Waffen für die Kurden?

Angesichts des Vormarsches der mörderischen Jihadisten wurde der Ruf laut, Waffen an kurdische Milizen zu schicken, damit diese sich gegen den IS verteidigen können. Mehrere westliche Staaten haben sich schon zu entsprechenden Waffenlieferungen an die Kurdische Autonomieregierung im Nordirak bereit erklärt, der Iran soll sogar schon Waffen zur Verfügung gestellt haben. Die Bundesregierung hat bereits die Lieferung von Ausrüstungsgegenständen wie schusssicheren Westen zugesagt und prüft die Lieferung von Handfeuerwaffen und Panzerabwehrraketen. In einer Sondersitzung soll der Bundestag am Montag darüber beraten. Entscheiden dürfen die Abgeordneten allerdings nicht, da dies allein die Befugnis der Regierung ist. Dass das Parlament hier also nur beratend tätig sein darf, ist umso fataler, als es sich bei der geplanten Waffenlieferung an die Kurden um einen Präzedenzfall handelt. Denn bislang galt die Regel, dass keine Waffen in Kriegsgebiete geliefert werden dürfen. Schon diese Regel wurde von den wechselnden Bundesregierungen immer wieder umgangen. So ist die Türkei einer der größten Abnehmer deutscher Rüstungstechnik, obwohl die türkische Armee – zumindest bis zum vor rund zwei Jahren angelaufenen Friedensprozess – Krieg gegen die kurdische Befreiungsbewegung führt und dazu immer wieder auch irakisches Territorium bombardiert. Doch hier verwies die Bundesregierung auf die NATO-Mitgliedschaft der Türkei. Waffenlieferungen an Israel, das regelmäßig Krieg gegen seine Nachbarn führt, wurden mit einer besonderen deutschen Verantwortung gerechtfertigt. Aber Waffen an halbstaatliche kurdische Milizen mitten in einem Bürgerkrieg wären doch ein weitergehender Bruch mit der bisherigen Prämisse, keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern.
Auch innerhalb der Linkspartei wurden einige Stimmen laut, wonach man angesichts der Dramatik der Situation den Kurden entsprechende Militärhilfe nicht versagen dürfe. Dem steht das Erfurter Parteiprogramm der Linken ebenso wie das Wahlprogramm zur Bundestagswahl mit der Forderung nach einem Verbot jeglicher Rüstungsexporte entgegen. Doch geht es bei dieser auch innerlinken Debatte nicht um die scheinbare – und von einigen Medien aufgebaute – Frontstellung von abstraktem und weltfremdem Pazifismus gegen die Notwendigkeit der Kurden, sich bewaffnet zu verteidigen. Niemand in der Linkspartei wird das Recht der Kurden oder anderer vom IS attackierter und massakrierter Bevölkerungsgruppen bestreiten, sich mit allen notwendigen Mitteln zu wehren. Die Fragen lauten vielmehr, wer derzeit wirkungsvoll gegen den IS kämpft, wer hier im Einzelnen nach Waffen ruft, welche Gruppierungen auf kurdischer Seite in den Genuss der Waffenlieferungen kommen sollen, welche Gefahren mit solchen Waffenlieferungen verbunden sind, welche Interessen der Westen an der Militärhilfe für die Kurden hat und welche Alternativen es dazu gibt.
