asyl beantragen oder nicht – die staatlichen Stellen und ein Großteil der Bevölkerung betrachten sie als Straftäter.

Eingesperrt werden sie in den Zellen der Polizeiwachen gemeinsam mit Kriminellen oder in Anstalten, die schönfärberisch »Aufnahmezentrum« genannt werden. Ich habe mir in Amygdaleza bei Athen ein solches gemeinsam mit den anderen fünf deutschen Abgeordneten des Innenausschusses angesehen. Da ich jahrzehntelang als ehrenamtliche Justizvollzugshelferin gearbeitet habe, bin ich mit dem Gefängnissystem als solchem und den Mängeln im (deutschen) Justizvollzug durchaus vertraut. Aber Zustände wie in diesem griechischen »Aufnahmezentrum« habe ich noch nicht gesehen.

Es ist eine Art Containerlager, um das ringsherum ein Stacheldrahtzaun gezogen ist. Die Flüchtlinge werden meist in Gruppen nach Herkunftsländern zusammengefaßt, die auch untereinander durch Stacheldraht getrennt sind. Es gibt keinen Sportplatz, keine Freizeiteinrichtungen, keine Möglichkeiten, einer Arbeit nachzugehen, keine Bibliothek. Die Flüchtlinge können keinen Besuch empfangen. Mit einer Gesetzesänderung ist im vorigen Jahr die maximale Haftdauer von drei auf 18 Monate verlängert worden. Alle Flüchtlinge, mit denen ich sprechen konnte, saßen schon seit mindestens zehn Monaten ein, und sie hatten noch nicht eine einzige Anhörung zu ihrem Asylantrag. Kein Wunder, daß viele eine Art Lagerkoller entwickeln und das Gefühl haben, allmählich durchzudrehen. Selbst diejenigen, die verzweifelt einer »freiwilligen« Rückführung in ihr Heimatland zustimmen würden, müssen bleiben. Das Verfahren wird gnadenlos durchgezogen.

An der türkischen Grenze

Als Land an der Außengrenze der EU gehört Griechenland zwangsläufig zu den Hauptzielländern von Flüchtlingen. Dabei hat es in der letzten Zeit erhebliche Änderungen sowohl bei deren Zahl als auch bei den Hauptfluchtrouten gegeben. So landeten zwischen 2006 und 2009 monatlich Tausende Migranten mit Booten auf den Inseln in der Ägäis. Als Griechenland seine Küstenwache ausbaute, wichen die Flüchtlinge – bzw. ihre Schleuser – auf den Landweg aus. Sie reisten über die 200 Kilometer lange Grenze zur Türkei ein. Über eine lange Strecke bildet der Fluß Evros eine natürliche Barriere, auf den restlichen zwölf Kilometern wurde im vorigen Jahr eine Sperranlage errichtet. Zeitweise waren dort bis zu 1800 Grenzpolizisten zusätzlich im Einsatz, unterstützt von Beamten der EU-Grenzschutzagentur Frontex.

Die Abschottung der Landgrenze sorgt nun wiederum für eine Verlegung der Fluchtrouten. Waren im April vorigen Jahres an der griechisch-türkischen Landgrenze noch 3771 Übertritte festgestellt worden, so sank diese Zahl im April dieses Jahres auf 148. Schon allein die massive Präsenz der Grenzpolizei hält die Flüchtlinge ab; dazu kommen Berichte über illegale Rückschiebungsaktionen der Staatsbediensteten. Zum Teil weichen die Flüchtlinge nun auf die türkisch-bulgarische Grenze aus, zum größten Teil wiederum auf den Seeweg. Im April 2012 waren an griechischen Küsten gerade einmal 32 Flüchtlinge registriert worden, im April dieses Jahres bereits 597.

Die Überwachung auch des Seewegs verhindert allerdings, daß die Zahl der Grenzübertritte wieder solche Dimensionen erreicht wie noch vor wenigen Jahren. Migranten werden durch Wärmebildkameras von den Inseln aus frühzeitig auf dem Meer entdeckt, von der griechischen Küstenwache festgenommen und an Land gebracht. Allerdings berichten Aktivisten von Hilfsorganisationen auf der Insel Lesbos, daß auch die griechische Küstenwache Flüchtlingsboote auf See systematisch in türkische Hoheitsgewässer zurückdrängt und die von den Flüchtlingen benutzten Schlauchboote dort aufschlitzt. Das wollten die Vertreter der Küstenwache, mit denen unsere Delegation sprach, zwar nicht zugeben. In aller Deutlichkeit erklärten sie uns aber: »Wir müssen Abschreckung betreiben, damit keiner mehr kommt.« Regelmäßig werden an den Stränden von Samos und Lesbos Tote gefunden, deren Boote bei der Überfahrt gekentert sind. Von Dezember 2012 bis Mai diesen Jahres wurden 30 Leichen allein auf Lesbos angespült.

