Artikel: Kanonenfutter gesucht

Die Ausgaben der Bundeswehr für Personalwerbung haben sich innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt. Das ergibt sich aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Demnach stiegen die Werbekosten von 8,55 Millionen Euro im Jahr 2011 auf 20,34 Millionen 2012. Für das laufende Jahr ist eine Fortführung etwas unter diesem Niveau geplant. Hintergrund des massiven Anstiegs ist ein akutes Personalproblem der Truppe, die sich derzeit in zwölf Ländern im Auslands- und Kriegseinsatz befindet. Seit Aussetzung der Wehrpflicht im Sommer 2011 muß die Bundeswehr in Konkurrenz zum zivilen Arbeitsmarkt Freiwillige rekrutieren.

Der Etat für Printwerbung lag im vergangenen Jahr bei 6,2 Millionen Euro, 2011 waren es erst 2,66 Millionen gewesen. Ähnlich stark der Anstieg bei den Ausgaben für Rundfunk-, Internet- und Fernsehspots. Offenbar soll die Truppenreklame auch zielgruppennäher geschaltet werden. So lief der Werbespot »Bundeswehr-Karriere« beispielsweise im Frühjahr einen Monat lang über das digitale Schwarze Brett des Johann-Gottfried-Herder-Gymnasiums in Berlin-Lichtenberg. Denn Jugendliche stehen im Mittelpunkt der Rekrutierungsbemühungen. So verzeichnete die Bundeswehr für 2012 über 10000 Auftritte ihrer »Karriereberater« in Schulen, Jobcentern und Berufsinformationszentren. Während bei solchen Auftritten direkt um Bewerber gebuhlt wird, dürfen Jugendoffiziere, die im gleichen Zeitraum 4550 mal zu Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Seminaren an Schulen und Universitäten kamen, dort offiziell keine Nachwuchswerbung betreiben, sondern lediglich »Öffentlichkeitsarbeit«.

Die Jugendoffiziere referieren zu sicherheitspolitischen Themen und tragen damit zur Imagepflege der Truppe bei. Acht Bundesländer haben Kooperationsvereinbarungen mit der Truppe unterschrieben, die den Einsatz der Jugendoffiziere regeln. Für manche Schulleiter sei die »offizielle Billigung der Zusammenarbeit« durch das jeweilige Kultusministerium »eine gewisse Argumentationshilfe« gegenüber kritischen und skeptischen Lehrern gewesen, sagt der für Hessen zuständige Bezirksjugendoffizier Hauptmann Gerrit Hohmann. Einige der Bundeswehr wohlgesonnene Direktoren würden die Vereinbarung aber auch als »Wasser auf den Mühlen der Kritiker« beurteilen. Denn nicht überall sind die Offiziere im Klassenzimmer willkommen – etwa im Berliner Robert-Blum-Gymnasiums in Berlin-Schöneberg oder in der Käthe-Kollwitz-Schule im hessischen Offenbach. Die beiden Einrichtungen wurden vergangenen Sonntag mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet (siehe jW vom 3.9.).

erschien in: junge Welt 7.9.2013