Rede im Bundestag: Gegen den Ausbau von EUROPOL zur Super-Polizeibehörde der EU!

Rede von Ulla Jelpke (DIE LINKE.) zu TOP 64 in der 228. Sitzung des 16. Deutschen Bundestages am 19. Juni 2008 (zu Protokoll)
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Europol-Gesetzes, des Europol-Auslegungsprotokollgesetzes und des Gesetzes zu dem Protokoll vom 27. November 2003 zur Änderung des Europol-Übereinkommens und zur Änderung des Europol-Gesetzes
> Drucksachen 16/12924, 16/13114 < Heute liegt uns ein Gesetzentwurf zur Abstimmung vor, der zunächst einmal formal die geänderte Verfasstheit von Europol in die deutsche Gesetzeslage überführen will. Bislang beruhte das Europäische Polizeiamt auf einem Übereinkommen, das per Ratifikationsgesetz für Deutschland in Kraft trat. Dieses Übereinkommen ist nun durch einen Beschluss des EU-Rates ersetzt worden, das deutsche Europolgesetz wird redaktionell angepasst. Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab. Die ganze Richtung der Konzeption des Europäischen Polizeiamtes passt uns nicht. Der Ausbau der repressiven Strukturen der EU geht weiter, ohne dass es einen entsprechenden Grundrechtsschutz für die Bürgerinnen und Bürger gäbe. Zentralisierungstendenzen, wie wir sie aus Deutschland kennen, setzen sich auf EU-Ebene fort – nicht zuletzt auf Betreiben des deutschen Innenministeriums. Und wir lehnen es ab, dass die Datenübermittlungsbefugnisse für Polizeibehörden im Gesetzentwurf noch über das hinausgehen sollen, was der Ratsbeschluss fordert. Der Kreis der Behörden, der nun unmittelbar befugt ist, mit Europol Daten auszutauschen, wird deutlich ausgeweitet. Bisher war dies allein den Landeskriminalämtern vorbehalten. Nun werden alle Polizeibehörden der Länder, die Bundespolizei, der Zollfahndungsdienst und das Zollkriminalamt zu Eingabe und Abruf von Daten in bzw. aus dem Europol-Informationssystem befugt. Dabei müssen sie nicht mehr den technischen „Umweg“ über das Bundeskriminalamt gehen, sondern können auch unmittelbar mit den deutschen Verbindungsbeamten bei Europol in Kontakt treten. Positiv zu vermerken ist lediglich, dass nun die Sonderregelungen für die Europol-Bediensteten, die einer teilweisen Immunität gleichkamen, damit ebenfalls Geschichte sind und die Europol-Bediensteten nun allen anderen EU-Bediensteten gleichgestellt sind. Das ändert aber nichts an unseren wesentlichen Kritikpunkten. Ich will hier drei nennen. Erstens: Europol fungiert wie eine fast unkontrollierbare suprastaatliche Polizeibehörde. Sie wird nicht durch eine europäische Staatsanwaltschaft kontrolliert und geleitet, alle dort eingesetzten Beamten unterliegen in erster Linie der juristischen Kontrolle durch die Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden der Entsendestaaten. Die nationalen Einschränkungen von Grundrechtseingriffen können umgangen werden, indem der Eingriff zumindest formal in ein anderes Land verlegt wird. Zum Beispiel: wenn in einem Staat die Voraussetzungen für einen Lauschangriff nicht vorliegen, liegen sie vielleicht in dem anderen vor. Erkenntnisse aus Ermittlungen in einem anderen EU-Staat können in hiesige Ermittlungsverfahren einfließen, ohne dass für die Staatsanwaltschaft und Strafverteidigung nachvollziehbar ist, ob der Lauschangriff auch hier rechtsmäßig gewesen wäre. Der Grundrechtsschutz hinkt wie immer hinterher. Zweitens: durch den Europol-Beschluss erfährt die Politik des freien Datenverkehrs in der EU eine weitere Eskalation. Es ist immer weniger nachvollziehbar, was mit den Daten von Bürgerinnen und Bürgern geschieht, die einmal ins Fadenkreuz der Polizeibehörden geraten sind. Betroffen davon können zum Beispiel Bürgerinnen und Bürger aus den 2005 beigetretenen Staaten in der EU sein, denen weiterhin die Arbeitnehmerfreizügigkeit verwehrt wird und die daher auf Schwarzarbeit verwiesen sind, wenn sie ein Einkommen in den alten Mitgliedsstaaten haben wollen. So geraten sie ins Visier des Zollkriminalamtes – und ihre Daten werden im Rahmen der polizeilichen Zusammenarbeit an Europol und andere Mitgliedsstaaten weitergegeben. Wie lange sie dann dort gespeichert werden, wer sie wie verarbeitet, all das bleibt für die Betroffenen im Unklaren.