Praktisch kein Asylsystem

Auf Druck der EU hat es zwar seit 2010 einen »Aktionsplan zur Asylreform und zum Migra­tionsmanagement« gegeben, der Anfang 2013 in Absprache mit der EU-Kommission überarbeitet und aktualisiert worden ist. Doch er blieb lediglich ein Stück Papier stehen, so daß von einem funktionierenden Asylsystem in Griechenland keine Rede sein kann. Derzeit kündigt die griechische Regierung an, noch in diesem Monat werde eine von der Polizei unabhängige Asylbehörde ihren Dienst aufnehmen – mit zwei Jahren Verspätung. Unsere Delegation hat mit deren designierten Leiterin gesprochen. Wenige Wochen vor Arbeitsaufnahme gibt es zwar ein zentrales Büro, doch weder die nötige Infrastruktur noch die erforderlichen Mitarbeiter existieren.

Es wird somit noch lange Zeit beim jetzigen Prozedere bleiben, das menschenrechtlichen Standards Hohn spricht: Flüchtlinge kommen nach ihrer Einreise – in den Augen der Behörden: ihrem »illegalen« Grenzübertritt – zunächst in Polizeigewahrsam. Dort werden sie einem Screening unterzogen. Das ist ein Verfahren, bei dem innerhalb von durchschnittlich fünf bis zehn Minuten ihre Identität festgestellt werden soll. Dabei sollen »irreguläre« Migranten von Asylsuchenden und besonders Schutzbedürftigen (etwa unbegleitete Kinder, alleinreisende Frauen, Kranke und Verletzte) unterschieden werden. Die Ergebnisse dieser Schnellüberprüfung sind insgesamt zweifelhaft. Dokumentiert sind Fälle, in denen Menschen in Länder abgeschoben wurden, deren Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen. So werden regelmäßig etwa Afghanen fälschlicherweise als Iraner, Türken oder Iraker »identifiziert« oder Sudanesen als Nigerianer. Falls die Betroffenen eine erneute Identifizierung durchsetzen können, bedeutet das für sie zunächst, daß sich ihre Haftzeit verlängert.

Bekannt ist, daß die Polizei sich manchmal schlichtweg weigert, Asylanträge überhaupt entgegenzunehmen. Es gibt Berichte, daß Polizisten Flüchtlinge regelrecht hereingelegt haben, indem sie sie Erklärungen in für sie unverständlicher Sprache unterschreiben ließen, wonach sie kein Asyl beantragen wollen. Häufig gelingt es ihnen nur mit Hilfe eines Rechtsanwalts, überhaupt als Asylsuchende registriert zu werden.
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Gegen ihre Inhaftierung haben sie keinen effektiven Rechtsschutz. Als Gründe für ihre Festnahme werden das notwendige Identifizierungsverfahren, angebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit und eine angestrebte Beschleunigung im Asylverfahren herangezogen. Auch die Verpflichtung zur Ausreise ist ein Haftgrund – sogar bei Flüchtlingen, die wegen der Zustände im Herkunftsstaat überhaupt nicht abgeschoben werden können, beispielsweise Somalier.

Wie lange Asylsuchende oder zur Ausreise verpflichtete Migranten tatsächlich eingesperrt bleiben, richtet sich in der Praxis nur nach den zur Verfügung stehenden Kapazitäten. Auf dem Festland muß man eher damit rechnen, bis zu 18 Monate in Haft zu sitzen. Auf den Inseln Samos und Lesbos hingegen werden Flüchtlinge nach wenigen Monaten entlassen und aufs Festland verfrachtet, um Platz für Neuankömmlinge zu schaffen.

Nach ihrer Freilassung haben registrierte Asylsuchende theoretisch einen Rechtsanspruch auf Versorgung mit Wohnraum, Verpflegung und Zugang zum Gesundheitssystem. Doch in der Praxis gibt es schlichtweg keinen Wohnraum. Weil die Flüchtlinge aber für ihr Verfahren eine Adresse angeben müssen, nennen sie eine Anschrift, unter der sie nicht zuverlässig erreichbar sind. Entgehen ihnen dadurch Briefe der Asylbehörde und erscheinen sie nicht zur Anhörung, verlieren sie ihre formalen Rechte, vor allem aber ihr Aufenthaltsrecht. Dies wiederum kann bei einem Aufgreifen durch die Polizei zur Internierung in einem Abschiebeknast führen. Pro Asyl und der griechische Flüchtlingsrat faßten dieses Vorgehen im Jahr 2012 in ihrem Bericht »Walls of shame« (Mauern der Schande) folgendermaßen zusammen: »Die Neuankömmlinge leben unter harten Bedingungen: obdachlos, arbeitslos und ohne Hoffnung. Sie sind Kriminalität, Ausbeutung und rassistischen Angriffen ausgeliefert.«

