Artikel: Strategie gegen rechts: Abwarten

Die Bundesregierung behandelt antimuslimische Straftaten auch nach Bekanntwerden einer neofaschistischen Mordserie weiter nach »Schema F«. In der am Dienstag veröffentlichten Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion bekräftigte sie ihre abwiegelnde Haltung bezüglich des Internetportals »Politically Incorrect« (PI). Dort werden Muslime regelmäßig als »Gesindel«, »Schädlinge« usw. beschimpft. Bereits vor zwei Monaten hatte die Bundesregierung erklärt, antimuslimische Einstellungsmuster seien in der Regel »Ausdruck von Ängsten vor Überfremdung«. Rassistische Äußerungen auf der PI-Seite, die bis zu 60000 Zugriffe am Tag verzeichnet, gebe es zwar, eine rechtsextremistische Bestrebung lasse sich aber »derzeit (noch) nicht feststellen«, gab sie Mitte September zu Protokoll (vgl. jW vom 13.9.2011).

Wenige Tage später offenbarten Recherchen der Berliner Zeitung, daß PI nicht nur eine Internetplattform ist, sondern eine regelrechte Organisation, an der sich rund 50 Gruppen aus dem ganzen Bundesgebiet beteiligen. Sie zum Teil konspirative Beratungen durch, um ihre Öffentlichkeitsarbeit zu planen – dazu gehört auch die Störung von Diskussionsrunden über den Islam, die gezielte Verunglimpfung von Antirassisten als »Gutmenschen«, oder die Versendung von Haßmails an politische Gegner und kritische Journalisten. Nach Bekanntwerden dieser Recherchen forderte selbst der CDU-Politiker Ruprecht Polenz angesichts kursierender Aufrufe zur Gewalt eine Beobachtung von PI durch den Verfassungsschutz: »Wenn die Behörden ihre Maßstäbe aus der Überwachung islamischer Webseiten darauf übertragen, müßten sie PI schon lange beobachten.«

Die Bundesregierung zeigt sich jedoch unbeeindruckt: Sie habe zwar »ihre Sichtung und Auswertung von mutmaßlich islamfeindlichen und antimuslimischen Äußerungen intensiviert«, schreibt sie. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse führen jedoch nicht zu einer Änderung ihrer Einschätzung. Damit bleibt es bei der Verharmlosung von antimuslimisch-rassistischer Hetze. Ausgerechnet der bayerische Verfassungsschutz scheint in diesem Fall etwas sensibler zu sein: Nach Angaben von Spiegel online betrachtet er den islamfeindlichen Rechtspopulismus als »neue Form des Extremismus«. Berlinindes hält sich zurück: »Die weitere Entwicklung, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche neue Form des Extremismus, bleibt abzuwarten.« Die Linksfraktion bezeichnete dies gestern als völlig verantwortungslos, zumal die thüringischen Neonaziterroristen sich ebenfalls jahrelang auf Ignoranz und Untätigkeit der Sicherheitsbehörden verlassen konnten: »Abwarten und Tee trinken und warten, bis die Bombe platzt« – das könne der Verfassungsschutz im Kampf gegen Rassisten bekanntlich am besten, hieß es.

Diese Blindheit auf dem rechten Auge hat System: Die Verfassungsschutzämter unterrichten sich zwar gegenseitig über Beobachtungsschwerpunkte, »dies schließt eine konkrete Nennung von Prüffällen« aber nicht ein, betont die Bundesregierung. So sei ihr auch nur aus der Presse bekannt, daß in Hamburg die Webseite »Nürnberg 2.0« und die damit in Verbindung stehenden Organisationen beobachtet werden. Von einer umfassenden Strategie, antimuslimische Hetze zu bekämpfen, ist auch nach der rassistischen Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« nicht die Rede.