Dass der IS heute große Teile Syriens und des Irak beherrscht und dort ein Kalifat des Schreckens errichtet, ist eine Folge der westlichen Nahost-Politik: des völkerrechtswidrigen Krieges gegen den Irak, die Zerstörung des irakischen Staatsapparates und die Unterstützung für die extrem sunnitenfeindlich agierende Maliki-Regierung einerseits und der Aufrüstung syrischer Oppositionsgruppen gegen die dortige Baath-Regierung von Präsident Bashar al Assad andererseits. Bereitete die westliche Politik im Irak wohl ungeplant einen fruchtbaren Boden für das Anwachsen des IS, so konnten die Vorläufer des IS in Syrien im Rahmen der gegen Assad kämpfenden Allianz jahrelang sogar auf direkte Unterstützung des Westens setzen. Insbesondere der NATO-Staat Türkei unterstütze die Gotteskrieger mit Logistik, Waffenlieferungen und als Transitland für die aus aller Welt kommenden Jihadisten auf dem Weg nach Syrien. Und diese türkische Unterstützung dauert an, da die islamisch-konservative AKP-Regierung Gruppen wie den IS fördert, um die Etablierung einer kurdischen Selbstverwaltungsregion in Nordsyrien zu verhindern. Doch bis heute weigert sich die Bundesregierung in ihren Antworten auf unsere Kleinen Anfragen, diese belegten Fakten über IS-Ausbildungscamps in der Türkei, über Waffentransporte durch den türkischen Geheimdienst, über Verwundete des IS in türkischen Krankenhäusern etc. zur Kenntnis zu nehmen. Wenn diejenigen westlichen Kräfte, die mit ihrer Politik direkt oder indirekt zum Wachstum des IS beigetragen haben und bis heute die zentrale Rolle der Türkei bei der IS-Förderung ignorieren, sich jetzt als Befreier aufspielen, ist das schlicht unglaubwürdig. Dazu kommt, dass die Kurden ja nicht erst seit diesem Sommer gegen den IS und seine Vorläufer kämpfen. Das kurdische Selbstverwaltungsgebiet Rojava im Norden Syriens wird seit zwei Jahren bereits von den Jihadisten des IS, der Al Nusra Front und der Islamischen Front attackiert, es geschahen zahlreiche Massaker an Kurden, Jesiden, Christen und Alawiten. Doch als Bedrohung wurde der IS von den westlichen Regierungen erst wahrgenommen, als dessen Krieger sich den großen Ölfeldern im Irak, insbesondere um die Stadt Kerkuk, näherten. Dass mit der in Aussicht gestellten Waffenhilfe für die Peschmerga der kurdischen Autonomieregierung von Präsident Masud Barzani andere als lediglich humanitäre Überlegungen verbunden sind, liegt damit auf der Hand. Und auch Barzani scheint mit dem Ruf nach Waffen andere Ziele zu verbinden als nur die Abwehr der jihadistischen Offensive. Bereits im Juni hat Barzani die Durchführung eines Referendums über die Lostrennung der kurdischen Gebiete vom Irak und die Etablierung eines unabhängigen kurdischen Staates angekündigt. Eine Voraussetzung für einen solchen sowohl von der Bagdader Zentralregierung als auch dem benachbarten Iran abgelehnten kurdischen Nationalstaat wären schwere Waffen zu seiner Verteidigung. Bislang hatten die USA und andere westliche Staaten Barzanis Ruf nach schweren Waffen aus Rücksicht auf die Nachbarstaaten und die Bagdader Zentralregierung zurückgewiesen. Doch jetzt scheint eine Situation eingetreten zu sein, in der den Peschmerga solche Waffen nicht mehr länger verweigert werden können. Es deutet allerdings einiges darauf hin, dass Barzanis Demokratische Partei Kurdistans (KDP) diese Situation absichtlich herbeigeführt hat. Obwohl Angriffe des IS auf die jesidischen Siedlungsgebiete von Sengal und die Grenzstadt Rabia absehbar waren, hatte die kurdische Regierung sich geweigert, weitere Peschmerga in diese Region zu schicken. Stattdessen zogen sich die Peschmerga der Anfang August kampflos aus dieser Region zurück, dabei entwaffneten sie sogar noch jesidische Dorfbewohner, die Waffen zur Selbstverteidigung behalten wollten. Der IS wurde damit direkt zum Einmarsch in diese Gebiete eingeladen, während die Peschmerga die Zivilbevölkerung schutzlos zurückließ. Ob der Rückzug der KDP-Peschmerga auf eine fatale Fehleinschätzung der Situation, auf Unwilligkeit zum Kämpfen oder aber bewusstes Kalkül zurückzuführen ist, bleibt offen. Doch muss die Frage gestellt werden, ob dieses Verhalten nun auch noch mit der Lieferung von schweren Waffen belohnt werden soll.
