Rede im Bundestag: Deutsche Polizisten aus Afghanistan abziehen

Rede zu TOP 24 der 102. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
Abzug deutscher Polizisten aus Afghanistan (Drs. 17/4879)

Anrede,

seit neun Jahren werden deutsche Polizisten nach Afghanistan geschickt, angeblich, um beim Aufbau eines Rechtsstaates zu helfen. Wir sprechen den über 1000 Beamten, die seit 2002 am Hindukusch waren, nicht die ehrliche Motivation ab. Aber es ist Zeit für eine Bilanz, und die sieht erschreckend aus: Der Polizeiaufbau am Hindukusch hat nicht zu einer Verbesserung, sondern zu einer Verschlechterung der Lage beigetragen. Es wird höchste Zeit, nicht nur die deutschen Soldaten, sondern auch die deutschen Polizisten abzuziehen. Das fordert die Fraktion DIE LINKE in dem Antrag, den wir heute beraten.

Die „Fortschritte“, welche die Bundesregierung vermeldet, reduzieren sich bei genauem Hinsehen auf einen rein zahlenmäßigen Anstieg der afghanischen Polizei.
Ihre Ausbildung dauert gerade mal sechs Wochen. Fast 90 Prozent der unteren Dienstgrade sind nach Angaben der NATO-Ausbildungsmission Analphabeten. Und wer einen Alphabetisierungskurs mitmacht, der kommt gerade mal auf das Niveau der dritten Klasse, womit er weder Gesetzestexte lesen und verstehen kann noch Protokolle aufsetzen.

Warum, muss man fragen, bildet die NATO diese angeblich so wichtigen Polizisten so hastig aus? Die Antwort ist: Weil sie nichts weiter als ein schnell verfügbares Kanonenfutter haben will, um es in den Kampf gegen die Aufständischen zu werfen.

Afghanische Polizisten führen Seite an Seite mit Militärverbänden Gefechte gegen Aufständische. Ihre Ausbildung wird fast ausschließlich von Mitarbeitern des US-Pentagon oder der NATO verantwortet, die auch den Lehrplan festlegen. Das Oberkommando liegt bei einer Dienststelle der US-Armee. Die Bundesregierung kennt den militärischen Charakter dieser Polizei, und sie rechtfertigt ihn sogar: Afghanische Polizisten sollten eine „modulare Ausbildung im militärischen Sinne“ erhalten, beschied sie in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE (17/2878).

DIE LINKE hingegen sagt: Deutsche Polizisten haben in einem Kriegsgebiet nichts zu suchen. Zum einen, weil das lebensgefährlich ist, zum anderen weil wir feststellen: So verfehlt der Militäreinsatz in Afghanistan ist, so verfehlt ist auch der Polizeieinsatz, der nur die andere Seite der gleichen Medaille darstellt.

Ein Nutzen für den Rechtsstaat ist weit und breit nicht zu erkennen, im Gegenteil. Die Bundesregierung kann keine Zahlen dazu angaben, wie viele afghanische Polizisten es überhaupt gibt. Klar ist nur, dass die offiziellen Angaben weit übertrieben sind. Die britische Botschaft schätzt den Anteil sog. Geisterrekruten, die nur auf dem Papier existieren und deren Sold in die Taschen korrupter Vorgesetzter fließt, auf ein Viertel (The Independent, 28. 3 .2010),
Keine verlässlichen Zahlen gibt es auch darüber, wie viele der ausgebildeten Polizisten nach ihrer Ausbildung im Dienst verbleiben. Etliche von ihnen, nach Schätzungen 20 Prozent, quittieren ihren Dienst und nehmen dabei häufig ihre Waffen mit.

Das größte Problem ist aber nicht etwa, dass der Polizeiaufbau ineffektiv ist.
Die Frage, was dabei herauskommt, wenn man jungen Männern eine Uniform überstreift, ein Gewehr in die Hand drückt und einen Schnellkurs verpasst, hat der frühere stellvertretende UNO-Sonderbeauftragte in Kabul Peter Galbraith in einem Interview mit CNN wie folgt beantwortet:
„Was dabei herauskommt, ist kein Polizist, sondern jemand, der von seinen Mitmenschen noch ein bisschen effektiver Geld erpresst“. (Interview mit CNN, November 2011)

Genau dieser Eindruck wird auch von deutschen Polizisten und Soldaten, die aus Afghanistan zurückkehren, bestätigt. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter berichtet von systematischer Wegelagerei und Straßenräuber-Abzocke. Selbst der Chef der NATO-Ausbildungsmission, General Caldwell, räumt ein, dass die große Mehrheit der Afghanischen Nationalpolizei die Gesetze, die sie angeblich durchsetzen sollen, überhaupt nicht kennen, und er kommt zum Schluss, die meisten Afghanen sähen in der Polizei „gesetzlose bewaffnete Männer“. Das ist die offizielle Bilanz von neun Jahren sogenannter Aufbauarbeit. Der afghanischen Bevölkerung wurde nicht zu mehr Demokratie verholfen, sondern es wurde ihr ein weiterer Unterdrückungsapparat beschert, der sie in die Zange nimmt.

Es ist unverantwortlich, diese Politik fortzusetzen. Im Falle Afghanistan muss man klar sagen: Lieber keine Polizei als solch eine. Denn diese Polizei dient nicht dem Recht, nicht der Bevölkerung, sondern sie lässt den Krieg und die Gewalt nur noch weiter eskalieren. Dabei dürfen deutschen Polizisten nicht länger mitwirken. Deswegen fordert DIE LINKE: Die Konsequenzen aus dem Desaster in Afghanistan ziehen und Soldaten wie Polizisten abziehen.

1704879_AbzugPolizeiAFG.pdf