Rede: Verpasste Chance – Opferschutz spielt kaum eine Rolle!

Rede zu TOP 20 der 183. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates (Drucksache 18/4613)

Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kordula Schulz-Asche, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation von Opfern von Menschenhandel in Deutschland (Drucksache 18/3256)

 

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Natürlich sind wir uns einig, was den Kampf gegen den Menschenhandel angeht: Es sind schwere Verbrechen von Ausbeutung bis zur Zwangsprostitution. Das muss bekämpft werden. Aber das reicht nicht aus. Wer Menschenhandel wirklich bekämpfen will, muss unbedingt den Opfern mehr Schutz geben. Sie haben leider versäumt, in Ihrem Gesetzentwurf diesen Schutz festzuschreiben.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt ganz unterschiedliche Formen und Ausprägungen von Menschenhandel, und zwar vor allem in Deutschland. Das muss man sich einmal vorstellen: Menschen werden illegal nach Deutschland gelockt und zum Beispiel in der Gastronomie, auf dem Bau, in der Pflege oder auch als Reinigungskräfte oft massiv ausgebeutet. Junge Frauen, aber auch Männer werden der Zwangsprostitution zugeführt. Wir sprechen hier von modernen Formen von Sklaverei; anders kann man das wirklich nicht nennen. Wir haben eben schon gehört, dass die Dunkelziffer in der Tat sehr hoch ist. Das BKA geht gegenwärtig davon aus, dass wir allein in Deutschland etwa 14 000 Betroffene haben.

Aber die Aufklärung dieser Verbrechen ist äußerst schwierig. Das BKA selbst sagt, dass es gerade einmal in 400 Fällen ermittelt. Das heißt noch lange nicht, dass es zu einer Verurteilung kommt. Auch hier ist die Dunkelziffer wieder sehr hoch. Wir denken: Wenn man wirklich will, dass die Opfer bereit sind, Aussagen vor Gericht oder bei der Polizei zu machen, dann brauchen sie auch einen entsprechenden Schutz. Das bedeutet, sie müssen zum Beispiel ein Bleiberecht haben, damit sie das Gefühl haben, dass sie bleiben können, und damit sie keine Angst haben müssen, abgeschoben zu werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn viele Opfer, die hier sind, sind häufig von ihren Peinigern zu Straftaten verleitet worden oder haben diese begehen müssen, und viele Opfer haben einfach Angst, auszusagen, auch weil ihre Peiniger ihnen drohen, dass entweder ihnen oder ihren Familien in ihren Herkunftsländern Gewalt angetan wird.

Deshalb brauchen wir eine gesetzliche Vorschrift, damit diesen Opfern geholfen wird. Es ist wirklich beschämend, meine Damen und Herren – das sage ich besonders in Richtung der SPD -, dass Sie das nicht fertiggebracht haben. Immerhin haben die Grünen einen sehr guten Gesetzentwurf vorgelegt, den wir auch unterstützen werden.

(Beifall der Abg. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Man hätte endlich einmal die Chance ergreifen müssen, den Opferschutz festzuschreiben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Damit komme ich noch einmal zu dem Kollegen Bartke. Sie haben sich ja so schön auf die EU-Richtlinie und die Europaratskonvention bezogen. Ja, in der Tat haben Sie hier gerade nicht das umgesetzt, was diese Richtlinie bzw. Konvention vorschreiben. Die Richtlinie schreibt verbindlich vor, dass es einen Schutzstandard unabhängig davon geben muss, ob ein Opfer bereit ist, vor Gericht auszusagen. Wo steht das in Ihrem Gesetzentwurf? Es ist einfach nicht zu finden.

Wenn wir erreichen wollen, dass Betroffene Aussagen machen, dann brauchen wir Schutzmaßnahmen. Man muss bei ihnen das Vertrauen wecken, dass sie hier keine Verschlechterung ihrer Situation, Abschiebung oder Ähnliches zu erwarten haben. Die Entschädigungsleistungen fehlen meines Erachtens auch. Auch das schreibt die EU-Richtlinie fest und sagt ganz deutlich, dass wir Maßnahmen in Sachen Entschädigung brauchen.

Ein weiterer Punkt, der ebenfalls fehlt, ist eine unabhängige Berichterstatterstelle. Nicht einmal diese ist eingerichtet worden; nicht einmal das steht im Gesetz. Ich finde, es ist ein Armutszeugnis vor dem Hintergrund, wie Sie dieses Gesetz hochloben; denn es kann keine Frage sein, dass für Organhandel – diesen haben Sie jetzt einbezogen -, Zwangsbettelei und ähnliche Dinge Strafverfolgungsmaßnahmen notwendig sind. Aber wenn man die Strafen immer höher ansetzt und nichts für die Opfer tut, dann wird man meiner Meinung nach auch mit diesem Gesetz den Menschenhandel nicht wirklich bekämpfen können. Deshalb wird die Linke auf jeden Fall diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen können.

Zum Schluss möchte ich noch einmal ganz deutlich sagen: Erst wenn die Betroffenen wirklich vor ihren Peinigern sicher sind und den notwendigen Schutz bekommen, wird man auch den Menschenhandel besser bekämpfen können. Denn ich bin mir ganz sicher: Mit höheren Strafen werden wir das niemals erreichen, sondern nur dann, wenn wir wirklich Rücksicht auf die Opfer nehmen, und das leistet das Gesetz leider nicht.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)