Rede: Ausreisepflichtgesetz ist Sammelsurium flüchtlingsfeindlicher Schweinereien

Rede zu TOP 20 der 234. Sitzung des Deutschen Bundestages, 18.05. 2017

Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht

Drucksache 18/11546

 

 

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn:

Als nächste Rednerin spricht Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon der Titel des hier zur Diskussion stehenden Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht unterstellt, die Ausreisepflicht würde nicht ausreichend durchgesetzt.

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Stimmt ja!)

Das ist eine der großen Lügen dieser Großen Koalition.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kann in der Kürze der Zeit nicht auf alle Aspekte dieses Sammelsuriums flüchtlingsfeindlicher Schweinereien – darum handelt es sich im wahrsten Sinne des Wortes – eingehen.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Hey!)

– Ja, man muss hier wirklich von Schweinereien sprechen.

(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Jetzt geht es los! Wo sind wir denn?)

Deshalb möchte ich nur einige wenige Punkte herausstellen.

Hier wird das offenbar vorsätzliche Behördenversagen im Fall Anis Amri zur Schaffung eines neuen Abschiebegrunds für Gefährder instrumentalisiert.

(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Der war auch ausreisepflichtig!)

Dabei ist nirgendwo gesetzlich definiert, wer überhaupt ein Gefährder ist. Die Einstufung erfolgt nach wie vor nach Gutdünken der Polizei. Faktisch haben wir es hier mit einer Präventivhaft mit aufenthaltsrechtlichen Mitteln zu tun, obwohl gegen die Betroffenen nichts Gerichtsverwertbares vorliegt. Das ist schlicht menschenrechtswidrig.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie mich eine grundsätzliche Bemerkung machen: In diesem Gesetzentwurf findet eine unzulässige Vermischung von Aufenthalts-, Sicherheits- und Ordnungsrecht statt. Das Aufenthaltsrecht ist definitiv nicht das richtige Instrument, um den Umgang mit Terrorgefahren zu regeln, und zwar schon deshalb nicht, weil viele Gefährder die deutsche Staatsangehörigkeit haben.

Nach dem Willen der Koalition soll eine Überraschungsabschiebung selbst nach mehrjähriger Duldung möglich sein, wenn Flüchtlinge ihre Abschiebung durch fehlende Mitwirkung verhindert haben.

(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das ist nur recht und billig!)

Das ist rechtsstaatswidrig und im Falle von Kindern sogar ein ganz klarer Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Handys von Flüchtlingen sollen generell zur Identitätsfeststellung durchsucht werden können, wenn – ich betone das – kein Reisepass vorliegt. Dies betrifft mehr als die Hälfte der Asylsuchenden.

(Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]: Das ist ja das Merkwürdige!)

Die Bundesdatenschutzbeauftragte und der Deutsche Anwaltverein haben diese Vorschrift als unverhältnismäßig und verfassungswidrig gebrandmarkt. Asylsuchende sind doch kein Freiwild, sondern sie haben die gleichen Grundrechte wie wir alle.

(Beifall bei der LINKEN – Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]: Und die gleichen Pflichten!)

Schließlich sollen Geflüchtete, die vermeintlich ohne Bleiberechtsperspektive sind, bis zu zwei Jahre in Erstaufnahmeeinrichtungen wohnen. Das muss man sich einmal vorstellen. Für diese Zeit gelten ein Arbeits- und ein Ausbildungsverbot, Sachleistungsvorrang und die Residenzpflicht. Das ist also eine enorme Verschärfung.

(Zuruf der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Im Änderungsantrag folgt nun auch noch die Mär von – wir haben es eben schon gehört – missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen zum Erhalt eines Aufenthaltstitels. Beamte der Ausländerbehörde sollen entscheiden, ob eine Vaterschaft akzeptiert wird oder die Mutter und das Kind abgeschoben werden können. Eine Klage dagegen hat keine aufschiebende Wirkung. Das heißt, hier werden im Grunde Familien zerrissen. Ich halte es für einen Riesenskandal, dass Sie das so nebenbei mit einem Änderungsantrag einfach durchziehen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eine Anhörung war von der Großen Koalition nicht gewünscht. Fachverbände haben am Gesetzentwurf ganz massiv Kritik geübt. Es ist eine absolut unparlamentarische Vorgehensweise, wie Sie hier Gesetze durchziehen.

Die Koalition wird heute dieses Gesetz verabschieden, aber ich sage Ihnen ganz klar: Wir werden diesem widerwärtigen Abschiebegesetz unsere Zustimmung verweigern. Es ist wirklich ein einziger Skandal, was Sie hier zusammengeschrieben haben.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)