Artikel: Geplante Lügen

Immer mehr stellt sich heraus, daß der Bundeswehreinsatz beim G-8-Gipfel in Heiligendamm viel umfangreicher war als ursprünglich bekannt. Es waren mehr Soldaten im Einsatz als zuvor angekündigt. Es wurden Geräte verwendet, die eindeutig militärischen Charakter haben, wie Tornados und Spähpanzer. Das Krankenhaus Bad Doberan stand faktisch unter Kontrolle der Streitkräfte.

Vor allem mit den Tornado-Einsätzen hat die Bundesregierung einen klaren Verfassungsbruch begangen. Damit wird sich noch das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. Ein parlamentarisches Nachspiel gibt es auf alle Fälle auch zu dem skandalösen Umgang der Bundesregierung mit dem Bundestag. Eine von der Linksfraktion beantragte, mehrstündige Beratung im Innenausschuß des Bundestags bestätigte, daß die Abgeordneten von der Regierung schamlos angelogen worden sind. Die Fraktion Die Linke hat deshalb von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) verlangt, der Bundesregierung eine Rüge zu erteilen.

Gezielte Desinformation

Die Falschinformationen begannen schon lange vor dem G-8-Gipfel. Am 26. April 2007 hat die Bundesregierung mit der Bundestagsdrucksache 16/5148 auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion zum Thema »Einsatz der Bundeswehr beim G-8-Gipfel in Heiligendamm« geantwortet. Nunmehr stellte sich heraus, daß die Antwort eine Vielzahl von Unstimmigkeiten und Unrichtigkeiten enthielt.

Die Bundesregierung hat damals behauptet, es sei der Einsatz von etwa 1 100 Soldaten und zivilen Mitarbeitern beabsichtigt. Darüber hinaus würden keine Soldaten in Bereitschaft gehalten, auch nicht innerhalb abgesperrter Bereiche. In der Sitzung des Bundestagsinnenausschusses vom 20. Juni 2007 mußte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, Christian Schmidt (CSU), zugeben, daß zusätzlich zu den ursprünglich genannten 1 100 Soldaten weitere 350 Soldaten für Sicherungsaufgaben eingesetzt wurden.

Auf die Frage, mit welchen Tätigkeiten die Soldaten während des Gipfels betraut würden, antwortete die Bundesregierung im April 2007 nur pauschal: »Umfang und Intensität der Unterstützungsleistungen durch die Bundeswehr werden erst zeitnah zum G-8-Gipfeltreffen endgültig absehbar sein.« Tatsache ist jedoch, daß Amtshilfeersuchen an die Bundeswehr zu diesem Zeitpunkt schon eingegangen und zum Teil auch bereits bewilligt worden waren. Das gilt sowohl für den Einsatz von »Fennek«-Spähpanzern als auch für die Flüge von Tornados der Luftwaffe. Letztere wurden bereits im Mai 2006 grundsätzlich bewilligt – was die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme vom 26. April 2007 verschwiegen hat.

Weiterhin hatte die Linksfraktion die Frage gestellt: »In welchen Kasernen werden Unterbringungsmöglichkeiten bereitgestellt und für wen und wie viele Personen?« Die Bundesregierung behauptete am 26. April 2007: »Die Nutzung verfügbarer Kapazitäten wird erst zeitnah zum G-8-Gipfeltreffen endgültig absehbar sein.« Mit dem rhetorischen Trick, das Wörtchen »endgültig« einzufügen, drückte sich die Bundesregierung um eine wahrheitsgemäße Beantwortung der Frage. Denn die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns hatte bereits am 8. Februar 2007 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Peter Ritter (Fraktion die Linkspartei.PDS, Landtagsdrucksache 5/167) vier Kasernen namentlich genannt, für die ein Angebot der Bundeswehr zur Unterbringung von Einheiten der Bereitschaftspolizei vorlag. Dies hätte auch dem Bundestag mitgeteilt werden müssen.

