»Ausländerfrei«

Das Pogrom von Hoyerswerda vor 25 Jahren war der Auftakt zu einer Welle rassistischer Gewalttaten

Gastbeitrag von Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt vom 17.9.2016)

In der DDR galt Hoyerswerda als »sozialistische Musterstadt«. Doch internationale Bekanntheit erlangte die 60.000-Einwohner-Gemeinde des sächsischen Landkreises Bautzen zwei Jahre nach der sogenannten Wende als Ort des ersten rassistisch motivierten Pogroms in Deutschland nach 1945.Es begann am 17. September 1991 mit Pöbeleien von angetrunkenen ­Naziskinheads gegen vietnamesische Straßenhändler. Einige Vietnamesen flüchteten in ein Heim für ehemalige DDR-Vertragsarbeiter. Hier lebten 120 Menschen aus Mosambik und Vietnam, die im nahen Braunkohlekombinat VEB Schwarze Pumpe gearbeitet hatten. Vor dem elfstöckigen Gebäude, in einem der großen Plattenbaukomplexe gelegen, versammelten sich am folgenden Tag mehrere Dutzend Neonazis. Sie skandierten »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!« und warfen Steine und Flaschen auf das Wohnheim. Einige der Bewohner wehrten sich mit Knüppeln, doch es kamen immer mehr Menschen aus den umliegenden Wohnblöcken, bis das Gebäude umzingelt war. »Die Nachbarn ermutigten die Skinheads, klatschten in die Hände. Viele von denen, die ich vor dem Haus gesehen habe, waren keine Skins, sondern Nachbarn und Kollegen«, erinnerte sich der wieder in Mosambik lebende Manuel Nhacutou 15 Jahre später. Erst nach zwei Stunden traf die Polizei ein und riegelte das Gebäude ab. Doch in den folgenden Nächten wiederholten sich die Krawalle eines bis zu 500 Menschen zählenden Mobs vor den Kameras der inzwischen aus dem In- und Ausland angereisten Fernsehteams. Nun flogen auch Molotowcocktails. Die überforderte Polizei ließ die Nazis, darunter Kader der »Deutschen Alternative«, weitgehend gewähren.

Rassistische Anwohner

»Die übergroße Mehrheit der Anwohner im unmittelbaren Umfeld des Ausländerwohnheims sieht in den Handlungen der Störer eine Unterstützung ihrer eigenen Ziele zur Erzwingung der Ausreise der Ausländer und erklärt sich folgerichtig mit ihren Gewalttätigkeiten sehr intensiv solidarisch. Die polizeilichen Handlungen werden dagegen strikt abgelehnt«, hieß es in der am Mittag des 20. September 1991 getroffenen »Lageeinschätzung« des Landratsamts Hoyerswerda. Es bestehe die einheitliche Auffassung, dass »eine endgültige Problemlösung« nur durch die »Ausreise der Ausländer« geschaffen werden könne. Noch am selben Tag wurden die Vertragsarbeiter unter Polizeibegleitung aus der Stadt evakuiert. Die meisten wurden direkt nach Frankfurt am Main oder Berlin gebracht und von dort in ihre Herkunftsländer abgeschoben, ohne die ihnen zustehenden Abfindungen zu erhalten.

Antifaschistische Rechercheure kamen später zu dem Ergebnis, dass das Pogrom von Vorarbeitern der Laubag AG in Schwarze Pumpe, einem Ortsteil von Spremberg, angezettelt worden war, um sich angesichts der beginnenden Massenentlassungen vermeintlicher Konkurrenten zu entledigen. Deren Arbeitsverträge waren allerdings bereits zum Ende des Jahres 1991 gekündigt worden.

Ermutigt durch ihren Erfolg griffen die Neonazis am Tag der Abschiebung der Vertragsarbeiter ein Flüchtlingswohnheim in der Thomas-Müntzer-Straße an. Hierher waren im Frühsommer aus anderen sächsischen Orten rund 240 Flüchtlinge aus Vietnam, Ghana, Iran, Bangladesch und Rumänien zwangsumverteilt worden. Bereits in den Wochen vor dem Pogrom waren sie mehrfach in der Stadt von Neonazis attackiert worden.

