Artikel: Abfindung statt Prozeß

Der BND hat jahrzehntelang vertuscht, daß in seinen Reihen Dutzende Naziverbrecher beschäftigt waren. Mitte der 60er Jahre gehörten dem Auslandsgeheimdienst mindestens 200 Mitarbeiter an, die im »Dritten Reich« dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA), der Gestapo bzw. der SS angehört hatten. Das geht aus Unterlagen der Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen hervor, die jetzt vom BND freigegeben wurden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte die Vorfälle Mitte der Woche öffentlich gemacht.

Die braunen Wurzeln des BND waren schon lange bekannt. Sein Gründungschef Generalmajor Reinhard Gehlen hatte schon für die Wehrmachtsabteilung »Fremde Heere Ost« spioniert. Wegen seiner Kenntnisse über die Rote Armee engagierten ihn nach dem Krieg zunächst die USA. 1956 wurde er an die Spitze des neugegründeten BND berufen. Nicht bekannt ist bisher das genaue Ausmaß der Einbindung alter Nazis. Die jetzt aufgedeckten 200 – von damals 2450 Mitarbeitern – dürften keine endgültige Zahl sein.

Die BND-Führung weiß bereits seit 1965 Bescheid, hatte die Akten aber bis jetzt unter Verschluß. Damals hatte Gehlen eine interne Untersuchung angeordnet. Anlaß dafür war ein Spionageprozeß gegen einen BND-Mann, der als Doppelagent des KGB enttarnt worden war. Zum Skandal wurde das Verfahren, als sich herausstellte, daß der Betreffende – Heinz Felfe – bis 1945 für das RSHA gearbeitet hatte, unter anderem bei der Bekämpfung italienischer Partisanen. Um weiteren Skandalen vorzubeugen, berief Gehlen eine »Organisationseinheit 85« ein. Deren Chef Hans-Henning Crome berichtete nun in der FAZ, er habe zwei Jahre lang insgesamt 146 seiner Kollegen befragt. Dabei stellte sich heraus, daß etliche Naziverbrecher darunter waren, deren gefälschte Lebensläufe bei Eintritt in den BND kaum geprüft worden waren. So etwa ein SS-Sturmbannführer, der 1941 der berüchtigten »Einsatzgruppe B« angehörte, die in der Sowjetunion innerhalb weniger Wochen über 24000 meist jüdische Menschen ermordet hatte. Auch ein früherer Kriminalkommissar, der einem »Einsatzkommando IV/2« angehört hatte, das 1939/40 Tausende Angehörige der polnischen Intelligenz umbrachte, hatte es in den BND geschafft. BND-Aufklärer Crome zufolge waren die Befragten durchweg unkooperativ, hielten an ihren falschen Legenden fest und behaupteten, von Verbrechen erst nach dem Krieg erfahren zu haben – solche Angaben könne »ein realistisch denkender und urteilender Nachrichtendienst nicht als Wahrheit akzeptieren«, so Crome in der FAZ.

71 Mitarbeiter mußten wegen »nachweisbarer Teilnahme an NS-Gewaltdelikten« gehen – die meisten erhielten einen Aufhebungsvertrag und eine Abfindung. Hinweise darauf, daß der BND gegen die Nazimörder Anzeige erstattete, liegen nicht vor. Gehlen – der die Verbrecher ja selbst eingestellt hatte – wollte die Sache offenbar vertuschen. Der Abschlußbericht der »Org 85« wanderte in den Giftschrank. Dabei ist die Zahl 71 mit Sicherheit zu niedrig angesetzt: Crome war zwar offensichtlich engagiert bei seiner Arbeit, aber es fehlten ihm juristische und historische Kenntnisse. Und befragen durfte er ausschließlich Mitarbeiter, die früher im »Sicherheits«imperium Heinrich Himmlers tätig gewesen waren. »Einfache« NSDAP-Mitglieder oder Wehrmachtsangehörige fielen nicht darunter.

BND-Chef Ernst Uhrlau erklärte gestern, sein Dienst habe »kein Interesse, sein Handeln dauerhaft zu verschleiern«. Die Bundesregierung will der FAZ zufolge für die Aufarbeitung der BND-Geschichte ein Budget von 500000 Euro zur Verfügung stellen.