Artikel: Neokolonialismus

Afghanistan-»Geberkonferenz«

Gastkommentar von Ulla Jelpke in junge Welt vom 6.10.2016

Am Dienstag begann die »Konferenz der Geberländer« in Brüssel. Es trafen sich dort Vertreter aus mehr als 70 Staaten, darunter der USA, Deutschlands, Großbritanniens und der Türkei sowie von 20 Organisationen, einschließlich der für »Migrationskontrolle« verantwortlichen Internationalen Migrationsorganisation (IOM), aber auch der NATO. Das Land, das im Mittelpunkt der Konferenz stand – Afghanistan –, war selbst nicht vertreten.Afghanistan dient schon seit langem als Austragungsfeld zwischenimperialistischer Konflikte. Bereits im 19. Jahrhundert war es Londons Strategie, mit Gewalt loyale Herrschaftsdynastien zu installieren. In dieser Tradition stand auch die Politik Washingtons, Dschihadisten vom Schlage eines Osama bin Laden gegen die dortige russische Truppenpräsenz aufzubauen. Heute stützt die NATO die für schwere Kriegsverbrechen verantwortlichen Warlords, die große Teile der ländlichen Bevölkerung Afghanistans unterdrücken und in Sachen Frauenrechte Vorstellungen haben, die sich kaum von denen der Taliban unterscheiden. Wenn die westlichen Staaten sich nun als »Geber« und »Helfer« in Szene setzen, unterstreicht dies nur die kolonialen Unterdrückungsverhältnisse.

Jetzt sollen mehr als 80.000 Afghanen, die angesichts der katastrophalen Missachtung der Menschenrechte nach Europa geflohen sind, mit Unterstützung der Regierung in Kabul wieder in das Kriegsland abgeschoben werden. Die EU-Kommission spricht von der Gewährleistung einer »reibungslosen und menschenwürdigen Abschiebung« und ignoriert dabei konsequent die 1.600 Zivilisten, die nach offiziellen Angaben allein im ersten Halbjahr 2016 bei bewaffneten Auseinandersetzungen und Anschlägen getötet worden sind.

Die 1,2 Millionen Binnenvertriebenen, die unter schlimmsten Bedingungen und in permanenter Lebensgefahr in den Slums von Kabul und anderen Städten ihr Dasein fristen müssen, widerlegen jeden Tag aufs neue die Legende angeblich sicherer Fluchtalternativen im Inland. Galt Kundus vor einer Woche als sicherer Ort, so steht er inzwischen im Zentrum einer großangelegten Offensive der Taliban. Insbesondere Frauen, aber auch religiöse Minderheiten sind permanenter Verfolgung ausgesetzt – auch durch die Regierung in Kabul.

Erwartungsgemäß eskaliert der Krieg in dem Land am Hindukusch. Verantwortlich dafür ist sogar nach Einschätzung des US-Militärs die Unterstützung korrupter Eliten und Warlords, was wiederum zu einer weiteren Verschärfung sozialer Gegensätze führt.

Indem die »Geberkonferenz« nun die Bereitstellung von Terminals für Abschiebungen und weitere Unterstützung bei der »Rückführung« von Geflüchteten durch die afghanische Regierung zur Bedingung für Hilfszahlungen macht, spielt sie die Rechte der Geflüchteten gegen die Not in der Region aus. Das ist nichts anderes als ein schmutziger Handel mit dem Menschenrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.