Dazu kommt, dass es sich bei den je nach Angaben zwischen 140.000 und 200.000 Peschmerga im Nordirak nur formal um eine der kurdischen Regionalregierung unterstehende nationale Streitmacht handelt. In Wirklichkeit bestehen die Peschmerga aus mehreren Parteiarmeen der kurdischen Regierungsparteien, insbesondere von Barzanis Demokratischer Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), die sich noch in den 90er Jahren einen blutigen Bruderkrieg um die Kontrolle der kurdischen Landesteile geliefert haben. Das Risiko, dass Waffenlieferungen nur einer Partei zu gute kommen und zukünftig bei innerkurdischen Auseinandersetzungen etwa gegen das Selbstverwaltungsgebiet Rojava oder im Falle der Lostrennung der kurdischen Gebiete vom Irak gegen kurdische Parteien, die sich einer Unabhängigkeit widersetzen, Verwendung finden, besteht damit.
Insbesondere ist aber die Gefahr groß, dass Waffen, die heute in die Region geliefert werden, morgen bei ganz anderen Kräften als den offiziellen Empfängern landen. In den vergangenen zehn Jahren wurde bereits die irakische Armee vom Westen – vor allem von den USA – hochgerüstet. Zu einer besseren Moral in der Truppe hat das nicht beigetragen, angesichts der nahenden ISIS-Horden ließen die irakischen Soldaten die moderne Technik liegen und flohen. So konnte IS nach seiner kampflosen Einnahme von Mossul an der Spitze einer sunnitischen Aufstandsbewegung im Juni große Mengen moderne Militärtechnik einschließlich Panzer, Raketen und Hubschrauber unter ihre Kontrolle bringen und teilweise bereits wenige Tage darauf gegen Kurden in Syrien einsetzen. Weitere umfangreiche Waffenarsenale von IS stammen aus der Aufrüstung der syrischen Opposition durch westliche Staaten und die Golfmonarchien. Teilweise liefen Gruppen der sogenannten gemäßigten Opposition gleich im Ganzen zu ISIS über, teilweise wurden die Waffen auch bei Kämpfen dieser Verbände untereinander erbeutet. Wer heute erneut Raketen und andere schwere Waffen in den Irak pumpen will, riskiert, dass diese Technik morgen in der Hand des IS, von Al Qaida und ähnlichen Kräften landet und sich damit genau gegen diejenigen richtet, die heute damit unterstützt werden sollen.
Die Hauptlast im Kampf gegen den IS tragen zudem nicht die Peschmerga sondern Milizen aus dem kurdischen Selbstverwaltungsgebiet Rojava in Syrien. Die Volksverteidigungseinheiten (YPG) und Frauenverteidigungseinheiten (YPJ), in deren Reihen sich neben Kurden auch Araber und Aramäer befinden, konnten bis heute die seit zwei Jahren andauernden Angriffe des IS und seiner Vorläufer, der Al Nusra Front und anderer Jihadisten trotz großer Opfer aus eigener Kraft abwehren. Nach dem Rückzug der KDP-Peschmerga aus Sengal und von der Grenzstadt Rabia waren es dann die YPG, die gemeinsam mit Guerillakämpfern der PKK einen Fluchtkorridor für zehntausende Jesiden von den Sengal-Bergen nach Rojava freikämpften und ihnen so das Leben retteten. PKK und YPG-Kämpfer spielten auch eine entscheidende Rolle bei der strategisch nur 40 Kilometer von der kurdischen Hauptstadt Erbil entfernt gelegenen Stadt Mahmur. Selbst Präsident Barzani musste dies anerkennen und sich bei der PKK-Guerilla bedanken. PKK-Chef Cemil Bayik erklärte im Interview mit der türkischen Zeitung Vatan: „Wenn man Waffen liefern will, dann muss man Waffen denen geben, die kämpfen. Das wäre das richtige. Kräften, die nicht kämpfen, sondern weglaufen Waffen zu liefern, ist gleichbedeutend mit Waffenlieferungen an den IS.“Bayik verwies darauf, dass nicht die Militärtechnik sondern die Motivation der Kämpfenden entscheidend ist. das Bestimmende ist der Mensch selbst. Und der Mensch existiert durch seinen Glauben, seine Ziele und sein Denken. Wenn das Ziel, der Glaube und das Denken solcher Menschen oder Bewegungen stark sind, können sie auch die stärkste Technik besiegen. Es gibt praktische Beispiele dafür. Die YPG und die HPG kämpfen gegen den IS, aber weder die YPG noch die HPG(PKK-Guerilla) haben Waffen wie der IS in den Händen, aber sie können gegen den IS Widerstand leisten.“ Obwohl PKK und YPG so die einzige Kraft im Nahen Osten darstellen, die derzeit aus eigener Kraft erfolgreich gegen den Vormarsch des IS kämpft, betteln sie nicht nach Waffen aus dem Ausland. Allerdings gibt es Hindernisse für diese Verbände, sich die für die Verteidigung der Bevölkerung notwendigen Mittel auf legale Weise zu beschaffen. So befindet sich die PKK – im Unterschied zum IS! – auf der EU-Terrorliste, damit ist es verboten, ihr Finanzen oder Sachwerte zur Verfügung zu stellen. Und gegen Rojava wird vom NATO-Partner Türkei und der mit der Türkei verbündeten Demokratischen Partei Kurdistans von Präsident Barzani ein Embargo aufrechterhalten, das nicht nur die Zivilbevölkerung und hunderttausende Flüchtlinge ohne ausreichend Nahrung und Medikamente lässt, sondern letztlich auch die Widerstandskraft der YPG schwächt.