Die Dimension des Einsatzes ahnend, hatte die Linksfraktion gefragt, ob die Bundeswehr die Strecke zwischen dem Flughafen Rostock-Laage und dem Tagungshotel sichern werde. Die Bundesregierung antwortete schlicht mit »Nein«. In Wahrheit wurden entlang den Straßen in der Region Rostock Spähpanzer vom Typ »Fennek« eingesetzt. Es mag dahingestellt bleiben, ob diese auch exakt an der Straßenverbindung vom Flughafen zum Tagungshotel standen. Dennoch hätte eine sachgemäße Antwort auf den zu diesem Zeitpunkt schon absehbaren »Fennek«-Einsatz hinweisen müssen.

Bundeswehr in der ersten Reihe

Völlig irreführend war die Antwort der Bundesregierung auf Frage 16 der Linksfraktion, ob Äußerungen des Inspekteurs der Streitkräftebasis zuträfen, daß keine Soldaten in Uniform auf den Straßen zu sehen sein würden. In ihrer Antwort erweckte die Bundesregierung den Eindruck, der Einsatz der Bundeswehr sei »analog zur FIFA-Fußball-WM 2006« zu erwarten und es würden keine militärischen Unterstützungskräfte »in erster Reihe in Erscheinung treten«. Heute weiß man, daß sich der G-8-Bundeswehr-Einsatz von dem bei der Fußball-WM erheblich unterschied, vor allem 2006 weder Tornado-Flugzeuge noch Spähpanzer eingesetzt worden sind. Die Behauptung, die Bundeswehr habe »nicht in erster Reihe« agiert, kann keinesfalls aufrechterhalten werden.

Stets behauptete die Bundesregierung, die Unterstützung des Militärs beschränke sich auf das »Erbringen technisch-logistischer Amtshilfe nach Artikel 35 Abs. 1 GG«. Dem steht die Tatsache gegenüber, daß die Bundeswehr mittels Spähpanzern und Tornados direkte Zuarbeit zur polizeilichen Lagebildgewinnung geleistet hat. Hinzu kommt, daß ein Bundeswehr-Hubschrauber (MedEvac) bereitstand, um Verletzte zu transportieren.

Zudem betonte die Bundesregierung am 26. April 2007: »Die Unterstützungsleistungen der Bundeswehr sind nicht einsatzbezogen.« Das ist erwiesenermaßen falsch. Denn selbst der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, mußte einräumen, daß es sich bei der Verwendung von Tornado-Flugzeugen um einen »Einsatz« im Sinne des Grundgesetzes handelte, der somit als verbotener Einsatz der Bundeswehr im Inneren unzulässig war. Auch zur Verwendung der »Fennek«-Panzer erklärte Wiefelspütz: »Auf diese Weise machen wir Aufklärungseinheiten der Bundeswehr zur Hilfspolizei. Das ist auch verfassungsrechtlich in unserer Sicherheitsarchitektur nicht vorgesehen, Punkt und Ende.«

Innenministerium vorgeführt

Nicht nur die Linksfraktion wurde von der Bundesregierung mit der Unwahrheit bedient, auch andere Oppositionsabgeordnete erhielten falsche Auskünfte. Hans Christian Ströbele (Bündnis90/Die Grünen) stellte eine schriftliche Frage zum Bundeswehreinsatz beim G-8-Gipfel. In ihrer Antwort vom 16. Mai (Bundestagsdrucksache 16/5499, Frage 32) unterläßt die Bundesregierung jegliche nähere Ausführung zum Bundeswehreinsatz, obwohl zu diesem Zeitpunkt über die meisten Amtshilfeersuchen, insbesondere Tornados und Fennek-Panzer, positiv entschieden war. Die ersten Tornado-Flüge in der Region um Heiligendamm hatten schon am 3. Mai 2007 stattgefunden. Weiterhin erklärte der Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt am 20. Juni 2007 im Innenausschuß wörtlich: »Am 15. Mai wurde somit mit drei Einzelflügen mit den Zielen, die da aufgelistet sind, für die Luftfahrzeuge ein Flug durchgeführt. Ein Luftfahrzeug überflog dabei das Camp Reddelich in 1930 Fuß über Grund.«

