Rede im Bundestag: Keine neokoloniale Siegerjustiz im Völkerstrafrecht!

Rede zu TOP 25 der 176. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages –
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Völkerstrafgesetzbuches – Drucksache 18/8621

 

Anrede,

 

Mittelpunkt der heutigen Debatte ist der zukünftige neue Straftatbestand der Aggression im Völkerstrafgesetzbuch. Grundsätzlich beschlossen und definiert wurde dieser Straftatbestand bereits im Jahr 2010 auf einer Konferenz der Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofes in Kampala. Der Gesetzentwurf heute soll das Verbrechen der Aggression nun auch in das deutsche Strafrecht einführen. Als Ziel der Neuregelung wird der Schutz der Souveränität, der territorialen Unversehrtheit und der politischen Unabhängigkeit von Staaten genannt.

 

Bislang war in Deutschland nur das Vorbereiten eines Angriffskrieges und das Aufstacheln dazu als Straftat erfasst, nicht aber das Führen eines solchen Angriffskrieges. Das ist natürlich ein inkonsequenter Zustand, der jetzt zu Recht korrigiert werden soll. Es ist – nicht nur aus historischer Sicht – richtig und überfällig, dass es endlich eine Definition des Verbrechens der Aggression gibt und dass dieser Straftatbestand Eingang in das internationale und nun auch in das nationale Recht finden soll.

 

Die kritische Frage ist allerdings: Was genau ist unter dem Verbrechen der Aggression zu verstehen? Der Gesetzentwurf nennt etwa die dauerhafte Annektierung eines fremden Staatsgebietes oder aber die Unterwerfung eines anderen Staates. Blockaden von Häfen oder Küsten durch fremde Streitkräfte, die Bombardierung oder Beschießung fremden Hoheitsgebiets oder auch Fälle des gezielten Entsendens bewaffneter Banden oder Söldner in einen anderen Staat sollen künftig als Aggressionsverbrechen verfolgbar sein.

 

Allerdings zeigt die Gesetzesbegründung auch, dass lange nicht jedes gewaltsame Eingreifen von außen ein Aggressionsverbrechen darstellen soll. Das gilt zum Beispiel für kleinere Grenzscharmützel. Auch DIE LINKE hält es für sinnvoll, solche nicht gleich unter den Aggressionstatbestand fallen zu lassen. Doch im Gesetzesentwurf heißt es auch – ich zitiere – „dass etwa eine humanitäre Intervention oder die präventive Selbstverteidigung in Anbetracht eines bevorstehenden bewaffneten Angriffs tatbestandlich nicht erfasst“ werde. Und das, meine Damen und Herren, sollte uns aufhorchen lassen, denn hier geht es ans Eingemachte.

 

Als humanitäre Intervention, die vorgeblich dem Schutz der Zivilbevölkerung vor drohenden Massakern oder gar Genoziden dient, wird doch heute nahezu jeder Kriegseinsatz bezeichnet. Auch der brutalste Diktator lässt sich für einen Überfall auf ein anderes Land eine humanitäre Begründung einfallen oder behauptet, er sei einem Angriff durch seine Nachbarn nur rechtzeitig zuvorgekommen. Ich erinnere nur daran, dass der Jugoslawien-Krieg, bei dem die Bundeswehr bei der Bombardierung der zivilen Infrastruktur des Landes mitmachte, als eine solche humanitäre Intervention gerechtfertigt wurde. Dazu wurden vom damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping die bekannten Kriegslügen von angeblichen Konzentrationslagern in Fußballstadien bemüht. Und beim Luftkrieg gegen Libyen stützten sich die Aggressoren sogar auf eine UN-Sicherheitsratsresolution zur Herstellung einer Flugverbotszone.

 

Und da, meine Damen und Herren, sagt DIE LINKE: Sogenannte humanitäre Militärinterventionen dürfen nicht von vornherein einer völkerstrafrechtlichen Überprüfung entzogen werden – und das darf auch in einer Gesetzbegründung nicht suggeriert werden. Wir erleben es heute viel zu oft, dass Kriegstreiber sich hinter humanitären Phrasen verstecken. Sogenannte humanitäre Militäreinsätze in Krisenländern sind meist nichts anderes als eine Beteiligung oder ein Vorantreiben von Kriegen – und gehen nicht zuletzt zulasten der Zivilbevölkerung, deren Opfer dann als „Kollateralschäden“ verbucht werden. Vor diesem Punkt dürfen wir nicht die Augen verschließen, wenn wir über das Verbrechen der Aggression sprechen. Täter in diesem Bereich sind auch die Bundesrepublik, die USA, die NATO und die EU, und auch diese Täter dürfen nicht straffrei davonkommen!

 

Das Völkerstrafrecht muss für alle gleichermaßen gelten. Das möchte ich Ihnen für die weitere Behandlung des Gesetzentwurfes mit auf den Weg geben und noch einmal klarstellen: DIE LINKE befürwortet die Einführung des Aggressionsstraftatbestandes in das Völkerstrafgesetzbuch und die damit einhergehende Verurteilung gewaltsamer Eingriffe in Staaten durch andere Staaten. Jede Handlung, die unter diesen Tatbestand fallen könnte, muss entsprechend kritisch geprüft werden. Und das muss unabhängig davon gelten, ob eine Aggression von einem despotischen Diktator, einem finsteren Warlord, der NATO oder westlichen Staaten ausgeht. Ein Zweiklassenstrafrecht, welches das Völkerstrafgesetz zur neokolonialen Siegerjustiz missbraucht, darf es da nicht geben.

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.