Rede im Bundestag: Antworten der Bundesregierung zum Rechtsextremismus sind eine Mischung aus Oberflächlichkeit, Ignoranz und Verharmlosung

Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste aus antifaschistischen Organisationen und Verbänden, die wir heute eingeladen haben! Neofaschistische Propaganda und Gewalttaten haben einen neuen Höchststand erreicht. In den Parlamenten von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern verbreitet die NPD menschenverachtende Hetze. Auf den Straßen richten ihre Fußtruppen Terror gegen alle, die nicht in ihr Weltbild passen.

[Unruhe im Saal]

Sinn unserer Großen Anfrage war es, diese Entwicklung so gründlich wie möglich zu erforschen. Die Linke will, dass Neofaschismus in diesem Land bekämpft werden kann.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Antworten der Bundesregierung sind jedoch extrem knapp. Oftmals hat sie trotz des Einsatzes von V-Leuten in dieser Partei überhaupt keine Erkenntnisse.
Wir wollen Aufklärung und wir wollen Konzepte gegen rechts. Stattdessen präsentiert uns die Regierung eine Mischung aus Oberflächlichkeit, Ignoranz und Verharmlosung. Diese Antwort, auf die wir ein Jahr lang warten mussten, hinkt weit hinter den Notwendigkeiten her.
Ein Beispiel. In manchen Regionen werden Linke oder Menschen ausländischer Herkunft Tag für Tag von Rechtsextremisten bedroht. Neofaschisten sprechen von sogenannten national befreiten Zonen. Selbst die Bundeszentrale für politische Bildung warnt auf ihrer Homepage vor einer Faschisierung der ostdeutschen Provinz. Aber die Bundesregierung wiegelt ab und behauptet, es könne lediglich der Eindruck entstehen, dass Rechtsextremisten punktuell das öffentliche Erscheinungsbild bestimmen. Das ist unserer Meinung nach eine zynische Missachtung der Opfer neofaschistischer Gewalt.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Zweites Beispiel. Über Nazikonzerte erteilt die Regierung die nichtssagende Auskunft ich zitiere :
Rechtsextremistische Bands bevorzugen Rockmusik in den verschiedensten Stilrichtungen oder Liedgut in Balladenform.
Tatsächlich dringen Neofaschisten immer stärker in andere Musikstile ein. Ich nenne hier nur Ska, Punk, Rap und Hip-Hop. Diese Musik wird mit Texten unterlegt, die Hetze und Mordaufrufe enthalten. Darauf geht die Bundesregierung in ihrer Antwort mit keinem Wort ein.
Eine falsche Behauptung löst die andere ab; eine Wissenslücke folgt auf die nächste. Bekannt ist, dass Läden der rechten Szene für den Zusammenhalt der Nazikameradschaften zentral sind. Warum die Regierung keinerlei Erkenntnisse hat, wie sich diese Läden entwickeln und wie verbreitet sie sind, können wir nicht nachvollziehen. Dies betrifft ebenso die Widersprüche innerhalb der NPD.
Rechtsextreme Einstellung ist ein Problem in der Mitte der Gesellschaft, keines des Randes oder bestimmter Altersgruppen.
(Beifall bei der LINKEN)
So heißt es in einer Studie der sozialdemokratischen Friedrich-Ebert-Stiftung.
Doch die Bundesregierung will den Neofaschismus nur als Problem sehen, das den extrem rechten Rand betrifft. Tatsächlich suchen und finden Neofaschisten Anknüpfungspunkte weit in der sogenannten Mitte dieser Gesellschaft. Vor wenigen Tagen hat der CDU-Landrat von Muldental mit sogenannten volkstreuen Jugendlichen und Anhängern der NPD freundlich geplaudert. Der sächsische Landtagspräsident Erich Iltgen, Mitglied der CDU, hielt es in dieser Woche nicht einmal für nötig, den NPD-Abgeordneten Holger Apfel zu rügen, als er Migranten als „Wohlstandsneger“ bezeichnete und diese diffamierte, indem er sagte, sie seien sowieso nicht in Deutschland integrierbar. Für die Linke ist so etwas nicht mehr mit Naivität zu entschuldigen.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber damit nicht genug. Das Studienzentrum Weikersheim unter der Schirmherrschaft von Unionspolitikern fördert seit Jahren Wehrmachtsverherrlichung und Antisemitismus. Bei Vertriebenenverbänden, Burschenschaften und etlichen pensionierten Bundeswehroffizieren lässt sich Ähnliches beobachten. Umfragen zeigen hohe Zustimmungswerte für rassistische Positionen. Es hat sich ein Graubereich etabliert, in dem sich Rechtsextremisten und Konservative vermischen. Doch die Regierung drückt beide Augen zu und will hiervon nichts wissen. Es gibt keinerlei Erkenntnisse.
Die Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage zeigt erneut: Eine ernsthafte Bekämpfung des Rechtsextremismus bedarf einer umfassenden Konzeption. Der Einsatz von V-Leuten in der NPD gehört unserer Meinung nach nicht dazu.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Wenn wir verhindern wollen, dass Naziparteien weitere Wahlerfolge feiern und der rechte Terror auf den Straßen zunimmt, brauchen wir vielfältige Programme und Aktionen gegen diese braunen Banden. Wir brauchen Konzepte gegen den weitverbreiteten Antisemitismus und Rassismus in dieser Gesellschaft.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))