Artikel: Proteste behindert

Die aber hatten kein Verständnis, sondern schlichtweg Angst. »Es war erschreckend«, erklärte eine Dresdnerin, die in einer Nebenstraße der Naziaufmarschroute wohnt. Sie wollte mit ihrer Familie gegen den rechten Aufzug protestieren. Die Kinder hatten ein kleines Antinazi-Transparent gemalt. Als die Neofaschisten kamen, traute die Familie ihren Augen nicht: Der Zug von 6000 Rechten wurde vorn von rund 200 Polizisten begleitet. Dahinter waren praktisch keine Beamten mehr zu sehen. »Die Nazis zogen 15 bis 20 Minuten lang unmittelbar an uns vorbei. Hätten sie jemanden angreifen wollen, so hätte absolut niemand sie daran hindern können.« Teilnehmer kompletter Marschblöcke seien unbeanstandet bis auf die Augen vermummt gewesen. Man habe es nicht wagen können, den Nazis die Meinung zu sagen. »Zivilcourage wäre in diesem Fall wohl Selbstmord« gewesen, so das bittere Fazit.

Solche Befürchtungen sind berechtigt. Auf Radio 1/RBB berichtete eine Journalistin, daß die Rechten den Pressetroß angegriffen hätten, ohne daß die Polizei eingegriffen habe. Am Abend verletzten Neonazis auf einem Autobahnparkplatz bei Jena fünf Gegendemonstranten, die mit einem Bus des DGB auf dem Rückweg nach Hessen waren.

Mit 12 000 Nazigegnern beteiligten sich erfreulich viele Menschen an den Protesten. Doch sämtliche Versuche, wirksam gegen den Neonaziaufmarsch aufzutreten, wurden strikt von der Polizei unterbunden. Eine Sitzblockade von fünfzig Personen wurde geräumt, Versuche, in Hör- und Sichtweite des Aufmarsches zu kommen, wurden zum Teil mit Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatz unterbunden. Die Demonstration des antifaschistischen Bündnisses »no pasarán« mit 4000 Teilnehmern glich von Beginn an einem Wanderkessel.

Die Antifaschisten waren schutzlos, wurden teilweise von Neonazis oder der Polizei angegriffen und verletzt. Bereits im Vorfeld hatten die Behörden ihre Proteste behindert. Am Samstag selbst kam es zu Gewahrsamnahmen wegen angeblicher Verletzungen des Versammlungsrechts. Die Neonazis konnten dagegen ungestört durch das Zentrum von Dresden ziehen. »Hier gehört ihnen die Straße« kommentierte Spiegel-online und sagte voraus: »Nächstes Jahr werden die Neonazis wiederkommen. Dresden ist zu ihrer Pilgerstätte geworden.«