Erklärung: Die richtigen Schlüsse ziehen

Im Wahlkampf hat die Berliner Linkspartei den Wählerinnen und Wählern in Berlin eine „richtig rote“ Politik versprochen. Dass viele diesem Versprechen nicht geglaubt haben, überrascht nicht. Ihre Erfahrungen mit der Politik des rot-roten Senats in den letzten Jahren waren alles andere als „richtig rot“: Privatisierungen zehntausender Wohnungen, rüde soziale Kürzungen, gravierende Einschnitte im Bildungsbereich. Viel zu selten hat die Linkspartei.PDS im Senat Widerstand geleistet oder klare Grundsätze für ihre Politik formuliert. Viel zu oft hat sie unsoziale Entscheidungen mitgetragen und nach außen verteidigt, manches Mal sogar selbst initiiert und durchgesetzt. Immer wieder hat sie dabei auch gegen Parteibeschlüsse verstoßen. So beispielsweise bei der Entscheidung über die EU-Verfassung im Bundesrat.

Viele Wählerinnen und Wähler sind deshalb enttäuscht zuhause geblieben. Andere haben sich anderen Parteien zugewandt. Wer Rot-Rot trotz allem für das kleinere Übel hielt, konnte statt der Kopie immerhin gleich das Original, die SPD, wählen. Im Vergleich zur letzten Landtagswahl hat die Linkspartei.PDS in Berlin über 9 Prozent und absolut 181.124 Stimmen verloren. Auch das eigene sehr tief gesteckte Wahlziel „17 Prozent plus x“ hat man deutlich verfehlt. Und das in einer Situation, in der die Linke im Bundestrend weit über den damaligen Zustimmungswerten liegt.

In Mecklenburg-Vorpommern konnte sich unsere Partei gegenüber dem schwachen Ergebnis der letzten Landtagswahl, in die wir bereits als Regierungspartei gegangen waren, leicht verbessern. Mit ein Grund ist hierfür sicherlich, dass beispielsweise bei sozial- und arbeitsmarktpolitischen Vorschlägen, beim Abstimmungsverhalten im Bundesrat oder bei außerparlamentarischen Protestaktivitäten wie zuletzt aus Anlass des Bush-Besuches eine linke Handschrift teilweise erkennbar war. In absoluten Zahlen allerdings haben wir auch hier nochmals verloren: 21.817 Stimmen gegenüber der Landtagswahl 2002, 97.454 Stimmen gegenüber der letzten Bundestagswahl. Während das in uns gesetzte Vertrauen schwindet, wachsen Hilflosigkeit und Verzweiflung. Über 40 Prozent der Wahlberechtigten gingen auch in Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr zur Wahl. Neofaschistischen Kameradschaften ist es gelungen, verbreiteten Frust und Wut in ein Rekordergebnis für die NPD umzumünzen. Auch das ist ein erschreckendes Ergebnis dieses Wahlsonntags.

Von fast allen Parteien wird seit Jahren eine neoliberale Politik vorangetrieben, die sich in Privatisierungen, Marktradikalismus und sozialer Kälte niederschlägt. Immer mehr Menschen bleiben dabei auf der Strecke – ohne Chancen, ohne Hoffnung. Damit es endlich mehr Widerstand gibt, braucht dieses Land eine starke Linke.

Die anstehenden Koalitionsverhandlungen betreffen deshalb nicht nur zwei Bundesländer. Sie haben Auswirkungen auf die gesamte Linkspartei und die Perspektiven der neuen Linken. Wir appellieren an die verantwortlichen Genossinnen und Genossen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern: Als Fundament für eine starke Linke ist Glaubwürdigkeit unerlässlich. Setzt sie nicht weiter aufs Spiel!

Linke Politik muss für linke Grundsätze einstehen. Sie braucht Mindestbedingungen fürs Mitregieren: keine Privatisierungen, keine Kürzungen bei sozialen Leistungen, keine Förderung sozialer Bildungsprivilegien, kein Abbau öffentlicher Beschäftigung.

Linke Politik muss ihre Wahlkampfaussagen ernst nehmen: Wer gegen Privatisierungen, gegen Sozialaubbau und für die Gemeinschaftsschule plakatiert, darf davon nicht nach der Wahl Abstand nehmen.

Linke Politik heißt, sich dessen bewusst zu bleiben, dass auch Opposition wirkungsvoll Einfluss nehmen kann. Wenn innerparlamentarische Partner für soziale Politik fehlen, ist Opposition oft sogar einflussreicher als die Teilnahme an einer neoliberal dominierten Koalition.

Niemand von uns kann vergangene Fehler rückgängig machen. Aber es liegt an uns, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Für eine Politik des weitgehend bedingungslosen Mitregierens sollte nicht nur nach diesen Wahlen gelten: Fortsetzung folgt nicht! Eine starke Linke muss auf allen Ebenen, in Bund, Ländern und Kommunen, erkennbar anti-neoliberal und glaubwürdig sein. Oder sie wird nicht sein.

Unterzeichnerinnen und Unterzeichner:

Sahra Wagenknecht (Mitglied im Parteivorstand der L.PDS, MdEP), Nele Hirsch (MdB), Sabine Lösing (Gründungsmitglied der WASG, Mitglied im Länderrat) Ulla Jelpke (MdB), Sevim Dagdelen (MDB), Heike Hänsel (MdB), Ellen Brombacher (Bundessprecherin KPF), Thies Gleiss (Mitglied im Bundesvorstand der WASG), Wolfgang Dreßen (Mitglied im Landesvorstand der L.PDS NRW), Simone Stein (Mitglied des Landesvorstandes der Linkspartei.PDS Ba-Wü), Birgit Pätzold (Mitglied im Landesvorstand der L.PDS Thüringen), Rainer Spilker (Mitglied im Bundesvorstand der WASG), Niema Movassat (Mitglied im Landesvorstand der L.PDS NRW), Dr. Johanna Scheringer-Wright (MdL Thüringen), Ute Abraham (Mitglied des Landesvorstandes der L.PDS in NRW), Dieter Keller (Mitglied im Landesvorstand der WASG in NRW), Wolfgang Zimmermann (Mitglied im Landesvorstand der WASG NRW), Marc Mulia (Mitglied im Länderrat der WASG), Lorenz Gösta Beutin (Mitglied im Landesvorstand der WASG Schleswig Holstein, Mitglied im Länderrat der WASG), Volker Külow (MdL Sachsen), Inge Höger (MdB, stellvertretende Fraktionsvorsitzende), Katharina Schwabedissen (Mitglied im Landesvorstand der WASG NRW), Stefan Krug (Sprecher der WASG im Ennepe-Ruhr-Kreis), Thomas Pätzold (Landessprecher [´solid] Thüringen), Ralph Dobrawa (Gotha; Zeitschrift „Rotfuchs“), Dirk Hoeber (Mitglied des Parteirates der L.PDS für Baden-Württemberg), Gerhard Pein (Mitglied des Kreisvorstandes der L.PDS, Kreistagsabgeordneter Linkspartei.PDS Ilm-Kreis, Stadtrat in Arnstadt), Jochen Traut (Mitglied des Kreisvorstandes der L.PDS Ilm-Kreis), Dr. Thomas Hartung (Mitglied im Landesvorstand der L.PDS in Thüringen) und andere.