Rede: EU-Flüchtlingsschutz und faire Verantwortungsteilung

Rede zu TOP ZP 5 der 167. Sitzung des 18. Deutschen Bundestages

Vizepräsident Johannes Singhammer:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir heute hier über den europäischen Flüchtlingsschutz sprechen; denn schauen wir uns allein einmal die Situation in Griechenland an: Fast 60 000 Flüchtlinge sind dort in Elendslagern, in Hotspots, die Haftanstalten gleichen, eingesperrt. Es fehlt dort an allem: an Lebensmitteln, an vernünftigen Unterkünften, an Medizin. Man kann wirklich sagen, an allem. Angesichts dessen ist es wirklich nur zynisch, Herr Kollege Frei, wenn Sie hier einfach mal so lapidar darüber hinweggehen und sagen, dass wir hier eigentlich alles tun würden. Ich glaube, wir tun eben nicht alles.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir können nicht die Augen verschließen und beispielsweise zulassen, dass man über 10 000 Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze, in Idomeni, allein lässt, keine Hilfe organisiert und sich immer wieder darauf zurückzieht, doch lieber Abschottungspolitik zu betreiben. Nichts anderes tun Sie eigentlich.

Die Kritik an genau dieser Abschottungspolitik ist völlig berechtigt. Sie haben in den vergangenen Wochen und Monaten alle möglichen Abschottungsmaßnahmen vorgenommen: EU-Grenzschutzmaßnahmen wurden immer weiter ausgebaut; Militärmissionen sorgen jetzt dafür, dass Flüchtlinge nicht mehr auf die europäische Seite kommen; es gibt keine legalen Fluchtwege. Aber wenn es darum geht, wirklich humanitäre Wege für die Flüchtlinge aufzuzeigen, dann machen Sie einfach dicht und verschließen die Augen. Das werden wir so nicht hinnehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Schlimme ist ja: Deswegen, weil beispielsweise die Westbalkanroute dicht ist, sind die Flüchtlinge auf noch gefährlichere Wege angewiesen. Allein 181 000 Flüchtlinge sind in diesem Jahr nach Europa gekommen. Über 1 200 sind nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration bereits auf dem Weg nach Europa ums Leben gekommen. Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich noch viel höher. Ursache dafür ist die EU-Abschottungspolitik, die unter dem Deckmantel der Schleuserbekämpfung stattfindet. Tatsache ist allerdings, dass Sie damit, dass jetzt wieder die gefährlicheren Wege benutzt werden müssen, Schleuser wieder mobilisiert haben und es wieder ein Geschäft für sie geworden ist, die Geflüchteten in kleine Boote zu setzen. Das ist wirklich ein Skandal; das wissen Sie auch ganz genau.

(Beifall bei der LINKEN)

In diesem Zusammenhang will ich hier noch einmal die Frage aufwerfen: Wo ist eigentlich die Seenotrettung für Flüchtlinge?

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja!)

Das ist immer wieder dann ein Thema, wenn Flüchtlinge ertrinken. Nirgendwo sehe ich eine einzige Initiative, bei der die Rettung von Flüchtlingen aus Seenot für Europa wirklich Priorität hätte. Nein, es wird immer weiter aufgerüstet, in Frontex, in die Grenzschutzbehörden investiert, und es wird sogar über die Beschneidung der Souveränitätsrechte der EU-Staaten nachgedacht, damit man eingreifen kann, zum Beispiel in Griechenland. Anstatt weiter abzuschotten, sollten Sie endlich in die Seenotrettung investieren, damit das Mittelmeer nicht weiter zu einem Massengrab für Flüchtlinge wird, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Türkei-Deal wurde bereits angesprochen. Auch hierzu möchte noch einmal ganz deutlich sagen: Sie dealen mit einem Land, das Flüchtlinge von Europa fernhalten soll und selbst die Menschenrechte mit Füßen tritt.

(Beifall des Abg. Alexander Ulrich (DIE LINKE))

Der türkische Präsident Erdogan schafft jeden Tag neue Fluchtursachen ‑ jeden Tag. Das zeigen zum Beispiel der Krieg gegen die Kurden im eigenen Land wie auch die Unterstützung des „Islamischen Staats“ in Syrien. Wir wissen, dass weiterhin Waffen dorthin geliefert werden, und Sie wissen es auch. Trotzdem wird dieser EU-Abschiebepakt weiterhin betrieben, auch von der Bundesregierung, insbesondere von Frau Merkel, die am letzten Wochenende in der Türkei war und nicht ein Wort, nicht einen Satz zu den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei übrig hatte. Ich finde das wirklich einfach nur beschämend.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage hier noch einmal ganz klar, auch weil es eben erneut um Gelder ging: Die EU wird Erdogan 6 Milliarden Euro in den Rachen schmeißen. Ich frage hier wieder: Warum kriegen das nicht die internationalen Flüchtlingsorganisationen, also die, die Flüchtlingen wirklich helfen können – UNHCR, Ärzte ohne Grenzen usw.? Man könnte hier viele dieser Organisationen aufzählen. Es ist doch völlig undurchsichtig, was Erdogan mit diesen 6 Milliarden Euro machen wird. Wahrscheinlich wird er vor allen Dingen sein eigenes Militär aufrüsten. Auch das finden wir völlig falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein weiterer Punkt, der uns auch sehr wichtig ist: Der türkische Ministerpräsident hat ganz klar angekündigt, man werde nur Syrer aufnehmen; alle anderen würden in ihre Herkunftsländer abgeschoben. Was bedeutet das zum Beispiel für Leute aus Afghanistan, dem Iran, Somalia, Eritrea? Haben die kein Recht auf Asyl? Es ist wirklich ein Skandal, dass man das einfach so hinnimmt

(Beifall bei der LINKEN)

und dass man auch in Europa nicht mehr bereit ist, darüber zu diskutieren, wie die Menschen, die aus diesen Ländern geflohen sind, hier ein angemessenes Asylverfahren bekommen können.

Das Ganze geht ja noch weiter. Sie sind ja schon wieder beim nächsten Punkt. Die EU plant zum Beispiel, mit Libyen bei der Flüchtlingsabwehr zusammenzuarbeiten – mit einem Land, in dem man sich nicht auf eine Regierung einigen kann, in dem sich Warlords und Islamistenverbände gegenseitig bekriegen. Da fragt man sich doch wirklich: Wo sind eigentlich die europäischen, wo sind demokratische Werte geblieben, wenn man mit solchen Ländern verhandelt, um Flüchtlinge abzuwehren? Da plant man ja jetzt ähnliche Deals wie den mit der Türkei. Auch hier versucht man also, eine Abschottungsfront aufzubauen.

Vizepräsident Johannes Singhammer:

Frau Kollegin Jelpke, darf ich Sie an die vereinbarte Redezeit erinnern?

Ulla Jelpke (DIE LINKE):

Ja, ich komme zum Ende. – Flüchtlingsschutz und Fluchtursachenbekämpfung sind das Wichtigste, was hier wirklich geschehen muss. Dazu gehören natürlich sehr viele Punkte, die wir hier auch immer wieder angeschnitten haben.

Ich will zum Schluss noch sagen: Die Linke teilt viele Punkte des grünen Antrags, aber viele Punkte auch nicht. Wir werden sicherlich eine interessante Debatte darüber haben. Insgesamt begrüßen wir, dass wir über dieses Thema hier weiter diskutieren. Die Linke wird auch mit eigenen Anträgen dafür sorgen, dass das so weitergeht.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)