Nicht besser erging es dem FDP-Abgeordneten Christian Ahrendt. Er stellte dem Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Peter Altmaier (CDU), im Innenausschuß am 23. Mai 2007 Fragen zum Umfang des geplanten Bundeswehreinsatzes. Altmaiers Antwort lautete, daß es lediglich eine logistische, eine Transporthilfe gebe. MdB Ahrendt stellte daher am 20. Juni 2007 im Innenausschuß fest: »Mir ist das Wort Fennek und der Einsatz dieses Fahrzeuges nicht bekannt geworden.« Auch über die Tornado-Einsätze sei der Ausschuß nicht informiert worden. Altmaier antwortete: »Ich habe gesagt, daß mir bekannt war, daß die Bundeswehr bei der Aufklärung behilflich sein wird. Ich habe mich gar nicht dafür interessiert, mit welchen Mitteln das im einzelnen gemacht wird.« Die Kontrolle der Bundesregierung durch das Parlament wird zur Farce, wenn das für die innere Sicherheit zuständige Bundesinnenministerium sich am Ende im Innenausschuß durch einen Staatssekretär vertreten läßt, dem selbst wesentliche Informationen vorenthalten wurden und der sich auch – nach eigenen Worten – dafür nicht interessiert hat.

Daher wurde in einer Pressemitteilung der Linksfraktion nach der Innenausschußsitzung vom 20. Juni 2007 das Fazit gezogen: »Was die Vertreter der Bundesregierung heute dem Ausschuß präsentiert haben, war ein Wust von Informationen mit nur wenigen Körnchen Wahrheit.« Bis zuletzt habe die Bundesregierung versichert, die Bundeswehr werde sich zurückhalten und der Einsatz werde die Dimensionen der Weltmeisterschaft nicht übersteigen. »Das hat sich als geplante Lüge entpuppt.« Schließlich sei ausdrücklich bestätigt worden, daß die Tornado-Flüge am 5. Juni nicht nur »zufällig« das Protestcamp Reddelich gestreift haben, sondern daß sowohl dieses Camp als auch das Camp Wichmannsdorf gezielt überflogen worden sind. »Das ist ein ganz klarer Verfassungsbruch.«

Tricksereien

Zu den Standardausflüchten der Bundesregierung gehört es, die Verantwortung für Militär- und Polizeieinsätze an das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern abzuschieben, das formal zuständig war. Allerdings waren mehrere Bundesministerien und -behörden in die gesamte Vorbereitung des Polizeieinsatzes eng eingebunden, wie etwa das Innen- und Verteidigungsministerium, das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei und die Geheimdienste. Aber mit der Methode, den schwarzen Peter an die Landespolitik weiterzuleiten, versuchte die Bundesregierung, unangenehmen Themen – wie Gewaltexzesse durch Polizeibeamte, willkürliche Festnahmen, Käfighaltung von Gefangenen, Unterbindung rechtzeitiger anwaltlicher Hilfe, verspätete Freilassungen trotz richterlicher Anordnungen – aus dem Weg zu gehen.

Darüber hinaus benutzte die Bundesregierung die Taktik, sich auf »Nichtwissen« zu berufen. Beispielsweise ist immer noch undementiert, daß US-Sicherheitskräfte die Kontrollen um Heiligendamm mit dem Transport des Sprengstoffs C4 getestet haben. Deutsche Polizeibeamte haben ein solches Verhalten als »einfach unverschämt« bezeichnet. Auf die Frage, ob denn eine solche Tätigkeit US-amerikanischer Sicherheitskräfte in der BRD nicht illegal sei, antwortete Innenstaatssekretär Peter Altmaier nur: »Wir haben davon keine Kenntnis, und es hat sich auch nicht im Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei abgespielt. Insofern bitte ich um Verständnis, daß ich mich nicht dazu äußern kann.« Unzuständigkeit und Nichtwissen sind also die rhetorischen Kniffe, mit denen sich die Bundesregierung gegenüber der Opposition aus der Verantwortung für die Rechtsverstöße rund um Heiligendamm stehlen möchte.