Von Seiten der kurdischen Freiheitsbewegung wird nicht nur der Ruf einiger – in Deutschland unter der kurdischen Diaspora übrigens marginaler – kurdischer Verbände nach Waffen sondern auch das Eingreifen der USA mit Luftangriffen auf IS-Stellungen sehr kritisch gesehen. „Das kurdische Volk ist selber in der Lage, sich zu verteidigen“, machte Songül Talay vom Kurdischen Frauenfriedensbüro Ceni in Düsseldorf im Interview mit der jungen Welt deutlich. „Machen wir uns doch nichts vor: Militärische Interventionen von außen dienen doch meist dem Zweck, ethnisch verfolgte Völker abhängig zu machen, um diese anschließend für eigene imperialistische Machtinteressen auszunutzen. Diplomatischer Druck auf die Länder, die die Terrororganisation »IS« politisch und finanziell unterstützen, wäre aber hilfreich.“
Mit den geplanten Waffenlieferungen an die Peschmerga bezweckt die Bundesregierung wohl dreierlei. Zum einen will sich Berlin den Wohlwillen der im Autonomiegebiet im Nordirak regierenden kurdischen Parteien in dieser geopolitisch wichtigen, rohstoffreichen Region erhalten. Zum zweiten hofft die deutsche Rüstungsindustrie auf lukrative Aufträge – ob darauf was wird, wird sich zeigen, da die bisher zur Lieferung versprochene Technik Uraltmaterial aus Bundeswehrbeständen ist. Aber wenn – und damit komme ich zum dritten Punkt – mit der Aufrüstung der kurdischen Parteimilizen erstmal ein Präzedenzfall der Waffenlieferungen an eine unmittelbar im Kampf stehende Truppe in einem Krisengebiet geschaffen wurde, wird es bald weitere solcher Fälle in anderen Weltregionen geben, in denen die Bundesregierung dann auch Bestellungen von deutschen Neuwaffen absegnen wird. Wenn Berlin den Kurden jetzt ernsthaft unter die Arme greifen wollte, würde erst einmal die humanitäre Hilfe für die vielen hunderttausend Flüchtlinge ganz massiv aufgestockt. Doch statt Zelten und Decken liefert die Bundesregierung offenbar lieber Raketen. Das ist schon bezeichnend für deren Prioritäten.
DIE LINKE. sollte bei ihrer generellen Ablehnung von Waffenexporten bleiben, gerade auch im konkreten Fall möglicher Militärhilfe für die Peschmerga. Stattdessen sollte sich DIE LINKE für die folgenden Forderungen stark machen.
– Humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge in Rojava und dem Nordirak
– Aufhebung des Hungerembargos gegen Rojava und internationale Anerkennung der Selbstverwaltungsregion
– Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland und Streichung der PKK von der EU-Terrorliste
– Die Bundesregierung muss endlich Druck auf die Türkei ausüben, damit die Grenzen für die Jihadisten geschlossen und die logistische Unterstützung durch den türkischen Geheimdienst beendet wird.
– Für ein generelles Verbot von Rüstungsexport

Artikel für Linksletter NRW