Ghettorenten auszahlen – kein Diebstahl an NS-Opfern!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ich möchte zunächst gerne den Gesandten der israelischen Botschaft begrüßen, Herrn Emmanuel Nahshon, der heute hier sitzt, um die Debatte zu verfolgen, und der sehr für die Opfer gekämpft hat, dafür, dass diese Rente gezahlt wird.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wenn sich die Union und die FDP heute tatsächlich den Anträgen der Opposition verweigern, die Gettorenten in vollem Umfang – und darum geht es – auszuzahlen, dann bedeutet das nicht nur, dass sich die Opfer erneut verhöhnt fühlen werden, sondern es bedeutet auch – das finde ich besonders schlimm –, dass sie das Gefühl haben werden, dass ihnen Gerechtigkeit genommen wird. Herr Kolb, es geht tatsächlich darum, Gerechtigkeit für alle Opfer und Betroffenen herzustellen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, um es einfach einmal deutlich zu sagen: Gettorenten sind keine Form von Entschädigung, bei der man darüber streiten kann, wer sie erhalten soll oder wie hoch sie ausfallen soll. Wir wissen, wie knauserig die Bundesregierung in den vergangenen Jahren mit Entschädigungen umgegangen ist. Es bedurfte immer Druck von außen, damit überhaupt gehandelt wurde.

Gettorenten liegen – das muss einfach klar sein – rentenrechtlich begründete Ansprüche zugrunde. Die Menschen, die im Getto gearbeitet haben, haben einen Hungerlohn bekommen. Angeblich wurden von den Nazis Beiträge an die Rentenkassen abgeführt. Dass die Nazis nie vorhatten, Jüdinnen und Juden oder auch Sinti und Roma Renten auszuzahlen, wissen wir längst. Heute gibt es aber eigentlich keinen Grund, ihnen ihre Rentenansprüche nicht zuzugestehen. Ich denke, die Ansprüche sind seit 2005 völlig klar. Insofern streiten wir jetzt darum, dass die Betroffenen, die diese Rente nicht bekommen haben, Nachzahlungen bekommen.

Der Bundestag hat vor elf Jahren einstimmig beschlossen – das hat der Kollege Anton Schaaf schon gesagt –, die Rentenansprüche rückwirkend ab 1997 auszuzahlen. Aber es gab Fehler. Kaum ein Beamter, kaum ein Richter hat sich wirklich in die Materie hineinversetzt. Wer es doch tat, wie zum Beispiel Jan-Robert von Renesse, wurde unter anderem Opfer von Mobbing und Schikane.

Über 90 Prozent der Anträge wurden damals abgelehnt, was wirklich ein Skandal war, ein Armutszeugnis für Deutschland. Nach vielen Jahren sprach dann das Bundessozialgericht endlich ein Machtwort, woraufhin die Rentenkassen die Anträge neu überprüfen mussten. 7 000 Berechtigte überlebten diese Überprüfung übrigens nicht. Auch wenn es zynisch klingt, muss man sagen: Dazu ist es auch gekommen, weil hier verschleppt wurde und weil man offensichtlich Geld sparen wollte.

Aber auch danach setzte sich das Unrecht leider fort. Die Renten für noch 22 000 NS-Opfer wurden nicht, wie einmal beschlossen, 1997, sondern erst ab 2005 ausgezahlt. Es fehlten über sieben Jahre. Meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, insbesondere Herr Kolb, wenn Sie jetzt behaupten, durch den höheren Zugangsfaktor werde der spätere Auszahlungsbeginn ausgeglichen, ist das schlicht und einfach unwahr.
(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Denn dazu müssten die Betroffenen noch viele Jahre leben. Jeder hier im Raum weiß doch, dass 80- bis 90-Jährige einfach nicht mehr sehr viele Jahre leben werden. Deswegen haben zum Beispiel die Sachverständigen in der Anhörung sofortigen Handlungsbedarf gesehen. Es geht zum Teil um Nachzahlungen von wenigen Tausend Euro. Wir wissen, dass die soziale Situation von Überlebenden des Holocaust häufig prekär ist, und schon deswegen will die Linke eine zügige Lösung.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Werte Kolleginnen und Kollegen, wir erwarten von Ihnen allen, dass Sie diese Frage zu einer Gewissensfrage machen. Wollen Sie diese Menschen wirklich um wenige Tausend Euro bringen, obwohl das ihre Rentenansprüche sind? Ich fordere Sie auf: Verweigern Sie sich nicht den Anträgen der Opposition. Gewähren Sie den Überlebenden ihre Rechte, und schließen Sie sich den Anträgen von Linken und Grünen an. Es ist in der Tat beschämend für dieses Haus – das ist hier von vielen schon gesagt worden –, um diese wenigen Tausend Euro zu feilschen.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)