Kritische Reaktionen

Der Vorstoß der Fraktion Die Linke, im Bundestag eine Rüge der Bundesregierung herbeizuführen, sorgte jedoch für ein Anhalten der öffentlichen Debatte. Aus der Opposition kamen in den letzten Tagen immer kritischere Stimmen. Renate Künast, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, bezichtigte die Regierung ebenfalls der Lüge. Sie erklärte am 23. Juni in der Frankfurter Rundschau: »Die Regierung hat vor dem Gipfel den Umfang des Einsatzes verschleiert. Danach hat sie das Parlament belogen.« Auch der Spiegel betitelte am 25. Juni einen Artikel über die staatliche Desinformationspolitik mit den Worten: »Vorsätzliche Täuschung«. Ebenso wie die Linksfraktion fühlt sich auch der Schweriner Bundestagsabgeordnete Christian Ahrendt (FDP) insbesondere durch das Bundesinnenministerium »verladen«. Sein Parteikollege Max Stadler verurteilte die Tornado-Flüge in Heiligendamm im Deutschlandradio als »verheerendes Zeichen« und »politisch instinktlos«.

Der Verteidigungsausschuß des Bundestages hat Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) inzwischen aufgefordert, den Umfang und Auftrag des Einsatzes von Tornado-Flugzeugen, Spähpanzern und mehreren Schiffen bis zur nächsten Ausschußsitzung schriftlich darzulegen. Eine mündliche Erklärung reicht den Abgeordneten nicht mehr.
Militarisierung der Innenpolitik
Tatsächlich waren diese Flüge nicht nur politisch verfehlt, sondern auch ein schwerer Verfassungsbruch. Sogar der Völkerrechtler Daniel Erasmus Khan, Professor an der Bundeswehr-Universität in München, stellte klipp und klar in Spiegel-Online am 13. Juni 2007 fest: »Die Verfassung deckt einen solchen Einsatz nicht.« Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) konstatierte eine »Erosion der Grundrechte«. Der Vorsitzende der Fraktion Die Linke im Bundestag, Gregor Gysi, nannte die Einsätze »indiskutabel und verfassungswidrig«. Amtshilfe sei zwar erlaubt, aber: »Wir sind doch nicht im Krieg!«, kritisierte er.

Damit liegt Gysi auf einer Linie mit den höchsten deutschen Richtern. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner grundlegenden Entscheidung vom 15. Februar 2006 zum Luftsicherheitsgesetz bekräftigt, daß die Bundeswehr nicht mit militärischen Mitteln im Inland polizeiliche Aufgaben wahrnehmen darf. Die Zuständigkeiten von Militär und Polizei müssen strikt getrennt bleiben. Dies ist eine wichtige Lehre aus der deutschen Geschichte.

Denn: Wann immer in der deutschen Geschichte das Militär polizeiliche Aufgaben wahrgenommen hat, ging es darum, demokratiefeindliche Ziele zu befördern. »Gegen Demokraten helfen nur Soldaten«, war die Parole der monarchistischen Heere, die 1848/49 gegen die republikanischen und freiheitlichen Bewegungen vorgingen. Im wilhelminischen Kaiserreich wurde das Heer auf streikende Arbeitende gehetzt. Auch in der Weimarer Republik wurde das Militär im Innern als politisches Mittel eingesetzt, um reaktionäre Kräfte zu stärken. Während der Nazidiktatur bildeten militärische Verbände, insbesondere die SS, in Zusammenarbeit mit der Polizei unter Führung des Reichsführers SS Heinrich Himmler einen im In- wie Ausland wirkenden Terrorapparat. Als Reaktion auf diese Erfahrungen wurde im Grundgesetz der Bundesrepublik die strikte Trennung polizeilicher und militärischer Zuständigkeiten festgeschrieben.

Trotzdem propagiert vor allem Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) penetrant die Forderung, die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Inland in Friedenszeiten zu erweitern. Unter dem Deckmantel der Amtshilfe sollen dem Militär polizeiliche Aufgaben zugewiesen werden. Angesichts chronisch knapper Kassen gibt es dafür bei den Bundesländern, die originär für das Polizeiwesen zuständig sind, durchaus Sympathie, da man sich durch den Einsatz von Wehrpflichtigen als Hilfspolizisten Kosteneinsparungen für die Länderhaushalte erhofft. In Wahrheit geht es aber nicht um Finanzen, sondern um eine Militarisierung der Innenpolitik. Deshalb will Schäuble eine Grundgesetzänderung erreichen. Dafür gibt es bisher im Parlament nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit.