Sinn dieser Maßnahmen ist es eindeutig, die Menschen mürbe zu machen und als Warnung auf alle zu wirken, die ebenfalls ihren Weg nach Europa finden wollen. Aus humanitärer Sicht ist es aber schlichtweg ein Verbrechen, Menschen nur deshalb einzusperren, weil sie auf der Flucht vor Krieg, Armut und Unterdrückung sind. Die Alternative zu dieser unmenschlichen Politik wäre tatsächliche Solidarität. Die Bereitschaft dazu gibt es auch in Griechenland selbst. Das haben Bürgerinitiativen auf Lesbos gezeigt, die sich um humanitäre Hilfe für Flüchtlinge gekümmert, aber auch der örtlichen Bevölkerung ihre Ängste vor den »Fremden« genommen haben.

Neue Lagerstruktur

Unserer Delegation wurde beim Besuch im griechischen Ministerium für Bürgerschutz eine Präsentation über die Entwicklung eines »Immigra­tion flow management system« übergeben. Was darin an Neuerungen ausgegeben wird, hat weniger mit der Errichtung eines effizienten Asylsystems als vielmehr mit der Fortführung der bisher schon betriebenen Abschottungs- und Abschreckungspolitik zu tun.

Als erste Säule des neuen Systems werden darin die bereits bestehenden Inhaftierungslager genannt, die, wie gewohnt freundlich, als »Erstaufnahmezentrum« beziehungsweise Screening Center bezeichnet werden. Neben dem in Fylakio im Gebiet des Grenzflusses Evros sind solche Haftlager auf Lesbos, Attika, Chios und Samos geplant.

Für abgelehnte Asylbewerber und alle anderen ausreisepflichtigen Ausländer sollen sogenannte »Gewahrsamseinrichtungen zur Vorbereitung der Abschiebung« gebaut werden: im Klartext groß dimensionierte Knäste. Angekündigt wird, die derzeitige Kapazität der bereits bestehenden Abschiebelager bei Athen und in Nordgriechenland von 4200 auf 10000 Plätze zu erhöhen. Bereits jetzt geht die griechische Polizei bei Razzien immer rabiater gegen illegalisierte Migranten vor, mitunter werden tausend Menschen auf einen Schlag festgenommen und in die Lager gebracht.

Erscheinen Aufnahme- und Abschiebegefängnisse auf dem Papier noch als getrennte Systeme, zeigt die Realität, daß die griechischen Behörden eine Dauerinhaftierung von Flüchtlingen planen. So werden sich beispielsweise das Lager zur Aufnahme und dasjenige zur Abschiebung, die in Mytilene auf Lesbos errichtet werden sollen, auf dem gleichen, durch Stacheldraht eingezäunten Gelände befinden. Bei der Einreise festgenommene Migranten können also, wenn ihr Asylgesuch abgelehnt wurde, ein paar Meter weiter in das Abschiebelager gebracht werden.

Aus Sicht der griechischen Regierung stellt die Ballung von Flüchtlingen in wenigen Haftlagern sicherlich einen logistischen Vorteil dar, weil dann nicht länger jede Polizeistation landauf, landab mit Abschiebehäftlingen voll wäre. Eine grundlegende Verbesserung wenigstens der Haftbedingungen ist dadurch nicht zu erwarten.

Brüssels Verantwortung

Die inhumanen Zustände in Griechenland können dazu verleiten, anklagend gegenüber den dortigen Behörden den Finger zu erheben. Zweifellos treten sie Flüchtlingsrechte mit Füßen. Sie sind durch ihre feindselige Haltung gegenüber diesen Menschen auch mitverantwortlich für den Anstieg rassistischer Ressentiments. Dies äußert sich nicht zuletzt in den Wahlerfolgen der faschistischen Partei Chrysi Avgi, »Goldene Morgendämmerung«, die bei den Parlamentswahlen im Mai vor einem Jahr rund sieben Prozent der Stimmen erlangte und nach Umfragen derzeit bei zwölf Prozent liegt. Deren uniformierte Schlägertrupps veranstalten unter den Augen der vielfach mit ihnen sympathisierenden Polizei Hetzjagden auf Migranten.

