Artikel: Kein »Pannendienst«

Den vermeintlichen »Neustart«, die angekündigte bzw. teilweise schon umgesetzte Umstrukturierung des Verfassungsschutzes, bezeichnen die Bürgerrechtler als bloßen »Pannendienst«. Aus ihrer Sicht stimme aber die ganze Konzeption nicht, mit einer staatlichen Behörde gegen vermeintliche »Extremisten« zu kämpfen.

Zu diesem Schluß kommen sie nicht nur wegen der skandalreichen Geschichte des Geheimdienstes – Eklats wie das »Celler Loch« und andere seien lediglich Ausdruck eines von Grund auf falschen und demokratieschädlichen Konzeptes.

Ausführlich arbeitet sich das Memorandum an der offiziellen Behauptung ab, der Schutz der Demokratie benötige ein »Frühwarnsystem« vor sogenannten Extremisten, deren Ideologie und Aktivitäten. Die Bürgerrechtler verweisen zunächst darauf, daß weder die Morde der NSU-Bande noch die Schnüffelpraxis der US-Geheimdienste vom Verfassungsschutz aufgedeckt, sondern von Medien und Whistle­blowern oder schlicht durch Zufälle bekannt wurden. Davon abgesehen, sei es in einem Rechtsstaat nicht legitim, wenn sich staatliche Behörden als Extremismuswächter gebärden, weil das stets darauf hinauslaufe, Bürger wegen legaler Aktivitäten »zu beobachten, zu registrieren, zu verfolgen, zu diskreditieren oder zu zensieren und auszugrenzen«. Dabei nehmen die Bürgerrechtler eine ausgesprochen radikaldemokratische Haltung ein: Auch für Verfassungsfeinde, die sich antisemitischer oder antiislamischer Parolen bedienen, müsse gelten, daß man »sanktionslos (bis zur Grenze der Strafbarkeit) denken, meinen und öffentlich äußern darf, was man will«, ohne daß der Staat diese Meinungen als verwerflich markieren dürfe.

Eine Sicherheitslücke sei mit einem Verzicht auf solche Beobachtungs­tätigkeiten nicht verbunden: Bei Hinterzimmer-Gruppen sei die Bespitzelung schlicht überflüssig, und für öffentlich agierende Gruppen brauche es per se keine Beobachtung. Ohnehin informierten Medien und unabhängige Institutionen über tatsächliche antidemokratische Bestrebungen zuverlässiger als der Inlandsgeheimdienst.

Aus der radikaldemokratischen Logik heraus lehnen die Bürgerrechtler auch Vorschläge aus der Linkspartei ab, eine unabhängige, nicht-geheimdienstliche »Informations- und Dokumentationsstelle« zur Beobachtung vor allem neofaschistischer Gruppen einzurichten. Entsprechende Institute gebe es bereits, und sobald staatliche Strukturen ins Spiel kämen, stelle sich das gleiche Problem wie beim jetzigen Verfassungsschutz. Der Staat aber dürfe nicht zum »Entscheider im öffentlichen Meinungskampf werden«.

Für gewalttätige Gruppen gälten zudem die normalen Strafgesetze, die seien ein Fall für die Polizei, nicht für Geheimdienste. Das betreffe auch Spionage und organisierte Kriminalität. Dabei dürfe es aber keine weitere »Vergeheimdienstlichung« der Polizei geben, warnen die Bürgerrechtler.

Die Linksfraktion im Bundestag begrüßte das Memorandum und erklärte, den verläßlichsten Schutz gegen antidemokratische Bestrebungen stelle eine wache, demokratische Öffentlichkeit dar, die frei von staatlicher Aufsicht ist.