Mit Hilfe einer Salamitaktik versucht die Bundesregierung deswegen, die engen Regelungen für Inlandseinsätze immer mehr auszuweiten. Das erkennt auch zum Beispiel die FDP. Ihr Innenpolitiker Max Stadler kommentiert den G-8-Einsatz mit den Worten: »Innenminister Schäuble hat die G-8-Demonstrationen genutzt, um die Bevölkerung weiter daran zu gewöhnen, daß man immer mehr mit dem Militär im Inneren arbeitet.«

Artikel 35 des Grundgesetzes bestimmt, daß die Bundeswehr im Inneren nur auf dem Wege der Amtshilfe bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen eingesetzt werden darf. Auch zur Abwehr noch nicht eingetretener, aber zu erwartender Unglücksfälle wäre ein Militäreinsatz nach Urteilen des Verfassungsgerichtes statthaft. Inzwischen scheinen solche Einsätze jedoch bei Großveranstaltungen zur Regel zu werden. Wie man beispielsweise die Fußballweltmeisterschaft unter die Begriffe »Naturkatastrophe« oder »Unglücksfall« subsumieren konnte, bleibt rätselhaft. Dennoch war die Bundeswehr massiv im Einsatz. Darüber hinaus veranlaßt die Bundesregierung Einsätze, die vom Grundgesetz nicht geregelt sind, zum Beispiel die Unterstützung von Privatveranstaltungen wie der Münchner »Sicherheitskonferenz«.

Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz begrüßte dies auch noch geradezu euphorisch im Innenausschuß am 20. Juni 2007: »Wir machen ja die Erfahrungen, daß Großveranstaltungen mit internationalem Gepräge in Deutschland im Grunde nur noch funktionieren mit der Hilfe der Bundeswehr. Und unsere Männer und Frauen bei der Bundeswehr machen bei diesen Großveranstaltungen einen hervorragenden Job. Stichwort Fußballweltmeisterschaft, Weltjugendtag. Und auch hier in Heiligendamm waren, wenn ich das richtig nach meinen Unterlagen wahrnehme, insgesamt 1100 Soldatinnen und Soldaten im Einsatz, und sie haben alle ihren Job ganz wunderbar gemacht.« Mit »98 Prozent« des Einsatzes zeigte sich Wiefelspütz zufrieden. Zu den anderen zwei Prozent äußerte er sich kurz kritisch, weitere Konsequenzen kündigte er aber nicht an.

Die Linke gegen Salamitaktik

Deshalb wird Die Linke demnächst im Bundestag einen Antrag einbringen, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, an der im Grundgesetz festgelegten Trennung der Aufgaben von Bundeswehr und Polizei festzuhalten. Die Bundesregierung solle anerkennen, daß die Kernaufgabe der Bundeswehr die Landesverteidigung ist und der Begriff Landesverteidigung nicht Verbrechensbekämpfung, Strafverfolgung und Objektschutz umfaßt. Ferner will die Linke einen Verzicht auf den Einsatz der Bundeswehr bei Großveranstaltungen erreichen. Schließlich sollen die Kapazitäten der Bundeswehr für einen möglichen Einsatz im Inneren und zur Übernahme von Polizeiaufgaben zurückgebildet werden. Die dadurch frei werdenden Kapazitäten will Die Linke in den Aufbau ziviler Fähigkeiten investieren.

Schon jetzt kann das Technische Hilfswerk fast 80.000 Menschen mobilisieren. Die Berufs- und Betriebsfeuerwehren verfügen über mehr als 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mehr als eine Million Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr können in die Planungen miteinbezogen werden. Dazu kommen etwa 500.000 Helferinnen und Helfer aus den Rettungsdiensten. THW und Feuerwehr verfügen jeweils über ABC-Berge-, Spür- und Dekontaminationsfahrzeuge und -einrichtungen. Angesichts dieser verfügbaren Kapazitäten wird deutlich, daß das Bundesverteidigungsministerium und der Bundesinnenminister keine sachlichen Argumente haben, sondern die Bevölkerung an den Einsatz des Militärs im Inneren gewöhnen wollen.

zuerst erschienen in: junge Welt vom 02. Juli 2007