Nicht übersehen werden darf aber die Rolle der EU. Vor allem der Rat der EU-Innenminister drängt darauf, daß Griechenland seine Grenzen wirksam gegen Migranten abschottet. Dafür wird auch Hilfe organisiert. Koordiniert durch die EU-Grenzschutzagentur Frontex wird die griechische Polizei an der Land- und Seegrenze zur Türkei im Rahmen der Operation »Poseidon« mit Beamten anderer EU-Staaten verstärkt. Frontex liefert auch Hubschrauber, Fahrzeuge und technisches Equipment zur Grenzüberwachung, etwa Wärmebildkameras. Die Bundespolizei beteiligt sich an diesen Maßnahmen in vielerlei Hinsicht, unter anderem sollen deutsche Beamte im laufenden Jahr 2100 Einsatztage leisten, überwiegend an der Landgrenze. Die von der Troika oktroyierten Sparmaßnahmen bei der Polizei sollen durch eine EU-finanzierte Aufrüstung an der Grenze kompensiert werden.

Für all diese Maßnahmen zum Aufbau eines Asylsystems, zur Internierung von Asylsuchenden, zur Grenzsicherung, zur Errichtung riesiger Abschiebeknäste, auch zur Förderung der »freiwilligen« Rückkehr hat Brüssel in diesem Jahr Mittel in Höhe von 91 Millionen Euro bereitgestellt, im kommenden Jahr soll es 85 Millionen geben. Es ist also die EU, die das Lagersystem zur Internierung und Abschiebung unerwünschter Migranten fordert und finanziert.

Statt auszuschließen, daß Schutzsuchende eingesperrt werden, soll ihre Inhaftierung durch eine Neufassung der EU-Asylaufnahmerichtlinie in großem Umfang legitimiert werden. »Der Entwurf enthält sechs Haftgründe, die es zusammengenommen erlauben, jeden Asylsuchenden zu jeder Zeit an jedem Ort in Europa einzusperren«, faßt die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl zusammen.

Grenzkontrollen auch in der EU

Mit einigen dieser Gründe – Identifizierung, öffentliche Sicherheit und Verfahrensbeschleunigung – rechtfertigt die griechische Regierung jetzt schon die Inhaftierung der Flüchtlinge.

Griechenland hat als Land an der EU-Außengrenze naturgemäß ein wesentlich höheres Flüchtlingsaufkommen als die Länder im Zentrum der EU. Dabei wollen die meisten Flüchtlinge gar nicht in Griechenland bleiben, sondern weiterreisen, um Asyl und Arbeit zu finden. Was sollten sie auch in Griechenland, wo ihnen ohnehin nur Gefängnis droht?

Eine Weiterreise der Flüchtlinge ist aber von den EU-Staaten nicht gewollt. Die Dublin-Verordnung legt fest, daß immer der Staat für ein Asylverfahren zuständig ist, über dessen Grenze ein Antragssteller in die EU gelangt ist. Damit wurde ein System der Aufnahme von Asylsuchenden etabliert, das die Staaten an den Außengrenzen systematisch überlastet. Fehlt dann noch der politische Wille für eine menschenwürdige Aufnahme der Asylsuchenden, entstehen Zustände wie in Griechenland. Dorthin wird seit Anfang 2011 von Deutschland aus nicht mehr abgeschoben, nachdem das Bundesverfassungsgericht in Einzelfällen eine Rücküberstellung untersagt hatte. Im vergangenen Jahr betraf das 3617 Menschen.

Auch in Italien und Zypern herrschen katastrophale Zustände im Umgang mit Asylsuchenden. Doch statt an der Verbesserung zu arbeiten und ein solidarisches System der Aufnahme von schutzsuchenden Menschen zu schaffen, setzen die EU-Innenminister auf noch mehr Abschottung. Vor wenigen Tagen erst hat Frontex angekündigt, künftig auch Drohnen einzusetzen, um auf dem Mittelmeer nach Flüchtlingsbooten zu suchen. Außerdem haben sich die wichtigsten EU-Instanzen, also die Regierungen der Mitgliedsstaaten, das Europaparlament und die EU-Kommission, Ende Mai auf eine Neufassung des Schengen-Regelwerks geeinigt. Der Wegfall der Binnengrenzkontrollen wird durch die Ausweitung der sogenannten Notfallmechanismen aufgeweicht. Diese erlauben es den EU-Staaten in Absprache mit der EU-Kommission, Grenzkontrollen in bestimmten Ausnahmefällen wieder einzuführen. War das bisher auf sicherheitspolitisch sensible Ereignisse wie Großveranstaltungen (Gipfeltreffen, Fußball-EM usw.) beschränkt, kann künftig auch eine große Zahl illegaler Grenzübertritte als »Notfall« interpretiert werden. Das ist nicht nur ein Signal gegen die Reisefreiheit in EU-Europa: Die Folge dieses Beschlusses wird auch eine weitere Brutalisierung der Abschottungs- und Abschreckungspolitik sein.