Rede im Bundestag: Für ein umfassendes Bleiberecht für „geduldete“ Personen!

Rede von Ulla Jelpke zu TOP 20 der 70. Sitzung des Bundestages, Antrag der Fraktion Die Grünen auf Bundestagsdrucksache 16/3340

Die Innenministerkonferenz hat vor zwei Wochen eine Regelung beschlossen, die alle Hoffnungen auf ein humanitäres Bleiberecht zerschlagen hat. In der Pressekonferenz haben sich die Innenminister zwar gegenseitig auf die Schulter geklopft und waren offensichtlich stolz auf den gefundenen Kompromiss. Aber stolz können sie darauf sein, die Öffentlichkeit massiv getäuscht zu haben. Die dachte nämlich, hier sei eine gute Lösung für zahlreiche Menschen gefunden worden, die seit vielen Jahren mit so genannten Duldungen in Deutschland leben, ohne bislang auch nur die geringste Chance zur Integration bekommen zu haben. Von insgesamt 100.000 Menschen war die Rede, deren Schicksal sich nun bessern werde.

Wenn man sich den Beschluss genauer anguckt, wird man feststellen müssen: es ist ein fauler Kompromiss mit vielen Löchern. Gerade bei denjenigen, die eine großzügige Regelung brauchen, herrscht weiterhin Unsicherheit. Ob eine alleinstehende Mutter oder ein Rentner eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, soll auch künftig im Ermessen der Ausländerbehörden stehen. Bei dem Paket, das die Innenminister uns hier verkaufen wollen, handelt es sich um eine Mogelpackung zu Lasten von Zehntausenden und nichts anderes. Verschiedene Ausländerbehörden in Nordrhein-Westfalen haben bereits bestätigt, dass nur wenige Geduldete in ihrem Zuständigkeitsbereich unter die Regelung fallen dürften.

Wie viel die Einigung der Innenministerkonferenz wirklich wert ist, zeigen die weiteren Beschlüsse. Bei der Innenministerkonferenz wurde auch über das Schicksal von ca. 10.000 geduldeten Irakern gesprochen. Dass sich der Irak faktisch im Bürgerkrieg befindet, wurde ignoriert. Stattdessen wird im Bericht lakonisch festgehalten: „Die IMK stellt fest, dass nun mit der Rückführung von ausreisepflichtigen Irakern begonnen werden kann.“ Zunächst sollen straffällig gewordene Iraker abgeschoben werden, dann auch alle übrigen. Wir wissen aber aus Berichten von Flüchtlingsorganisationen, dass auch jetzt schon Iraker, gleich ob Christen oder Muslime, abgeschoben werden. Beschließt so etwas jemand, der Menschen helfen will? Wohl kaum! Die Innenminister haben mit beiden Beschlüssen deutlich gemacht, dass sie in erster Linie die Abschiebung von möglichst vielen Menschen interessiert, und sonst nichts.

Der Antrag der Grünen geht in die richtige Richtung, ist aber nicht entschieden genug. Er lässt den Ausländerbehörden in der Frage der angeblich oder tatsächlich selbst geschaffenen Abschiebungshindernisse immer noch einen Ermessensspielraum. Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass dieses Ermessen selten im Sinne der Betroffenen ausgeübt wird. Daher muss hier ein klare Linie gelten: wer sich einen bestimmten Zeitraum geduldet in Deutschland aufgehalten hat, hat automatisch Zugang zum Bleiberecht. Und dafür muss es eine dauerhafte gesetzliche Regelung geben, die auch in Zukunft Kettenduldungen verhindert.

Es gibt aber einen weiteren Punkt, zu dem der Antrag der Grünen überhaupt nichts sagt: die Verweigerung des Bleiberechts für Geduldete, denen extremistische Bestrebungen vorgeworfen werden. Im Antrag fehlt die Absage an Gesinnungsabschiebungen auch von Flüchtlingen und Asylbewerbern, deren Anerkennung widerrufen wurde. Da werden Menschen abgeschoben, denen eine Straftat nicht nachgewiesen werden kann, denen lediglich irgendeine extremistische Gesinnung vorgeworfen wird. Deshalb will man sie loswerden. Besonders betroffen sind davon Kurdinnen und Kurden, auch wenn in der Öffentlichkeit so getan wird, als wären nur islamische Extremisten betroffen. Diese Politik, mit Hilfe von Abschiebungen scheinbar politische Konflikte in Deutschland zu lösen, wird inzwischen anscheinend auch von den Grünen getragen. So lange es dazu keine Klarstellung gibt, werden wir solchen Anträgen nicht zustimmen.

Wir werden zur Einführung eines umfassenden und humanitären Bleiberechts noch einen eigenen Antrag einbringen. Denn wir wollen nicht, dass allein erziehende Mütter und Väter, alte Menschen, Kinder im Schulalter oder Jugendliche in der Ausbildung vom guten Willen der Innenminister und Behördenmitarbeiter abhängen, wenn sie ein Bleiberecht in Anspruch nehmen wollen.

(zu Protokoll gegeben)