Vorbereiteter Angriff

 Ein Sozialarbeiter hatte die Flüchtlinge vor dem Angriff gewarnt, woraufhin diese die Straße mit Mülltonnen verbarrikadiert hatten. Zugleich standen einige der Sozialarbeiter unter den Angreifern. »Sie taten nichts, sie sahen nur zu. Wir verstanden es nicht. Es war wie eine vorbereitete Sache, vorbereitet von der ganzen Stadt«, berichtete einer der Flüchtlinge später. Wieder flogen Brandsätze, vor dem Haus zündeten die Naziskins ein Feuer an. Die Flüchtlinge retteten sich auf das Dach des Hauses. Erst zwei Stunden später traf die Polizei mit gerade mal zwei Beamten ein. Während die Angriffe des Mobs auf das Haus weitergingen, zog sich die Staatsmacht schnell wieder zurück und kam erst nach mehreren Stunden mit Verstärkung zurück.

Bereits am folgenden Tag wurden die Flüchtlinge unter dem Beifall der Anwohner in Bussen und ihren eigenen klapprigen Autos aus der Stadt gebracht. Der 21jährige Tham le Thanh aus Hanoi erlitt schwere Schnittverletzungen, als ein von einem Neonazi geworfener Stein die Scheibe seines Wagens durchschlug. Die Flüchtlinge wurden auf Barackenheime im Umland verteilt, von wo aus die meisten von ihnen weiter nach Berlin oder Niedersachsen flohen.

In Berlin unterstützten Aktivisten der autonomen Antifa die Flüchtlinge, die erst in Kirchen unterkamen und dann in ihrem Kampf um Bleiberecht das Mathematikgebäude der Technischen Universität besetzten. Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) gewährte schließlich denjenigen Flüchtlingen, die nachweislich angegriffen wurden, das Recht, in Berlin weiter für ihre Asylanträge zu kämpfen.

Während der fünftägigen Ausschreitungen in Hoyerswerda wurden 32 Personen verletzt. Es gab 82 Festnahmen, die zu gerade einmal vier Verurteilungen führten. Am 27. September demonstrierten rund 5.000 fast ausschließlich von außerhalb angereiste Antifaschisten gegen das Pogrom.

Neonazis feierten unterdessen Hoyerswerda als »erste ausländerfreie Stadt«. Das Adjektiv »ausländerfrei« wurde später von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum Unwort des Jahres 1991 gewählt.

Öl ins Feuer

Hoyerswerda wurde zum Fanal für eine deutschlandweite Welle fremdenfeindlicher Gewalttaten. In Mölln und Solingen starben bei Brandanschlägen acht türkischstämmige Bewohner in ihren Häusern, Dutzende weitere wurden verletzt. Die bürgerliche Presse, die sich während der Randale von Hoyerswerda noch über den »hässlichen Deutschen« empört hatte, goss ihrerseits Öl ins Feuer. »Fast jede Minute ein neuer Asylant. Die Flut steigt – wann sinkt das Boot?« hieß es am 23. Januar 1992 in Bild.

Im August 1992 applaudierte ein 3.000köpfiger Mob in Rostock-Lichtenhagen, als Neonazis während eines mehrtägigen Pogroms zuerst die Zentrale Aufnahmestelle für Asylsuchende attackierten und dann ein Wohnheim für vietnamesische Arbeiter in Brand setzten. Die Regierungskoalition aus Union und FDP erklärte unter Verweis auf Hoyerswerda und Rostock, der Bevölkerung fehle die Akzeptanz für den weiteren »unkontrollierten Zustrom« von Ausländern. Am 26. Mai 1993 stimmte eine große Koalition aus CDU/CSU, FDP und SPD-Opposition gegen die Stimmen der Grünen und der PDS für die faktische Abschaffung des in der Verfassung verankerten Grundrechts auf Asyl.